Er mußte auch die Boote zurückrufen. Das ganze Unternehmen war ein einziger Fehlschlag. Schon wandte er sich an Midshipman Saxby, der bei den Signalgasten stand; da hörte er einen Mann ungläubig ausrufen:»Sir! Auf der anderen Batterie, sehen Sie!»
Von den Rahen und den beiden Batteriedecks kamen Hurrarufe, und als Herrick zum dünnen Fahnenmast über der Batterie starrte, sah er eine Flagge hochsteigen: dieselbe, welche die Lysander führte!
«Ich sehe was Rotes«, murmelte Grubb.»Die verdammten Bullen sind also doch durchgekommen!»
Dann gingen alle Kommentare im Donner einer gewaltigen Explosion unter. Der Schall rollte vom Vorland zu ihnen herab, die Druckwelle ließ Felsbrocken und andere Trümmer auf den Strand regnen und riß einige Soldaten um, welche die Küstenbatterie von unten erstürmen wollten.
Herrick versuchte, sein breites Grinsen zu unterdrücken.»Beidrehen, Mr. Veitch!«Er nickte heftig.»Ja, Sie! Auf einem Kriegsschiff kann man schnell befördert werden!»
Er deutete auf den Transporter. Die Explosion der zweiten Batterie hatte auch dort jeden Widerstand zunichte gemacht, und er konnte sehen, wie Fitz-Clarences Männer über das Deck schwärmten; die spanische Flagge wurde niedergeholt. Lediglich die zweite Brigg war rechtzeitig freigekommen, ihre Segel füllten sich, mit höchster Fahrt versuchte sie, der Zerstörung zu entgehen. Herrick beobachtete sie gelassen. Die Harebell wird sich ihrer annehmen, dachte er.
Mit losen, donnernden Segeln ging die Lysander in den Wind. An Land schwiegen die Musketen und Kanonen, nur Leichen und Trümmer zeugten noch von der Wildheit des Kampfes.
«Mehr Boote aussetzen!«Herrick schätzte die Strömung in der Bucht ab.»Wir müssen vielleicht ankern, aber ich will die Landeabteilung bis auf den letzten Mann an Bord geholt haben!»
Da schrie Saxby:»Der Kommodore kommt den Strand entlang, Sir!«Er hüpfte vor Aufregung.»Und da sind auch die Seesoldaten!»
Herrick packte die Reling und beobachtete den ungeordneten Marsch beinahe ehrfürchtig. Da stand Leutnant Steere bis zum Gürtel im Wasser bei einem Boot, das seine Männer irgendwo aufgetrieben haben mußten. Verwundete wurden hineingetragen; die beiden Kutter eilten von dem eroberten Schiff herbei, um zu helfen.
Grubb schob sich neben ihn.»Daran haben die Dons 'ne Weile zu kauen, Sir!»
Herrick nickte. Ein Schiff versenkt, ein größeres gekapert, die Küstenbatterien zerstört. Er fuhr auf.»Mr. Saxby! Geben Sie mir Ihr Glas!«Grubb starrte ihn an.»Sir?»
Herrick reichte ihm das Glas und sagte ruhig:»Der Kommodore hat seinen Neffen bei sich.»
Der Master stieß einen leisen Pfiff aus.»Und seinen Bootssteurer auch, bei Gott!«Er schob das Teleskop mit einem Klicken zusammen.»Noch mehr Wunder an einem Tag wären zuviel für mich!»
Langsam schritt Herrick über die Laufbrücke. Er konnte die Augen nicht von dem näherkommenden Boot abwenden. Das war eine knappe Sache gewesen, denn beinahe hätte er sich nicht entsche i-den können. Vielleicht hatte Grubb mit seinem Wunder doch recht.
Er sah sich auf dem Achterdeck nach Veitch um.»Klar bei Fallreep zum Empfang des Kommodore!»
Dann kletterte Bolitho durch die Pforte. Sein Gesicht war geschwärzt von fettigem Pulverqualm, aber er lächelte auf die alte Weise, die Herrick schon beinahe vergessen hatte.»Das war Maßarbeit, Thomas«, sagte er.
«Beinahe hätte ich mich an Ihren Befehl gehalten, Sir«, erwiderte Herrick und grinste unsicher.»Aber dann überlegte ich, was Sie an meiner Stelle getan hätten.»
Bolitho warf den Kopf zurück und atmete tief. Es war tatsächlich knapp gewesen. Leroux hatte drei glühende Kugeln in die andere Batterie gefeuert, und er hatte schon gedacht, der Feind würde sich ergeben. Doch ein schlanker, fanatischer Offizier hatte sie zum Widerstand angefeuert, der Kommandeur des Lagers, wie Allday sagte. Der Spanier hatte auch erreicht, daß auf See gezielt weitergefeuert wurde, und mindestens zwei Kugeln, vielleicht auch mehr, hatten die Lysander getroffen.
Und dann, als das Schiff schon hatte halsen wollen, um dem gnadenlosen Artilleriebeschuß zu entgehen, hatte eine von Leroux' glühenden Kugeln den Pulvervorrat der Batterie getroffen, und damit war es vorbei. Bolitho hatte selbst gesehen, wie der spanische Hauptmann, den Säbel noch hoch überm Kopf erhoben, von der Explosion in Stücke gerissen wurde.
Er wandte sich um: Pascoe hinkte unter Hurrarufen und Gelächter durch die Fallreepspforte, ein paar Kanoniere drängten sich um ihn, schlugen ihm auf die Schultern und deuteten grinsend auf sein weinverschmiertes Gesicht.
Herrick schüttelte den Kopf.»Und ich war schon im Zweifel, ob wir es schaffen würden, Sir.»
Bolitho sah ihn ernst an.»Mit solchen Männern kann man ziemlich alles schaffen, Thomas.»
Allday kam heran; vorsichtig mieden seine nackten, schmerzenden Füße Ringbolzen und Geschützzüge. Bolitho schnallte seinen blutverschmierten Degen ab und reichte ihn ihm.»Hier, Allday; ich komme gleich nach unten.»
«Aye, Sir.»
«Und ich würde es übelnehmen, falls meine Weinkaraffe noch voll ist, wenn ich nachsehen komme. «Voller Zuneigung blickte er Allday in die Augen.»Gott sei Dank, daß Sie in Sicherheit sind.»
Herrick wartete, bis Allday im Kajütenniedergang verschwunden war, und sagte dann:»Es ist das erste Mal, seit ich mich erinnern kann, daß es ihm die Antwort verschlagen hat, Sir.»
Bolitho sah zu, wie die Marine-Infanteristen durch die Pforte kletterten, soweit sie nicht hinaufgetragen werden mußten — manche benommen, manche unter Schmerzen, manche nur einfach froh, daß sie noch am Leben und heil waren. Auch seine eigene Euphorie schwand bei der Vorstellung, was Pascoe und Allday durchgemacht haben mußten.
Er riß sich aus seinen Gedanken.»Also, Captain Herrick, dann nehmen Sie die Boote wieder an Bord und signalisieren Sie unserer Prise, daß sie Anker lichten und in Lee von uns segeln soll. «Er schlug ihm leicht auf die Schulter, und sein Lächeln kam wieder.»Wir stoßen so schnell wie möglich zum Geschwader.»
Wortlos wartete Bolitho, bis Herrick mit dem Studium der Karte fertig war. Durch das Heckfenster sah er den gekaperten Transporter schwer im Kielwasser der Lysander rollen und überdachte zum hundertsten Male seine Entscheidung, ihn nicht als weitere Prise nach Gibraltar zu schicken.
Herrick richtete sich auf und sah ihn an.»Ich bin Ihrer Ansicht, Sir. Nach unseren Berechnungen halten wir Kurs auf die Straße zwischen dem spanischen Festland und der Insel Ibiza. Wie mir Mr. Grubb versichert, liegt Kap San Antonio etwa fünfundzwanzig Meilen an Backbord.»
Bolitho beugte sich über die Karte und studierte die Wassertiefen und Landmarken längs der spanischen Küste. Zwei Tage war es her, daß Herrick in die Bucht gesegelt war, um die Landeabteilung herauszuholen; dann hatte er Inchs Harebell losgejagt, um die entkommene Brigg zu verfolgen. Doch entweder war die Brigg schneller, als sie ausgesehen hatte, oder Inch hatte die falsche Richtung eingeschlagen. Letzteres hielt er für wahrscheinlicher.
Unvermittelt sagte Herrick:»Ich begreife nicht, warum wir noch nicht auf das Geschwader gestoßen sind, Sir. «Unbewegt fuhr er nach einer Pause fort:»Captain Farquhar weiß doch ganz genau, daß wir unter Umständen Unterstützung brauchen.»
Bolitho trat an das Heckfenster. Die Fock des spanischen Schiffes bauschte sich in dem unsteten Wind. Es war eine seltsame Beute: bis an die Decksplanken voll Munition, Pferden, Maultierfutter und genug Zelte, um eine ganze Armee unterzubringen. Ein Rätsel. Sie hieß Segura; und sobald sie klar von Land waren, hatte er ihren Kapitän holen lassen, einen untersetzten, hinterhältig dreinblicken-den Mann, der offensichtlich verblüfft war, als Bolitho ihm den Brief vorhielt, den Javals Leute auf dem gekaperten Schoner gefunden hatten.
Der Spanier hatte in holprigem Englisch immer wieder versichert, daß er seinen endgültigen Bestimmungsort nicht kenne. Und in der Tat hatte sich in seiner Kajüte kein Gegenbeweis gefunden; falls er nicht beim ersten Anzeichen von Gefahr seine Segelorder über Bord geworfen hatte, dann tappte er ebenso im dunkeln wie Bolitho. Er machte auch nicht den Eindruck eines geschickten Lügners, sondern gab zu, daß er Auftrag gehabt hatte, seine Ladung zu einem Treffpunkt im Golf von Valencia zu bringen, wo er ein Geleit und vielleicht noch andere Transporter hatte treffen sollen, die unter Chartervertrag für die Kriegsflotte fuhren. Er sei ein armer Seemann, der keine Lust habe, in den Krieg verwickelt zu werden. Nach dem spanischen Kommandeur, von dem er seine Ladung übernommen hatte, unterstand sein Schiff den Franzosen. Es gab, so sagte der Kapitän, viele Schiffe überall im Mittelmeer, welche die Franzosen zur Versorgung ihrer neuerrichteten Außenposten gechartert hatten.