Ein Schatten über ihm, Hände unter seinen Achseln — andere Fäuste ergriffen den bewußtlosen Schweden und brachten ihn in Sicherheit.
Grinsend sah Veitch zu, wie Bolitho und Allday unzeremoniös übers Dollbord gehievt wurden.»Wie Sie sehen, habe ich gewartet, Sir.»
Bolitho sank zurück und starrte in den Himmel.»Das war wirklich knapp.»
Allday wrang sein Hemd über Bord aus.»Ich hatte die Lunte auf zehn Minuten geschnitten. Sonst…«Er schwieg.
Schwer und schmerzhaft atmend, wandte Bolitho sich um und sah ihn an. Er sah die Narben auf Alldays Rücken, wo die Peitsche des maurischen Reiters ihn getroffen hatte. Sie waren immer noch blutrot und würden nie völlig verschwinden. Es kam ihm merkwürdig vor: Allday hatte den größten Teil seines Lebens bei der Marine gedient und es doch die ganze Zeit vermeiden können, ausgepeitscht zu werden. Das war in der Marine schon eine beachtliche Leistung. Und jetzt, wegen seines Mutes und seiner unwandelbaren Treue, würde er jene Narben bis an sein Lebensende tragen.
Spontan legte er ihm die Hand auf die Schulter.»Gut gemacht. Ihre Narben da — tut mir leid.»
Allday drehte sich auf der Ducht um und sah ihn an.»Mit Ihnen komme ich noch lange nicht mit, Sir«, grinste er, und seine Müdigkeit schien teilweise zu schwinden.»Ich schätze, Sie haben mehr Narben, als eine Katze Leben hat.»
Auch Bolitho lächelte. Dieser Augenblick gehörte nur ihnen beiden.»Aber keine ist ehrenvoller, mein Freund.»
Veitch hüstelte diskret.»Wohin jetzt, Sir?»
Bolitho zog sich mühsam auf die Heckducht, sah zum schlaffen Segel hoch und dann zur Korvette hinüber. Dort feuerte jemand einen Schuß ab; ein Matrose in ihrem Kutter stand auf und schüttelte die Fäuste hinüber.
Bolitho sagte gelassen:»Sachte, Jungs. Ich weiß ja, wie euch zumute ist. Aber diesmal haben sie nicht auf uns geschossen. Die Besatzung will die Boote stürmen.»
Langsam schien Veitch zu begreifen, was das hieß: ein paar hilflose Offiziere und die entsetzte, rebellische Mannschaft. Bolitho kannte das aus eigener Erfahrung. Hoffentlich hatte Veitch Glück und würde so etwas nie erleben.
«Sie sinkt.»
Die kleine Korvette begann zu kentern; stumm sahen sie zu, wie sich die Decks leerten. Weiße Schaumfedern markierten die Stellen, wo Wrackteile, von der Explosion abgerissen, ins Meer fielen; an der hochstehenden Deckseite hatte sich ein Sechspfünder losgerissen, durchbrach auf der unteren Seite das Schanzkleid und riß verzweifelt um sich schlagende Männer mit ins Meer.
Über die blaue See herüber konnten sie schwach das Schreien hören und das triumphierende Rauschen des einströmenden Wassers. Fast gleichzeitig schlugen die Masten ins Meer, schmetterten zwischen die Schwimmenden und schnitten das eine Boot, dem das Abstoßen gelungen war, in zwei Hälften.
«Für die können wir nichts mehr tun, Sir«, sagte Plowman heiser.
Bolitho schwieg. Der Steuermannsmaat hatte natürlich recht. Ihr Kutter wäre sonst gesunken oder bestenfalls von den zahlenmäßig viel stärkeren Franzosen erobert worden. Das zu wissen, war eins.
Doch darüber einfach zur Tagesordnung überzugehen, war etwas anderes.
Er hörte Midshipman Breen laut aufschluchzen; als er sich umschaute, sah er, daß der Junge auf einem Faß hockte und Larssen, der schwedische Matrose, mit dem Kopf in seinem Schoß lag.
Plowman kletterte zu ihm hin.»Was ist?»
Der Junge sah starr nach achtern zu Bolitho hin und murmelte:»Er ist tot, Sir.»
«Armer Kerl«, sagte Allday und seufzte.»Werft ihn über Bord, Jungs!»
Doch der Midshipman ließ den Schweden nicht los und starrte Bolitho immer noch an.»Aber… Sir… Könnten wir nicht — ein Gebet für ihn sprechen?«Tränen strömten ihm über das sommersprossige Gesicht; er war anscheinend der einzige an Bord, der von dem in geringer Entfernung sinkenden Schiff völlig unberührt blieb und nur an den Mann dachte, der soeben an seiner Seite gestorben war.
Langsam nickte Bolitho.»Tun Sie das, Mr. Breen. «Er wandte sich zu Veitch um und hörte Breens Knabenstimme unsicher durch den Text eines Gebets stolpern, das er einmal gelernt hatte, wahrscheinlich von seiner Mutter. Neben ihm hockte ein Matrose, ein hartgesottener, vielbefahrener Stückführer; er hatte das Halstuch, das er als Sonnenschutz um den Kopf trug, abgenommen und wischte sich die Augen.
«Eine harte Lektion, Mr. Ve itch«, sagte Bolitho leise.
«Aye. «Der Leutnant berührte seinen Arm, aber so vorsichtig, als fürchte er, Breen bei seinem Gebet zu stören.»Da geht sie hin!»
Die Korvette glitt unter die Wasserfläche; einige Überlebende schwammen bereits zielstrebig auf den Kutter zu.
Das Wasser spritzte auf, und Bolitho sah Larssens Gesicht, sehr bleich und verschwommen, zwischen den Wellen. Langsam trieb der Leichnam weg vom Boot.
«Achtung! Rudert an!»
«Verflucht und verdammt!«schrie ein Mann im Boot.»Da kommt noch eine!»
Aus dem Schatten der Küste, aus dem Morgennebel heraus, tauchte ein kleines Rechteck heller Leinwand auf und stand unvermittelt im hellen Sonnenlicht. Ein paar Franzosen, die sich an Wrackstücken und gebrochenen Spieren festklammerten, schrien hurra; doch im Kutter herrschte Totenstille.
Bolitho riß das Kutterteleskop aus der Halterung und richtete es auf das Schiff. Vielleicht stoppte es und nahm die Überlebenden an Bord? Vielleicht kam auch noch rechtzeitig eine Brise auf, die ihnen das Leben rettete.
Plötzlich wurde sein Mund trocken. Dann sagte er:»Beruhigt euch, Jungs. Das ist die Harebell.»
Drüben sammelte Inch das bißchen Wind, das noch da war, sorgfältig unter seinen Rockschößen und brachte die Schaluppe stetig heran; und auch die Boote ließ er bereits klarmachen zum Aussetzen.
Die Korvette war jetzt praktisch gesunken; nur Heck und Trikolore waren noch sichtbar.
Jetzt drehte die Harebell in den Wind, die Boote lagen schon längsseit, und sie näherte sich langsam dem ersten Pulk Schwimmer. Eine Jolle hielt rasch auf den Kutter zu; ein junger Leutnant erhob sich im Heck, um sie anzurufen, das Gesicht rot vor Wut.
«Sie sind ein verdammter Feigling, M'sieur! Haben noch ein Boot und lassen Ihre Leute absaufen!»
Die Jolle kam näher; Allday, kaum fähig, sein breites Grinsen zu verbergen, rief durch die hohlen Hände:»So begrüßen Sie Ihren Kommodore? Achtung, da im Boot!»
Eifrige Hände streckten sich aus, um die Boote aneinanderzuzie-hen, und Bolitho kletterte hinüber zu dem jetzt aus Verlegenheit errötenden Leutnant.»Vor ein paar Minuten hatte ich sogar noch ein ganzes Schiff, Mr. McLean«, sagte er ruhig und klopfte ihm auf den Arm.»Aber ich kann mir denken, wie das für Sie ausgesehen hat!»
Als sie längsseit der Schaluppe waren, sah Bolitho, was sein plötzliches Erscheinen für Aufregung verursacht hatte. Der ganz verwirrte Leutnant McLean hatte ihm bereits erklärt, daß die Hare-bell mit Depeschen für den Admiral nach Gibraltar unterwegs sei. Commander Inch hatte anscheinend auf eigene Faust einen Umweg gemacht — es hätte ja sein können, daß er die Segura sichtete — , auch wenn das nur eine schöne Geste war und man die Hoffnung längst aufgegeben hatte.
Bolitho schwang sich über das Schanzkleid und wurde von dem strahlenden Inch begrüßt, dessen Stimme aber im Chor der jubelnden Matrosen völlig unterging. Er drückte Bolithos Hand; sein Pferdegesicht glänzte vor Freude und Erleichterung, und alle drängten sich heran, um ihrem wiedergefundenen Kommodore auf die Schulter zu klopfen.
Aber Veitch mischte sich ein:»Erst ist der Kommodore beinahe am Fieber gestorben — und jetzt hab ich Angst, er wird mir totgeschlagen!»
Zappelnd vor Aufregung ging Inch mit Bolitho nach achtern. Überrascht sah dieser, daß sich eine Frau in der kleinen Kajüte befand, die offensichtlich ebenso überwältigt war wie Inch.
«Das ist Mrs. Boswell, Sir«, sagte Inch.»Unterwegs nach England. Ich soll sie bis Gibraltar mitnehmen.»