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Anstelle von drei Minuten ließ er uns zehn fahren. Danach hatte ich die Zeit verglichen. Fünf Minuten lang war es lustig, dann begannen alle zu schreien und darum zu bitten, dass er das Karussell anhalten sollte. Der Mann tat jedoch so, als ob er uns nicht verstehen würde, winkte uns zu und lächelte. Als er das »Himmelsschiff« endlich anhielt, hatten zwei Jungs nasse Hosen. Laufen konnte niemand, wir mussten abgeschnallt und nach draußen geschleppt werden.

Einer hatte geheult und damit gedroht, sich bei der Stadtverwaltung zu beschweren. Aber der Betreiber des Karussells meinte, dass wir selber schuld wären. Wir wollten mehr vom Allgemeingut bekommen, als uns zustand. Also erhielten wir eine nützliche Lehre — niemals etwas Überflüssiges einzufordern.

Wir beschwerten uns nicht.

Jetzt gab es niemanden, bei dem wir uns hätten beschweren können. Wir wurden gedreht, durcheinandergeschüttelt und — geschaukelt. Ich hätte liebend gern die Augen geöffnet und geschaut, ob es noch weit bis zur Erde war und was sich unter unseren Füßen befand — Wald, Wasser oder Felsen. Aber mit offenen Augen wurde mir noch schlechter…

Trotzdem fühlte ich die Annäherung an die Oberfläche. Als ob sich etwas in der Bewegung der Kapsel veränderte, vielleicht wurde das Schütteln stärker, vielleicht verlangsamte sich die Drehbewegung.

Auf einmal schabte etwas an uns — die zirkulierende Kapsel riss Zweige ab. Einige Minuten flogen wir über dem Wald und schnitten die Baumkronen ab wie die Klinge eines riesigen Rasenmähers. Dann drehte sich die Kapsel auf die Seite, knickte Baumstämme, wobei uns jeder Schlag schmerzte, und rollte wie ein Rad durch den Wald. Jetzt öffnete ich die Augen und erblickte gigantische Baumstämme, Gras, dichte Sträucher und einen unergründlich blauen Himmel (waren wir wirklich eben noch da oben?) sowie über dem Wald kreisende Vögel… Die Kapsel rollte, fällte dabei noch einige Bäume, kam zum Stillstand und kippte langsam mit dem Boden nach oben um.

Wir hingen in unseren Grasgurten. Alles vor unseren Augen war verschwommen und drehte sich, vor uns tanzten helle, bunte Sterne.

»Lebst du noch?«, fragte Lion leise.

»Hm…«, erwiderte ich und mir wurde erneut schlecht. In diesem Zustand hingen wir bestimmt noch fünf Minuten. Wir waren nicht fähig, uns zu bewegen.

Dann begannen wir, die Riemen zu lösen. Es fiel uns schwer, aber wir schafften es. Es gelang uns jedoch nicht, die Luke aufzuschrauben. Sie war von außen zugeschmolzen und hatte sich fest mit dem Körper der Kapsel verbunden.

»Ich habe schon befürchtet, dass wir in unsere Einzelteile zerlegt werden«, beklagte sich Lion. »Hast du die Berge gesehen? Zehn Kilometer haben gefehlt.«

»Welche Berge?«

»Sicherlich die Charitonow-Kette«, sagte Lion nachdenklich. »Das bedeutet, dass wir an der Nordgrenze der Landezone aufgesetzt haben. Nicht schlecht, sogar gut… Dann haben wir es nicht weit.«

Ich klopfte die Eishülle ab: »Wenn sie nur schmelzen würde!«

»Wir müssen uns gedulden.« Lion kam mit Mühe und Not in die Hocke und zog den Kopf ein, um sich nicht an der Luke zu stoßen. »Mensch, wie mein Rücken wehtut! Ich habe mich noch ganz zum Schluss gestoßen!«

»Bei mir scheint alles in Ordnung zu sein…«

Wir saßen uns gegenüber und schwiegen. Uns war immer noch schwindlig. Und wir wollten natürlich so schnell wie möglich nach draußen.

Nach ungefähr zehn Minuten fiel mir der erste Tropfen in den Nacken. Das Eis begann zu tauen.

»Tja, wir werden erfrieren!«, meinte Lion fröhlich.

Wir erfroren natürlich nicht.

Der Tropfen verwandelte sich in einen Bach, danach in einen Strom. Das superfeste Eis taute wie ein matschiger Schneeball im warmen Zimmer. Nach zwei Minuten stand uns das Wasser bis zum Knie. Da aber sprang die Kapsel auf und brach in zwei Teile auseinander. Mit einem fröhlichen Aufschrei warfen wir uns ins Freie.

Unter unseren Füßen knirschte Eis. Am Himmel lärmten die Vögel. Das Tauwasser verteilte sich und wurde von der weichen Grasnarbe aufgesogen. Ein breiter Streifen zog sich zwischen den Bäumen hin, als ob man den Wald gepflügt hätte. Die Luft in unserer Umgebung war gesättigt mit dem Geruch von Harz und Wald, was unsere Stimmung sofort hob. Uns wurde leicht und fröhlich zumute. Wir sprangen um die Kapsel herum, die sich in eine Pfütze verwandelte, schlenkerten mit den Armen und lärmten lauter als die Vögel.

Wir waren gelandet!

»Sommer!«, rief Lion fröhlich aus. »Sommer, Sommer, Sommer!«

Alles war gut gegangen, wir waren gelandet. Selbst wenn uns noch schwindelig war, wenn wir schmutzig und nass und die Beine vom Eiswasser taub waren — das Schlimmste lag hinter uns. Sollte auch Neu-Kuweit von einem schrecklichen Feind erobert worden sein, das kümmerte uns jetzt nicht. Wir befanden uns in einem richtigen, unter Naturschutz stehenden Wald, weit entfernt von der Stadt, und vor uns lagen einige Tage echter Waldabenteuer: Übernachtung am Lagerfeuer, Angeln, mit etwas Glück sogar Regenschauer, Stürme und Raubtiere. Was sind schon die Picknicks auf Avalon im Vergleich zu diesen Wäldern?

»Schau mal, dort ist ein See!« Lion zeigte durch die Bäume. »Wir hatten Glück, wir hätten hineinfallen können…«

Durch die Zweige leuchtete blaues Wasser. Und nicht nur dort, wohin Lion zeigte, sondern auch auf der anderen Seite. Ich rief mir die Karte in Erinnerung, die uns gezeigt worden war — wir befanden uns im »unteren Seengebiet« am Nordhang der Charitonow-Gebirgskette. Hier gab es viele winzige Seen, in der Nähe entsprang das Flüsschen Semjonowka, an dessen Delta sich Agrabad befand. Bis zur Hauptstadt waren es ungefähr einhundertfünfzig Kilometer — das würde funktionieren. Vielleicht müssten wir eine ganze Woche durch den Wald laufen!

»Wollen wir baden gehen?«, fragte ich.

Lion zögerte kurz, dann nickte er.

Also liefen wir zum See und ließen die Kapsel vor sich hin tauen.

Der Wald reichte bis ans Wasser. Es störte uns nicht, dass es keinen Strand gab. Der See war klein, rund, vielleicht dreißig Meter im Durchmesser und das Wasser in ihm schien so blau, als ob es eingefärbt wäre. Wir zogen uns schnell aus und sprangen hinein — es war kalt, aber nach der eisigen Dusche erschien es uns regelrecht heiß. Lion tummelte sich am Ufer und ging nicht tiefer hinein als bis zum Hals. Ich schwamm bis zur Mitte und wieder zurück, ohne mich über Lion lustig zu machen.

Wieder am Ufer wollten wir uns in der Sonne trocknen, die jedoch wie zum Trotz von Wolken verdeckt wurde. Es war sofort kalt geworden.

»Machen wir ein Lagerfeuer?«, schlug Lion vor und klapperte dabei übertrieben mit den Zähnen.

»Warum nicht«, stimmte ich zu und frottierte mich mit meinen T-Shirt.

»Und außerdem müssen wir noch eine Hütte bauen«, schlug Lion vor. »Oder?«

Wir schauten uns an.

»Heute gehen wir nirgendwohin«, meinte ich. »Und morgen auch nicht. Wir haben frei.«

»Stimmt. Aber Hunger habe ich schon.«

Wir beschlossen, uns später um das Essen zu kümmern. Zuerst suchten wir trockene Zweige. Die von der Kapsel gefällten Bäume erwiesen uns dabei einen guten Dienst. Das Lagerfeuer errichteten wir in der Nähe des Ufers. Ich besaß eine halbe Schachtel Streichhölzer, Lion ein Feuerzeug. Das Feuer brannte hervorragend, aber lange am Lagerfeuer zu sitzen war langweilig.

»Ich gehe angeln«, meinte Lion. »Und du kannst dickere Zweige für die Hütte zurechtschneiden.«

»Und warum gehst du angeln und ich soll die Zweige schneiden?« Ich war beleidigt. »Kannst du denn angeln?«

»Theoretisch schon«, gab Lion ehrlich zu. »Zu Beginn ist es erforderlich, ein kleines Loch in weicher, feuchter Erde zu graben und die Erdkrumen sorgfältig nach Würmern und Tausendfüßlern abzusuchen. Die gefangenen Insekten werden auf die Spitze des Angelhakens gespießt, wobei darauf zu achten ist, dass sie noch Lebenszeichen von sich geben. Sie werden angespuckt und in einer Entfernung von vier bis fünf Metern vom Ufer ins Wasser geworfen…«

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