»Ich verlasse allerdings in Kürze das Schiff. Deshalb unterrichte Hanley von deinen Erkenntnissen.«
»Wird gemacht.«
Cabrillo schritt durch den Korridor und stieg die Treppe zum Flugdeck hoch.
George Adams saß im Pilotensessel des Robinson. Bekleidet war er mit einer khakifarbenen Flugkombination. Er musste den Motor noch starten, im Cockpit war es eisig kalt. Er rieb sich die Hände, die bereits in seinen Fliegerhandschuhen steckten, nachdem er eine letzte Notiz ins Logbuch eingetragen hatte, das auf einem Klemmbrett befestigt war.
Er betätigte den Schalter der Hauptbatterie, um ihren Ladezustand zu überprüfen, und öffnete die Tür auf der Passagierseite. Cabrillo lud eine geräumige Tasche, die Waffen, Reservekleidung und Elektronik enthielt, sowie eine zweite mit Proviant und Getränken auf den Rücksitz. Sobald sie sicher verstaut waren, sah er Adams gespannt an.
»Muss ich irgendetwas tun, George?«, fragte er.
»Nein, Juan.« Adams schüttelte den Kopf. »Alles schon erledigt. Ich habe einen Wetterbericht, einen Flugplan, und die Orientierungspunkte sind in mein GPS einprogrammiert. Wenn du einsteigst und dich anschnallst, können wir aufbrechen.«
In den Jahren, die George Adams zur Corporation gehörte, war Cabrillo nicht müde geworden, immer wieder aufs Neue über die Effizienz des Hubschrauberpiloten zu staunen. Adams beklagte sich nie und geriet auch nie aus der Ruhe. Cabrillo war mit dem Mann schon bei ziemlich schlimmen Bedingungen unterwegs gewesen, doch abgesehen von einigen lockeren Sprüchen oder beiläufigen Bemerkungen, die ihm gelegentlich über die Lippen kamen, schien Adams völlig unbeeindruckt und absolut furchtlos zu sein.
»Manchmal wünsche ich mir, man könnte dich klonen, George«, sagte Cabrillo, während er einstieg, es sich auf dem Nebensitz bequem machte und sich anschnallte.
»Warum das denn, Juan?«, fragte Adams und schaute von seinen Instrumenten auf, »dann hätte ich doch nur noch halb so viel Spaß.«
Adams griff nach unten, drehte den Zündschlüssel, der Motor sprang an und ging sofort in den Leerlauf. Er überwachte die Anzeigeinstrumente, bis der Motor seine Betriebstemperatur erreicht hatte, dann meldete er sich über Sprechfunk im Ruderhaus.
»Sind wir auf Gegenwindkurs?«
»Sind wir«, kam die Antwort.
Jetzt zog er mit einer gleichmäßigen Bewegung den Steuerknüppel nach hinten, und der Helikopter hob vom Deck ab. Die Oregon dampfte weiter gegen den Wind, bis der Helikopter hoch über dem Schiff stand. Dann beschleunigte Adams und flog über das Schiff hinweg. Wenige Minuten später verschwand die Oregon hinter ihnen in der Ferne. Danach füllten nur noch Wolken und die schwarze See die Windschutzscheibe.
»Das ist alles, was wir bisher wissen, Mr. Prime Minister«, sagte der Präsident.
»Ich werde die Alarmbereitschaft erhöhen«, erwiderte der Premierminister, »und eine Meldung an die Presse lancieren, dass der Grund für diesen Schritt eine verlorene Ladung hochgiftiges Rizin ist. Das dürfte die Terroristen nicht misstrauisch machen, so dass sie mit ihrer Planung fortfahren.«
»Ich denke, wir können diese Affäre schon bald zu den Akten legen«, sagte der Präsident.
»Ich habe den MI5 und den MI6 angewiesen, sich mit Ihren Leuten abzustimmen. Allerdings, sobald sich der Meteorit auf englischem Boden befindet, müssen wir übernehmen.«
»Das verstehe ich«, sagte der Präsident.
»Dann viel Glück«, verabschiedete sich der Premierminister.
»Viel Glück auch für Sie.«
Richard Truitt blickte aus dem Seitenfenster der Gulfstream, während sie mit achthundert Kilometern in der Stunde durch die Luft raste. Tief unter ihm schimmerte die spanische Küste im goldenen Sonnenschein. Er erhob sich aus seinem Sessel, ging nach vorne und klopfte an die Cockpittür.
»Komm rein«, sagte Chuck »Tiny« Gunderson.
Truitt öffnete die Tür. Gunderson steuerte die Maschine, und Tracy Pilston saß auf dem Platz des Kopiloten. »Wie sieht es hier vorne aus?«, erkundigte er sich.
»Der Stand ist folgender«, antwortete Pilston. »Tiny hat ein Truthahnsandwich, eine ganze Tüte M&M’s und eine halbe Dose Salzmandeln verputzt. An deiner Stelle würde ich daher darauf achten, dass meine Hände seinem Mund nicht zu nahe kommen.«
»Es gibt zwei Dinge, die mich immer schrecklich hungrig machen«, gestand Gunderson. »Eins davon ist Fliegen, das andere kennst du.«
»Lachse angeln?«, fragte Truitt.
»Das auch«, gab Gunderson zu.
»Mountainbiking?«, fragte Pilston.
»Das auch.« Gunderson nickte.
»Wahrscheinlich ist es viel einfacher zu überlegen, was dich nicht hungrig macht«, sagte Truitt.
»Schlafen«, sagte Gunderson, ließ sich zur Seite kippen und tat so, als hielte er ein kurzes Nickerchen.
»Was wolltest du eigentlich, Richard?«, fragte Tracy Pilston Truitt, während Gunderson weiterhin so tat, als schliefe er. Die Gulfstream flog unbeaufsichtigt weiter.
»Ich war nur neugierig, ob wir in Gatwick oder in Heathrow landen.«
»Nach unseren letzten Anweisungen gehen wir in Heathrow runter.«
»Danke«, sagte Truitt, während er Anstalten machte, das Cockpit zu verlassen.
»Kannst du mir einen Gefallen tun?«, fragte Tracy Pilston.
»Klar.« Truitt wandte sich zu ihr um.
»Sag Tiny, er soll mich fliegen lassen; er tut immer so, als seien die Kontrollen sein Eigentum, von dem er sich nicht trennen will.«
Gundersons Mund öffnete sich kaum, während er seinen Kommentar gab: »Der Autopilot ist eingeschaltet.«
»Vertragt euch, Kinder«, sagte Truitt und entfernte sich.
»Ich gebe dir ein Snickers, wenn du mich fliegen lässt«, bot Tracy Pilston an.
»Aber liebend gerne, Frau«, meinte Gunderson, »warum hast du das nicht gleich gesagt?«
24
Ein Wind, durchsetzt mit feinstem Staub, wehte von Osten nach Westen und deckte auf seinem Weg alles mit einer dünnen knirschenden Schicht zu. Staub war in Saudi-Arabien so beständig wie die Gezeiten des Meeres. Kühle Temperaturen wie an diesem Tag gab jedoch es so selten wie Steaks bei einer Hinduhochzeit.
Saud Al-Sheik betrachtete die leere Schüssel des riesigen Stadions in Mekka.
Saudi-Arabien war gesegnet, denn es besaß enorme Ölreserven, hervorragende Krankenhäuser und Schulen — und mit Mekka den heiligsten Ort des Islam. Es wird empfohlen, dass fromme Muslime die Pilgerfahrt nach Mekka, den so genannten Haddsch, mindestens einmal in ihrem Leben unternehmen sollen, um damit die Ernsthaftigkeit ihres Glaubens zu demonstrieren. Jedes Jahr, gewöhnlich Anfang Januar, kommen hier Tausende von Gläubigen zusammen, wobei die meisten auch noch einen Abstecher nach Medina machen, wo sich das Grab des Propheten Mohammed befindet.
Der Zustrom so vieler Pilger innerhalb einer so kurzen Zeitspanne stellt einen logistischen Albtraum dar. Sie unterzubringen, zu verpflegen, für die Kranken und Gebrechlichen zu sorgen und die Sicherheit der Massen zu gewährleisten, ist ein gleichermaßen übermenschliches wie auch besonders teures Unterfangen.
Saudi-Arabien muss dabei einerseits die Kosten für die Pilger tragen und sich andererseits heftigster öffentlicher Kritik erwehren, falls irgendetwas schiefgeht.
Führte man sich vor Augen, dass amerikanische und englische Streitkräfte Irak und Afghanistan besetzten, so bedeutete der glühende Hass auf den Westen, der in dieser Region herrschte, ein Pulverfass, das jeden Augenblick zu explodieren drohte. Die Erhaltung der Sicherheit in Mekka wäre in diesem Jahr eine nahezu unlösbare Aufgabe. Fundamentalistische Muslime wünschten sich den Westen vernichtet und wie eine todbringende Seuche von diesem Planeten gefegt.
Der Hass fand sein Gegenstück in der westlichen Welt, die nach dem Anschlag auf das World Trade Center jegliche Toleranz gegenüber der fundamentalistischen Botschaft ablehnte. Sollte ein weiterer Angriff unter Beteiligung saudischer Nationalisten stattfinden, würde die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung eine kriegerische Besetzung des Öl exportierenden Landes befürworten. Die Haltung der westlichen Welt war in letzter Zeit um einiges klarer geworden: Es gab zwei Arten von Menschen in der Welt — Freunde oder Feinde. Freundschaft wurde belohnt — Feinde waren rigoros auszulöschen.