«Geben Sie noch nichts zu, Thomas. Nicht einmal Farquhar hätte so schnell segeln können, daß er jetzt aus Nordwest kommt!«Er griff nach seinem Hut.»Inch muß die Brigg zwar aus den Augen verloren haben, aber, bei Gott, jetzt hat er uns größere Fische zugeführt!»
Zweifel und Spannung im Gesicht, eilte Herrick hinter Bolitho her. Es war sehr hell auf dem Achterdeck; die Sonne stand fast senkrecht über dem Großmast. Bolitho nickte Veitch zu, der die Wache hatte, ging dann an die Luvseite und starrte über das Vorderkastell hinaus zur glitzernden, dunstigen Kimm.
«Signal an Harebell!«rief Herrick.»>Rekognoszieren. In Lee bleiben.<»
In buntem Durcheinander schleiften die Signalflaggen über das Deck, bis sie endlich zu Luces Zufriedenheit richtig angesteckt waren und sich an der Rah entfalteten.
«Harebell hat bestätigt, Sir!»
Säuerlich bemerkte Herrick:»Gehört sich auch so. Francis Inch war noch immer zu schnell mit den jungen Pferden. «Trotz seiner Nervosität grinste er.»Dieser Tollkopf!»
Langsam vergingen die Minuten, und die Matrosen, die kurz vorher nur an ihr Mittagessen gedacht hatten, so armselig es auch sein mochte, standen gruppenweise an den Wanten und auf den Laufbrücken und starrten der winzigen, weit entfernten Schaluppe entgegen.
Luce war in die Luvwanten aufgeentert und balancierte mit seinem Glas die Schiffsbewegungen aus. Unten stand Pascoe und sah zu ihm hoch, die Augen im grellen
Sonnenlicht zusammengekniffen, Hände in den Hüften. Vielleicht erinnert er sich an seine Zeit als Signal-Midshipman, dachte Bo-litho.
Grubb bemerkte sarkastisch:»Wenn wir noch zwei Prisen machen, werden uns die Offiziere aber verdammt knapp!»
Luces Ruf ließ das Gemurmel an Deck schlagartig verstummen.»Von Harebell, Sir: >Feind in Sicht
Langsam ging Bolitho zum Kajütniedergang und stützte sich auf das Geländer. Im Geiste sah er sie bereits entlang der Küste auf sich zukommen. So hatte er sie schon längst gesehen, bevor die Schaluppe sie gemeldet hatte; vielleicht schon, als Luce in die Kajüte gekommen war.
«Signalisieren Sie Inch, er soll zur Segura aufschließen«, sagte er und hielt inne, als er ihre Gesichter sah, in denen sich Skepsis und Erregung mischten.»Wenn er näherkommt, können Sie ihm signalisieren, er soll die Prise in Lee lassen. Wenn's irgend geht, wollen wir sie nicht verlieren.»
«Und wir, Sir?«fragte Herrick.
Wieder rief Luce eine Meldung:»Von Harebell, Sir: >Zwei Lini-enschiffe!<«»Wir, Thomas?»
Herrick kam näher, damit ihn die umstehenden Offiziere nicht hören konnten.»Nehmen wir es mit beiden auf?»
Bolitho deutete zur Kimm.»Sehen Sie sonstwo noch ein Schiff, Thomas?»
Gilchrist kam mit seinem merkwürdighüpfenden Gang eilig nach achtern und sah Herrick direkt ins Gesicht.»Ihre Befehle, Sir?»
Gelassen sagte Bolitho:»Klar Schiff zum Gefecht! Zehn Minuten haben Sie Zeit!»
Gilchrist stelzte hinweg und winkte mit seinen langen Armen heftig dem Trommeljungen der Marine-Infanterie.
Bolitho wandte sich wieder Herrick zu.»Und lassen Sie die Bramsegel setzen, Thomas. Der Feind soll sehen, daß wir scharf auf den Kampf sind. «Er hielt ihn beim Arm zurück.»Unbeschadet unserer insgeheimen Gefühle, ja?»
Er ging zur Kampanjeleiter und stieg hinauf. In seinem Rücken erklang das Stakkato der Trommeln und unmittelbar darauf das
Getrappel eilender Füße: die Mannschaft der Lysander folgte dem Alarmruf.
Bolitho lehnte sich an die Reling und beschattete die Augen, um den sich verändernden Umriß der Schaluppe besser sehen zu können: sie wendete gerade und kämpfte sich hoch am Wind zum Flaggschiff zurück. Jetzt mußte sich der Feind bald zeigen.
Bolitho überlegte. Dies wurde sein erstes Seegefecht seit einem Jahr. Er beobachtete den Dunst um die Masten der Harebell und dachte an frühere Schlachten. Warum hatte er eigentlich mehr Segel setzen lassen? Um die Entscheidung zu beschleunigen, ob sich seine eigene Stärke oder Schwäche erweisen würde?
Unter Deck wurden die Trennwände herausgenommen, geräuschvoll wurden Geschütze und Luken klariert. Seit seinem zwölften Jahr gehörte das zu Bolithos Leben, war er stets mittenda-rin gewesen, hatte er alles mitgemacht, was ein Seegefecht an Erregung und Gefahr brachte.
Er musterte die Männer, die auf dem Hauptbatteriedeck an ihren Kanonen hantierten, die Marine-Infanteristen, die im Gleichschritt wie bei der Parade zu beiden Seiten der Kampanje aufmarschierten.
Jetzt mußte er sich als der Kommodore erweisen. Er lächelte grimmig.
Ein Kommodore ohne Geschwader.
VII Alle in einer Mannschaft
«Schiff klar zum Gefecht, Sir. «Gilchrists Miene war undurchdringlich.»In neun Minuten genau.»
Bolitho hörte nicht, was Herrick darauf antwortete. Gelassen schritt er zur Luvseite. Das mächtige Großsegel war aufgegeit, jedes sichtbare Geschütz bemannt und ladefertig. Eine drohende, gespannte Atmosphäre lag über dem Schiff.
Herrick trat zu ihm und faßte an den Hut.»Abgesehen von sieben Kranken beziehungsweise Verletzten ist die Mannschaft vollzählig auf Stationen, Sir. Soll ich Befehl zum Laden und Ausrennen geben?»
«Später. «Bolitho nahm ein Teleskop vom Gestell und richtete es nach Backbord voraus. In der prallen Sonne glitzerte die See so stark, daß es in die Augen biß: wie Millionen kleiner Spiegel, mehr silbern als blau. Er richtete sich starr auf: zuerst glitt ein Schiff, dann das zweite durch die Linse.
Herrick sah ihn immer noch so forschend an, als suche er etwas in Bolithos Miene. Vielleicht ihrer aller Schicksal.
«Vierundsiebziger, schätzungsweise«, sagte Bolitho.»Bei diesem Wind müssen sie sich schwertun. «Er richtete das Glas auf das vorderste Schiff. Es drehte jetzt etwas ab und zeigte seine ganze Länge, die doppelte Linie der Stückpforten. Die Segel standen noch nicht richtig und warfen wandernde Schatten. Der Steuermann gab sich anscheinend die größte Mühe, die Segel voll Wind zu halten, bis er den Kurswechsel beendet hatte.
«Sie segelt sich schlecht, Thomas«, sagte er. Er biß sich auf die Lippe und versuchte sich vorzustellen, wie der Feind seine Lysan-der sehen mochte. Es würde noch eine Stunde dauern, bis sie aneinandergerieten. Um gegen zwei starke Vierundsiebziger eine Chance zu haben, mußte er den Windvorteil behalten, mindestens bis er den einen voll unter Feuer nehmen oder zwischen beiden durchstoßen konnte.»Zu lange im Hafen gewesen, vielleicht. Genau wie wir brauchen sie allen Drill, den sie kriegen können«, schloß er nachdenklich. Dann beobachtete er, wie die schlanke Harebell auf konvergierendem Kurs vor ihrem Bug vorbeizog; ihre Offiziere standen schräg auf dem kleinen, stark geneigten Achterdeck. Bolitho glaubte, Inch zu sehen, der den Hut schwenkte, doch vergaß er ihn, als Luces Leute der Harebell signalisierten, ihre Station einzunehmen — als bloßer Zuschauer oder — schlimmstenfalls — als Überlebender, der dem Admiral oder Farquhar die Nachricht überbringen konnte. Bolitho trat zur Querreling und überschaute das Hauptdeck. Jetzt kam das schlimmste: das Warten. Schade, daß nur die Hälfte der Mannschaft Zeit zum Essen gehabt hatte, ehe sie gefechtsklar gemacht hatten.»Haben wir noch Bier, Thomas?«fragte er. Herrick nickte.»Ich glaube, ja. Bloß wird der Zahlmeister es jetzt nicht gern ausgeben wollen.»
«Nun — er kämpft ja nicht. «Bolitho sah, wie sich die Geschützbedienungen in der Nähe über diese Bemerkung amüsierten. Er wandte sich ab. Es war ein wohlfeiler Trick zur Hebung der Kampfmoral, aber mehr hatte er nicht zu bieten.
Wieder überquerte er das Achterdeck und stützte den Fuß auf einen Neunpfünder. Der Geschützführer blickte zu ihm auf und tippte grüßend mit dem Handknöchel an die Stirn. Bolitho lächelte ihm zu. Der Mann war schon älter oder sah wenigstens so aus. Seine harten Hände waren teerfleckig, die Arme mit blauen, komplizierten Tätowierungen bedeckt.