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»Okay. Die tragen wir noch oft genug. Und jetzt gehen wir in die Stadt, ja?«

Wir zogen uns wieder unsere eigenen Sachen an und gingen auf den Korridor.

Dort begegneten wir vier Jungen in unserem Alter. Sie mussten gerade aus der Sporthalle gekommen sein, da sie Trainingsanzüge trugen, ihre Taschen über die Schulter geworfen hatten und ihre Haare noch nass vom Duschen waren.

»Neulinge!«, freute sich einer. Es war sofort zu sehen, dass es der Anführer war. Er war größer und stärker als seine Freunde. »Ihr wohnt also auch hier?«

»Ja!« Lion schob mich plötzlich zur Seite und ging voran. »Hier.«

»Na dann, ihr müsst euch noch anmelden«, meinte der Junge. »Ist das klar?«

»Eine Schlägerei?«, fragte Lion ruhig.

Der Junge nickte.

»Ich bin dabei!«, stimmte Lion zu.

Ich bekam einen Schreck. Ich mag keine Schlägereien. Ich hatte mich bisher vielleicht fünfmal geschlagen, na ja, wenn man meine ganz frühe Kindheit nicht mitzählt.

Was für eine dumme Angewohnheit! Bevor man Freundschaft schließt, muss man sich erst einmal schlagen!

»Fangen wir an!«, forderte währenddessen der Junge. Er warf seine Tasche auf den Boden und schritt auf Lion zu.

Irgendetwas war geschehen. Es sah aus, als ob Lion auf der Stelle leicht nach oben gesprungen und wieder erstarrt wäre.

Sein Gegner, einen Kopf größer als er, fiel auf den Boden und drückte beide Handflächen gegen sein Gesicht.

Aus der zerschlagenen Nase floss Blut. Der Junge jaulte leise wie ein beleidigter Welpe.

»Will noch jemand?«, fragte Lion. Seine Stimme hatte sich verändert, wirkte kalt und bösartig. »Dem Zweiten breche ich den Kiefer!«

Die Jungs erstarrten. Auf Lion schauten sie nicht etwa mit Furcht, sondern mit Unverständnis.

»Bringt ihn zum Sanitäter. Du«, Lion zeigte auf einen der Jungs, »bist dafür verantwortlich.«

Weitere Worte wurden nicht gewechselt. Zu dritt fassten sie ihren Freund, halfen ihm beim Aufstehen und schleppten ihn durch den Korridor. Das Blut tropfte in dicken Tropfen aus seinem Gesicht, über den Teppich zog sich eine Spur dunkler Flecken.

»Sag mal, bist du verrückt geworden?«, zischte ich. Ich erinnerte mich nämlich daran, dass mich Lion bei unserem ersten Treffen gefragt hatte, ob wir uns schlagen würden.

Er hätte mich doch nicht etwa so zusammengeschlagen!

Lion wandte sich um. Sein Gesicht war betrübt, zeigte aber kein Schuldbewusstsein.

»Das war notwendig, Tikkirej, lass uns gehen!«

Ich fing keinen Streit mit ihm an. Wir gingen schweigend durch den Korridor nach unten, am Wachmann in seiner Bude vorbei und traten auf den Schulhof.

»Du bist völlig übergeschnappt!«, sagte ich voller Überzeugung und stieß Lion in den Rücken. »Warum hast du das gemacht?«

Lion lief schnell weiter, wedelte mit den Händen und antwortete erst, als wir außerhalb des Geländes waren. Dann murmelte er:

»Das war notwendig.«

»Aber warum denn?«, schrie ich. »Ja, wir hätten uns geschlagen, aber warum denn so…«

»Ich habe mich an meine Träume erinnert«, schnitt mir Lion das Wort ab.

»Was haben die denn damit zu tun?«

»An die Träume«, wiederholte Lion. »Von der Grundausbildung. Wie ich mich genauso… ›anmelden‹ musste. Glaub nicht, dass es ihnen um eine normale Schlägerei ging! Sie wollten uns zusammengeschlagen. Aber so habe ich sie aus dem Konzept gebracht. Jetzt werden sie uns in Ruhe lassen.«

»Du hast trotzdem kein Recht dazu! Vielleicht haben sie auch irgendetwas geträumt?«

»Dasselbe«, bekräftigte Lion. »Das genau braucht Inej, verstehst du? Um Kampfgeist anzuerziehen. Wirkliche, abgehärtete Kämpfer. Und genau das geschah in allen Heldenserien, erinnerst du dich? Wenn ein junger Mann zur Armee kommt, wird er erst einmal zusammengeschlagen und dann schließt er mit allen Freundschaft.«

»Wir sind nicht in der Armee, wir sind im College! Denkst du, jetzt werden wir noch mit irgendjemandem Freundschaft schließen können?«, fragte ich ironisch. »Alle werden sich vor dir fürchten!«

»Kann gut sein«, gab Lion zu. »Aber anderenfalls würden wir jetzt im Krankenhaus liegen. Nicht nur dieser Kerl hier!«

Er hatte letztendlich Recht. Denn Lion erinnerte sich an seine Träume und ahnte, wie sich die anderen Jungs benehmen würden. Aber wenn ich bedenke, wie er mit einem Schlag den kräftigen Kerl umgelegt hatte, war mir schon mulmig zumute.

»Wo hast du gelernt, so zuzuschlagen?«, wollte ich wissen.

»Im Traum.« Lion kicherte. »Sie könnten das auch, verstehst du das? Sie wissen es nur noch nicht. Zeig ihnen jedoch nur einmal die Griffe — und sie können es sofort.«

»Weißt du«, meinte ich, »wenn du dich die ganze Zeit an deine Träume erinnerst und dich genauso benimmst wie in ihnen, dann wirst du irgendwann verrückt. Oder du wirst wirklich… eiskalt.«

Lion blieb endlich stehen und hörte mir zu.

»Gefällt es dir, so zu sein?«, fragte ich. »Nummer eins — die Nase ist gebrochen. Zwei — Kommandos werden erteilt. Dann mach nur weiter Karriere! Erobere das Imperium für Frau Snow!«

»Es gefällt mir nicht«, sagte Lion schuldbewusst. »Mir war, als ob in meinem Kopf irgendeine Verbindung zustande käme. Ich erinnerte mich daran, was alles passieren würde. Dass sie uns zusammenschlagen, danach ins Lazarett schleppen, dann bestraft werden — und zum Schluss werden wir Freunde. Und ich fühlte so eine Wut! Ich werde es nicht noch einmal machen.«

»Komm, wir suchen jetzt lieber ein Geschäft!«, entspannte ich die Situation. »Ich muss noch eine Batterie kaufen.«

»Hm.« Lion nickte und lächelte zustimmend. »Gehen wir!«

Neben der Moschee fanden wir einen Laden. Hauptsächlich wurden dort Bücher, Gebetsteppiche, spezielles Essen für Gläubige und unauffällige Kleidung verkauft. Es gab jedoch auch eine Abteilung mit allem möglichen Kleinkram für den Bereich Elektronik, darunter Batterien. Ich blätterte einen Katalog durch, wählte eine Batterie für Schraubenzieher und andere Werkzeuge aus. Da fiel mir ein, dass ich gar kein Geld hatte.

»Mama hat mir am Morgen etwas zugesteckt«, erriet Lion. »Hier.«

Ich bezahlte und nahm die kleine, schwere Metalltablette in Empfang.

»Du werkelst wohl gern?«, fragte der Verkäufer lächelnd.

»Hm«, erwiderte ich. »Besonders Löcher bohren.«

Wir gingen wieder auf die Straße, fanden eine ruhige Gasse, in der sich niemand aufhielt und auf die keine Fenster hinausgingen. Ich löste meinen »Gürtel« und drückte ihn mit der Hand. Die Schlange lebte auf. Die »Schnalle« verdickte sich langsam und verwandelte sich in einen Schlangenkopf. Ich versuchte mir vorzustellen, wie ich eine Batterie in das Schlangenschwert einsetze, und an der Seite öffnete sich ein enger Schlitz. Dort hinein steckte ich die Batterie.

Es schien, als ob ein Krampf durch den Körper ging. Der Schwanz der Schlange schlug nach oben und berührte meinen Neuroshunt. Plötzlich hörte ich Musik, Gesprächsfetzen — nicht akustisch, sondern über den Shunt. Die wiederbelebte Schlange scannte den Luftraum und übertrug mir Radiosendungen, Telefongespräche und allen möglichen Unsinn.

»Mensch!«, rief Lion begeistert aus.

»Das ist nicht nötig!«, flüsterte ich der Waffe zu. »Geh in Warteposition!«

Die Schlange kroch sofort aus dem Shunt, verflachte sich und erstarrte. Ich band mir den Gürtel wieder um. In diesem Moment hielt ein an der Gasse Vorbeigehender inne und schaute mich Verdacht schöpfend an:

»Ei-ei-ei, schämst du dich nicht? So ein großer Junge!«

»Ich mache den Gürtel weiter, die Hosen drücken!«, rief ich und wurde rot. Der Passant schaute mich zweifelnd an, fand jedoch nichts Verdächtiges.

»Warum beschimpfen Sie ihn?«, setzte sich Lion für mich ein. »Es war ihm ganz einfach peinlich, auf der Straße seine Hosen zu richten!«

Die Erklärung hörte sich glaubhaft an.

»Entschuldige, junger Mann!«, sagte der Passant einsichtig. »Ich wollte dich nicht beleidigen, mein Lieber.«

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