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Ein Seesoldat klopfte an die Kajütentür, und Allday fuhr mit einem gedämpften Fluch herum.»Raus, verdammt noch mal! Ich habe doch angeordnet, daß der Kommandant alleingelassen wird!»

Das Gesicht des Seesoldaten blieb unbewegt.»Verzeihung, aber ich soll dem Kommandanten melden, daß ein Boot von der Impulsive abgesetzt hat.»

Allday ging zur Tür und warf sie zu.»Ich werde es ihm ausrichten. «Dann wischte er sich die Hände an den Schenkeln ab und überlegte, was er tun solle.

Ein schneller Blick zur verschlossenen Tür der Schlafkammer sagte ihm, daß der Kommodore noch schlief. Sein Mund verzog sich spöttisch. Oder — was wahrscheinlicher war — noch im Rausch lag. Kapitän Herrick kam an Bord, und er war ein Freund. Und soweit Allday wußte, war er der einzige, der Bolitho jetzt helfen konnte.

Er machte ein entschlossenes Gesicht: nicht einmal Herrick sollte Bolitho in diesem Zustand zu Gesicht bekommen: in derangierter Uniform und unrasiert, und den Magen mit mehr Brandy gefüllt, als er vertragen konnte.

Fest sagte er:»Ich werde Sie jetzt rasieren, Käpt'n. Während ich warmes Wasser aus der Kombüse hole, könnten Sie mit dem Kaffee beginnen. «Er zögerte, bevor er hinzusetzte:»Sie hat ihn uns mitgegeben, als wir Plymouth verließen.»

Bevor Bolitho antworten konnte, eilte er aus der Kajüte.

Bolitho schwang die Füße an Deck und streckte die Hand aus, um sich festzuhalten, weil ihn Übelkeit überwältigte. Er war durstig und so müde, daß er fast in sich zusammengesackt wäre; aber All-days letzte Worte veranlaßten ihn, zum Tisch hinüberzugehen.

Er mußte die Zähne zusammenbeißen, als er etwas Kaffee in den Becher goß. Seine Hand zitterte so stark, daß er erst beim zweiten Versuch Erfolg hatte. Dabei rann ihm der Schweiß den Rücken hinunter, als ob er gerade aus einem Alptraum erwacht wäre. Aber es war kein böser Traum, den man beiseite schieben konnte, weder jetzt noch jemals.

Er dachte an Alldays verzweifelte Versuche, ihn aus seiner Lethargie aufzurütteln, an die Blicke, die ihm zugeworfen worden waren, wenn er sich nachts an Deck gezeigt hatte. Einige Blicke waren voller Mitgefühl und Sympathie gewesen, als ob die Leute wie Allday seinen Schmerz mit ihm teilten. Andere hatten ihn nur neugierig und mit unverhohlener Überraschung beobachtet. Meinten sie, weil er ihr Kommandant war, sei er erhaben über jeden Kummer und privaten Schicksalsschlag? Stünde er über allen menschlichen Regungen, wie er über ihrer Welt stand?

Während der Nacht war er ruhelos auf dem Oberdeck herumgewandert, nur halb dessen bewußt, was er tat und wohin ihn seine Füße trugen. Vom nächtlichen Himmel und dem Gewebe der Takelage über sich hatte er etwas Ruhe zurückgewonnen, und während er ziellos über die verlassenen Decks streifte, hatte er das Schiff um sich herum wie ein lebendes Wesen gespürt, das durch seinen Kummer ebenfalls verstummt war. Danach war er in die leere Kajüte zurückgekehrt und hatte sich an das offene Fenster gesetzt, hatte den unverdünnten Brandy getrunken, ohne ihn zu schmecken, und hatte gewußt, daß auf dem Tisch ein Brief lag, den zu lesen er nicht den Mut hatte. Ihr letzter Brief. So voller Hoffnung und Zuversicht.

Allday trat in die Kajüte und legte das Rasierzeug auf den Tisch.»Fertig, Käpt'n?«Er sah zu, wie Bolitho sich schwerfällig zu seinem Stuhl bewegte.»Der Kommandant der Impulsive wird in wenigen Augenblicken an Bord sein.»

Bolitho nickte und lehnte sich im Stuhl zurück. Seine totale Müdigkeit machte ihn wehrlos, als Allday ihm das Gesicht einseifte.

Füße trampelten über seinem Kopf, und er hörte das regelmäßige Rauschen von Wasser, als die tägliche Routine des Deckwaschens begann. Normalerweise hätte er zugehört und eine seltsame Beruhigung bei diesem vertrauten Geräusch empfunden, wenn er sich dazu die Gesichter der Leute vorstellte, die sich allerlei zuriefen, aber seinen Blicken verborgen blieben. Er fühlte, wie das Rasiermesser schnell über seine Wangen glitt und spürte, daß Allday ihn beobachtete. Alles war anders als bisher. Im schien, als ob die verschlossene Kajütentür ihn nicht nur vom Schiff, sondern von der ganzen übrigen Welt trennte.

Das Rasiermesser verhielt mitten in der Luft, und er hörte Inch vom Eingang rufen:»Kapitän Herrick ist an Bord gekommen, Sir. Die anderen Kommandanten werden bei acht Glasen erscheinen.»

Bolitho schluckte und schmeckte den Brandy wie Feuer auf seiner Zunge. Die anderen Kommandanten? Es bereitete ihm physische Anstrengung, sich zu erinnern: Herrick, der von seiner kurzen Besprechung mit dem Kommodore zurückgekommen war. Inch, zwischen Trauer und Anteilnahme hin- und hergerissen, und viele andere, die in dem allgemeinen Durcheinander seiner Gefühle wie Schemen aufgetaucht und verschwunden waren.

Inch fügte hinzu:»Sie kommen zur nächsten Sitzung, Sir.»

«Ja, danke. Bitte sagen Sie Kapitän Herrick, er möchte eine Tasse Kaffee trinken, während er warten muß.»

Die Tür schloß sich wieder, und er hörte Allday wütend murmeln:»Eine schöne Konferenz wird das werden!»

Er fragte:»Geht es dem Kommodore schon besser?»

Allday nickte.»Aye, Käpt'n. Petch kümmert sich um ihn.»Es gelang ihm nicht, die Bitterkeit in seinem Ton zu unterdrücken.

«Soll ich Kapitän Herrick fragen, ob er ihm alles erklären will?«Er wischte Bolithos Gesicht mit einem feuchten Handtuch ab.»Pardon, aber ich glaube, Sie sollten an dieser Konferenz nicht teilnehmen.»

Bolitho stand auf und erlaubte Allday, daß er ihm das zerknitterte Hemd auszog.

«Sie haben recht, sie ist freiwillig. Nun seien Sie so freundlich und beenden Sie Ihre Arbeit und lassen Sie mich dann in Frieden.»

Petch kam aus der Schlafkammer, Pelham-Martins Galarock über dem Arm.

Allday nahm den Rock und hielt ihn gegen das reflektierte Sonnenlicht. Der eingetrocknete Blutfleck wirkte schwarz in dem strahlenden Glanz der Goldstickereien, und als er einen Finger durch das winzige Loch steckte, das der Splitter gerissen hatte, sagte er:»Nicht größer als von einer Florettspitze. «Er warf Petch den Rock mit offenkundigem Ekel zurück.

Bolitho zog das Halstuch fester und empfand das frische Hemd angenehm kühl auf seiner Haut. Innerlich registrierte er all diese Dinge, aber er nahm keinen Anteil daran. Das kleine Loch im Stoff, Pelham-Martins deutliche Absicht, ein Invalide zu bleiben, sogar die Notwendigkeit, daß etwas unternommen wurde, alles schien außerhalb seines Bewußtseins zu liegen und so fern wie der Horizont.

Die plötzliche Aussicht auf eine Zusammenkunft mit den anderen Kommandanten machte ihn nur nervös. Diese beobachtenden Blik-ke, ihr Beileid und ihr Mitgefühl.

Er fuhr Allday an:»Sagen Sie Kapitän Herrick, er soll nach achtern kommen. «Als Allday zur Tür ging, rief er ihm scharf nach:»Und ich möchte gleich eine neue Karaffe!»

Er senkte den Blick, da er Alldays besorgten Ausdruck nicht ertragen konnte. Die Anteilnahme dieses einfachen Mannes und sein Wunsch, ihm zu helfen, waren beinahe schwerer auszuhalten als Verachtung. Allday hätte sich vielleicht weniger um ihn gesorgt, wenn er gesehen hätte, wie er am offenen Fenster geschluchzt hatte. Wenn er von seinem plötzlichen Impuls gewußt hätte, der leeren Karaffe, die er in das Spiegelbild der Sterne hinter dem Heck des Schiffes geworfen hatte, nachzuspringen.

Herrick kam, den Hut unter dem Arm, das Gesicht zu einem zurückhaltenden Lächeln verzogen.

«Ich komme sicher ungelegen, aber ich dachte, es sei besser, wenn ich Sie vor den anderen spreche.»

Bolitho schob ihm einen Stuhl zu.»Vielen Dank, Thomas. Sie kommen nie ungelegen.»

Petch trat ein und stellte eine volle Karaffe auf den Tisch.

Bolitho sah seinen Freund an.»Ein Glas, bevor wir anfangen?«Er versuchte zu lächeln, aber es wirkte wie erfroren.

«Aye, ich könnte einen brauchen. «Herrick beobachtete Bolithos Hand, als die Karaffe gegen das Glas stieß.

Dann sagte er ruhig:»Bevor wir zum Kommodore gehen, gibt es einige Dinge, die ich Ihnen sagen sollte. «Er nippte an seinem Glas.»Die Neuigkeiten, die ich von England mitgebracht habe, sind nicht gut. Die Franzosen sind in den letzten Monaten mehrfach aus ihren Häfen ausgebrochen, selbst aus Toulon. Dort stießen sie aber auf Vizeadmiral Hothams Geschwader, der sie zurückwarf. «Er seufzte.»Der Krieg gewinnt an Dynamik, und einige unserer hohen Herren scheinen der Schnelligkeit des feindlichen Denkens nicht gewachsen zu sein. «Sein Blick folgte der Karaffe, als Bolitho ein neues Glas eingoß.»Lord Howe hat das Kommando über die Kanalflotte an Viscount Bridport abgegeben, so mag es wenigstens dort einige Verbesserungen geben.»

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