Wieder ein lautes Krachen, Staub rieselte von der abgestützten Decke; aber Bolitho nahm sich Zeit, den Degen in die Scheide zu stecken und sich zusammenzureißen, denn Leroux, ohne Hut, mit Blut überm Auge, kam ein paar Stufen herabgelaufen und rief:»Die Lysander ist in Sicht, Sir. Die andere Batterie hat das Feuer eröffnet, aber diese hier hat sich ergeben. «Er seufzte schwer.»Hören Sie nur meine Jungs! Dieses Hurra ist Belohnung genug.»
Wieder ein krachender Abschuß; Bolitho zuckte zusammen.»Drehen Sie eins der Geschütze um und zielen Sie auf die andere Batterie. Heiße Kugeln werden wohl auch noch da sein.»
Frisch schlug Bolitho draußen die Salzluft ins Gesicht. Hurra rufend stürmten die Seesoldaten über die Wälle und feuerten im Laufen auf die andere Batterie. Bolitho kümmerte sich nicht um die vorbeipfeifenden Kugeln, er starrte nur auf die hohe Segelpyramide, die aus dem Meere selbst aufzusteigen schien.
Der Vierundsiebziger glitt ganz langsam in die Bucht hinein; der Rumpf lag noch im Schatten. Herrick kam, er hatte es ja gewußt. Keine Batterie der Welt konnte ihn daran hindern, den Angriff planmäßig auszuführen, oder ihn von dem Versuch abhalten, wenigstens die Landeabteilung zu retten.
Ein Kanonenschuß krachte von der Batterie; Bolitho knirschte mit den Zähnen, denn eine hohe Wassersäule stieg nahe am Rumpf seines Schiffes auf. Zu nahe!
«Treiben Sie Ihre Männer an, Major! Die See ist unser einziger Ausweg, sagen Sie ihnen das!»
VI Angriff im Morgengrauen
«Kurs Nordost liegt an, Sir!«meldete der Rudergänger halblaut.
«Recht so. «Ruhelos ging Herrick zur Luvseite des Achterdecks hinüber und spähte zum Land.
Als er sich wieder umwandte und das Hauptbatteriedeck musterte, stellte er fest, daß er einige Geschützbedienungen schon ganz deutlich erkennen konnte, obwohl es auf den ersten Blick noch so dunkel schien wie zuvor.
Er ging nach achtern, wo Grubb beim Ruder stand, mit Plow-man, seinem besten Steuermannsmaaten, neben sich.
«Jetzt müßte bald ein Signal kommen, Mr. Grubb.»
Er hätte lieber schweigen und seine Nervosität verbergen sollen. Aber die vorsichtige Annäherung der Lysander an das im Dunkel liegende Land dauerte so endlos lange. Ebenso gespannt wie er waren die Männer bei den Kanonen, auch die an den Brassen und Schoten — vielleicht kam im letzten Moment noch der Befehl zum Halsen.
Ab und zu hörte er auch aus den Rüsten des Vorschiffs den Ruf des Lotgasten und das Klatschen, wenn er das Lot wieder auswarf. Daß sie ihr Angriffsziel verfehlten, war ausgeschlossen. Bei dem stetigen Wind, der von backbord achtern kam, bei der Wassertiefe, die mit den Angaben auf der Karte übereinstimmte, und außerdem dank Grubbs Ortskenntnis war kein Zweifel möglich.
Der Master sah noch formloser aus als sonst; er hatte die Arme tief in den Falten seines schweren Mantels versteckt.
«Mr. Plowman hat mir nochmals versichert, Sir, daß er die Landeabteilung auf den richtigen Weg gebracht hat. Es gab keinen Alarm — nicht ein Schnurrbarthaar von einem Don war zu sehen. «Er schüttelte den Kopf und schloß finster:»Sie haben ganz recht, Sir. Das Signal müßte längst gegeben worden sein.»
Widerstrebend ging Herrick wieder nach vorn zum Fuße des mächtigen Großmastes, wo Fitz-Clarence stand und das Hauptbatteriedeck im Auge behielt.
«Zu verdammt ruhig alles, «sagte Herrick. Er versuchte, sich vorzustellen, was mit Bolitho und den Marine — Infanteristen geschehen konnte. Vielleicht hatten sie sich versteckt, vielleicht waren sie gefangen oder sogar schon tot.
Fitz-Clarence wandte sich um und sah ihn an.»Es wird schon heller, Sir. Viel heller. «Er hob den Arm und deutete zum Land.
Auch ohne den Hinweis hatte Herrick bemerkt, daß die sie umgebende Dunkelheit sich etwas lichtete; sogar ein bogenförmiges Stück sandigen Strand konnte er erkennen und die Brandung am Fuß der Klippen. Die Lysander stand sehr dicht unter der Küste, aber die Wassertiefe reichte aus. Zu jeder anderen Zeit wäre es der perfekte Anmarsch zum Angriff gewesen, unter idealen Bedingungen, wie sie sonst selten vorhanden waren.
«Zehn Faden!»
«Der Landarm muß ganz dicht an Steuerbord voraus liegen, Sir«, murmelte Grubb bestätigend und hustete tief in der Kehle.»In 'ner halben Stunde können wir hinspucken.»
Unter der Achterdecksreling lachte ein Matrose kurz auf, und der Stückführer wies ihn mit einem Schimpfwort zur Ruhe.
Die Matrosen waren seit dem vorigen Abend in den Quartieren gewesen; sie hatten gesehen, wie die Boote abgefiert wurden und sich auf die Fahrt zur Küste machten. Dort unten, und noch mehr in den Tiefen des unteren Batteriedecks tauschten sie sicherlich flüsternd ihre Zweifel aus und machten Witze über die Vorsicht ihres Kommandanten. Doch was würden sie sagen, wenn er das Schiff verlor, und sie mit?
«Schade, daß die Verbindung zur Harebell abgerissen ist, Sir«, bemerkte Fitz-Clarence.
Herrick fuhr ihn an:»Kümmern Sie sich um Ihren Dienst, Mr. Fitz-Clarence!»
Es war vielleicht nur eine beiläufige Bemerkung gewesen. Oder wollte der Leutnant damit andeuten, daß es — wenn Herrick schon zu ängstlich war, sich so oder so zu entscheiden, besser gewesen wäre, die kleine Schaluppe den ersten Zug machen zu lassen?
Er tat ein paar Schritte das schrägliegende Deck hinan und spürte, daß die Geschützbedienungen ihm nachsahen, als er vorbeiging. Jedes Geschütz stand geladen und schußbereit hinter seiner geschlossenen Stückpforte. Entersäbel und Beile waren am Schleifstein auf dem Hauptdeck geschärft worden. Herrick kam es vor, als sei das schon tagelang her.
Er sah Leutnant Veiten, der die obere Batterie von Achtzehn-pfündern befehligte, am Niedergang lehnen und mit seinen beiden Midshipmen reden. Vielleicht machte ihnen die ganze Sache nicht viel aus. Jedenfalls wirkten sie wie immer. Dachten wohl, die Sorgen könnten sich andere machen. Wenn sich die Ereignisse überstürzten und man nicht mehr nachdenken konnte, war es sowieso zu spät. Unruhig beobachtete Herrick, wie die erste Morgendämmerung hinter dem Land aufstieg. Er hatte manches Seegefecht mitgemacht, hatte so vieles erlebt und kannte die Erlösung, zu den Überlebenden zu gehören. Aber einer solchen Spannung wie dieser war er nicht gewachsen.
Über dem noch tief verschatteten Deck hörte er Marssegel und Klüver killen und sich dann hungrig wieder mit Wind füllen. Die Bramsegel weiter oben zogen gut; der Ausguck im Masttopp mochte wohl in der kühlen feuchten Morgenluft frieren; jedenfalls sah es so aus, als ob er die Beine zusammenschlug.
Herrick schritt zur anderen Seite des Decks, das ohne die MarineInfanteristen seltsam geräumig wirkte. Er versuchte, sich jeden einzelnen seiner Offiziere vorzustellen, von Fitz-Clarence mit seiner redseligen, falschen Selbstsicherheit bis zu Leutnant Kipling vom unteren Batteriedeck und zu Veitch, der äußerlich gelassen bei seinen Männern unter den bauchigen Segeln stand. Gilchrist und Leutnant Steere waren mit an Land; da war er sowieso knapp an Offizieren. Und die zurückgebliebenen bildeten noch keine Einheit; wie ihre Kanoniere sich unter feindlichem Feuer bewähren würden, mußte sich erst noch herausstellen.
«Siebzehn Faden!»
«Einen Strich anluven, Mr. Grubb!«sagte Herrick.»Aye, aye, Sir.»
Die Männer rannten zu den Brassen, doch Herrick hörte nicht auf das eilige Trappeln ihrer nackten Füße. Er hatte eine Vorentsche i-dung getroffen, aber es war immer noch Zeit, sie zu ändern. Er dachte an das Geschwader und besonders an Captain Farquhar. Farquhar hatte seine Instruktionen: Mit dem anderen Zweidecker und der Buzzard als Flankenschutz würde er ihnen auf ein Signal hin sofort zu Hilfe kommen. Dazu mußte es allerdings so hell sein, daß sie Verbindung mit der Harebell herstellen konnten. Herrick schüttelte sich, plötzlich deprimiert: Das alles brauchte so viel Zeit. Zu viel Zeit. Bolitho und sein Landekommando hatten nicht wie vorgesehen signalisiert. Die Lysander ohne Nachricht von der Küste und ohne Unterstützung vor die Batterie in der Bucht zu segeln, war purer Wahnsinn. Bolitho selbst hatte das ganz klar gesagt.