«Und wie heißt Ihr?«fragte er.
Der Mann zeigte seine unregelmäßigen Zähne.»Mariot, Sir. «Er zögerte, zweifelnd, ob es angebracht sei, sich mit dem Kommodore zu unterhalten, sagte dann aber doch:»Hab noch unter Ihrem Vater gedient, Sir, auf der alten Scylla.»
Bolitho starrte ihn an. Ob Mariot ihm das jemals erzählt hätte, wäre er an einem anderen Geschütz gewesen, irgendwo im Schiff?
Er fragte:»Wart Ihr auch dabei, als er den Arm verlor?»
Mariot nickte; seine ausgeblaßten Augen sahen in die Ferne.»Aye, Sir. War ein feiner Mann, hab nie unter einem besseren gedient. «Er grinste verlegen.»Außer Ihnen, Sir.»
Mit fragendem Blick trat Herrick heran.
«Der Mann hat schon unter meinem Vater gedient, Thomas«, sagte Bolitho und schaute mit beschatteten Augen nach dem Feind aus.»Was die Kriegsmarine doch für eine kleine Welt ist!»
Herrick nickte.»Wie alt seid Ihr?«fragte er Mariot.
Der Mann schüttelte den Kopf.»Weiß nich' genau, Sir. «Er strich über das Bodenstück der Kanone.»Aber noch jung genug für die kleine Lady hier!»
Langsam schritt Bolitho auf und ab, ohne auf die frohen Rufe zu hören, mit denen das erste Bier begrüßt wurde. Alles in einer Mannschaft: Hier ein Mann, der mit seinem Vater in Indien gewesen war. Dort Allday, sein vertrauter Bootsführer und Freund, den ihm ein Preßkommando vor langer Zeit an Bord gebracht hatte. Herrick, einst junger Leutnant unter ihm; und Adam Pascoe, der einzige Sohn seines Bruders, vielleicht als Bindeglied zwischen ihnen allen.
Herrick unterbrach seine Grübeleien.»Der Feind mag ja schlecht segeln, Sir, aber mir war's doch lieber, wir hätten ein bißchen Unterstützung. Und wenn's nur eine Fregatte wäre, die sie in ihre verdammten Ärsche beißt.»
Bolitho blieb an den Netzen stehen und merkte erst jetzt, daß er schweißgebadet war.»Lysander hat vierhundert Jahre vor der Geburt unseres Herrn die Flotte der Athener bekämpft und geschlagen, wenn ich meinem alten Lehrer glauben will. «Er lächelte Herrick an.»Er wird uns bestimmt heute nicht im Stich lassen. «Etwas leiser fuhr er fort:»Nehmen Sie sich zusammen, Thomas, die Leute beobachten Sie. Ein Zeichen von Skepsis, und wir könnten verloren sein.»
Herrick nahm die Hände auf den Rücken und drückte das Kinn an die Halsbinde.»Aye. Entschuldigen Sie. Seltsam, daß man sich niemals an das gewöhnt, wofür man sein Leben lang ausgebildet wurde: an den Anblick eines feindlichen Segels, das Krachen einer Breitseite, an das Weiterkämpfen, bis der Feind die Flagge streicht oder man selbst untergeht. «Dann wurde sein Ton so bitter, wie Bolitho es noch nicht an ihm kannte:»Diese feinen Leute in England, die schon vor Rührung heulen, wenn sie nur zusehen, wie ein Schiff des Königs in See geht, haben keinen Gedanken übrig für die armen Teufel vor dem Mast, die krepieren, damit sie daheim ruhig schlafen und sich den Bauch vollschlagen können!»
Bolitho hörte ihm unbewegt zu. Jetzt kam der alte Herrick wieder zum Vorschein: stets bereit, sich für den kleinen Mann einzusetzen, ganz egal, wie sehr das seine Vorgesetzten ärgern mochte. Das war wohl auch der Grund, weswegen er im Dienstrang noch nicht viel über dem Fregattenkapitän stand.
«Und Ihre Schwester, Thomas«, fragte er,»wie geht es ihr?»
Herrick riß sich zusammen.»Emily?«Er sah zur Seite.»Unsere Mutter fehlt ihr zweifellos sehr, wenn sie auch zum Schluß allerhand Pflege gebraucht hat.»
Bolitho nickte.»Halten Sie Emily ein Mädchen, das sich um sie kümmert, während Sie auf See sind?»
Herrick wandte sich zu ihm um; er hatte jetzt die Sonne direkt in den Augen.»Wollen Sie auf Mr. Gilchrist zu sprechen kommen, wenn ich fragen darf, Sir?»
«Ich habe davon gehört, Thomas. «Herricks Ton überraschte ihn. Daß er sofort in die Defensive ging…
Herricks Augen sahen in der stechenden Sonne beinahe farblos aus.»Emily ist recht angetan von ihm. Er ist ein verläßlicher Offizier. Manchmal allerdings geht sein Temperament mit ihm durch. «Er senkte den Kopf.»Und was er erreichte, hat er verdient, Sir.«»Wie Sie, Thomas.»
«Gewiß. «Er seufzte.»Emilys Wünsche bedeuten mir viel. Sie hat weiß Gott wenig genug auf dieser Welt.»
«An Deck!«meldete sich der Ausguck.»Vorderstes Schiff setzt mehr Segel!»
Herrick griff sich ein Teleskop und eilte an die Reling.»Hol' sie der Teufel! Die wollen unsere Feuerkraft zweiteilen!»
Bolitho beobachtete ihn und spürte, daß er einerseits fieberhaft darüber nachdachte, wie er sein Schiff in die günstigste Position bringen konnte, andererseits aber noch dem eben geführten Gespräch nachhing.
Scharf fuhr Gilchrist dazwischen:»Die kommen nicht so nahe heran, Sir. Ich glaube eher, sie wollen uns mit Kettenkugeln oder Kartätschen manövrierunfähig schießen und uns dann in aller Ruhe das Heck demolieren.»
«Signal an Harebell: >Wir ändern Kurs nach Südost
«Ob das klug ist?«fragte Herrick heiser.»Wir haben nur knapp drei Meilen Distanz. Wenn wir auf Kurs bleiben, können wir sie vielleicht ausmanövrieren. Der Wind steht für uns so günstig, daß die Frogs[13] Stunden brauchen, ehe sie wenden und hinter uns herkommen können.»
Bolitho nahm ihm das Glas aus der Hand und stellte es auf die beiden Schiffe ein. Weit auseinander segelnd, hielten sie auf den Steuerbordbug der Lysander zu. Dabei hatten sie große Mühe, die notwendige Höhe herauszusegeln; wenn sie nur noch ein bißchen höher an den Wind gingen, mußten sie sich festsegeln. Drei Me i-len? Aber Herrick war schon immer gut im Entfernung schätzen gewesen. Der Bug der Lysander würde fast rechtwinklig auf den Bug des vordersten Zweideckers stoßen, und danach konnte der zweite Franzose so handeln, wie er es für zweckmäßig hielt: entweder nach Backbord abdrehen und eine Breitseite feuern, während die Lysander sich aus der ersten Feindberührung zu lösen versuchte; oder wenden und ihr ungeschütztes Heck kreuzen und beharken, während sie noch im Gefecht waren.
Herricks Vorschlag hätte der Lysander und der Prise eine ausgezeichnete Chance geboten, den Kampf zu vermeiden. Er bedeutete aber auch Flucht, die sich durchaus zu einer langen Verfolgungsjagd entwickeln konnte, in deren Verlauf sie vielleicht einem weiteren Feind in die Arme getrieben wurden. Dieser verdammte Farqu-har! Wenn der Gegner es mit drei Schiffen zu tun bekommen hätte, hätte er sehr rasch seine Taktik ändern müssen.
Bolitho schritt weiter nach achtern und prüfte unter Grubbs forschendem Blick den Kompaß: Kurs Nordost zu Nord lag an, und der freundliche Westwind kam stetig von achtern. Bolitho sah in Grubbs zerklüftetes Gesicht.»Na — hält er sich?»
Grubb rieb sich die wässerigen Augen.»Der Wind, Sir? Aye. Aber ihrer da — «, er deutete mit dem Kopf zur nächsten Geschützmannschaft und zum Oberdeck — ,»bin ich mir nicht so sicher.»
Gilchrist, der eben vorbeischritt, blieb auf der anderen Seite des Ruders stehen und sagte empört:»Aber hören Sie mal, Mr. Grubb! Wenn wir schon vor dem Gefecht zu jammern anfangen, sind wir gleich verloren!»
Grubb sah ihn stur an.»Sie kämpften mit diesem Schiff bei St. Vincent, Sir. Wie ich und andere.»
«Jawohl. «Gilchrist hatte so eine gewisse Art, zu Grubb zu sprechen, doch seine Worte in Wirklichkeit an Bolitho zu richten.»Und ich bin stolz darauf.»
Grubb zuckte die Achseln.»Das war eine ausgebildete Mannschaft. Käpt'n Dykes hatte sein Schiff erstklassig in Schuß. «Er wandte sich an Bolitho. »Sie wissen es ja, Sir. «Er sah Gilchrist nicht direkt an.»Besser als jeder andere, soweit ich unterrichtet bin.»
Sehr nachdenklich schritt Bolitho wieder nach vorn zur Reling.»Haben Harebell und Segura bestätigt?«Mit hüpfenden Schritten stelzte Gilchrist hinter ihm her.»Aye,
Sir.»
«Dann melden Sie mir das gefälligst! Ich bin kein Hellseher, verdammt!«Er zwang sich zur Ruhe.»Führen Sie das Manöver aus! Mr. Grubb, klar zur Halse!»