Plötzlich schauderte er wie in einer kalten Bö. Der nächste Monat brachte für die Hecken und Felder in Cornwall den Frühling. Und in dem Haus unterhalb von Pendennis Castle würde er ihm ein Kind bringen.
Shambler rief rauh:»Brandung voraus, Sir. Etwa eine Kabellänge entfernt.»
Bolitho erwachte aus seinem kurzen Traum.»Das muß die Flußmündung sein. Beginnen Sie sofort mit dem Loten.»
Ein Matrose streckte ein Bein, vielleicht weil er einen Krampf bekam, und eine Muskete fiel laut klappernd auf die Bodenbretter.
«Bringen Sie die Leute zur Ruhe!«Bolitho richtete sich etwas auf, um über die dicht beieinander kauernden Matrosen hinweg nach der Flußmündung auszuspähen, die jetzt auf beiden Seiten erkennbar wurde.
«Aye, aye, Sir.»
Er erstarrte. Das war Pascoes Stimme; er hatte nicht gewußt, daß er mit in diesem Boot war.
Allday bewegte die Ruderpinne etwas und murmelte:»Hielt es für das beste, den jungen Herrn an Bord zu nehmen, Captain. Um gewissermaßen ein Auge auf ihn zu halten.»
Bolitho sah ihn an.»Kein Wunder, daß Sie nie geheiratet haben, Allday. Sie hätten Ihrer Frau ja nichts gelassen, wofür sie hätte sorgen können.»
Allday grinste im Dunkeln vor sich hin. Bolithos grollender Ton war ihm so vertraut wie das Rauschen des Windes in den Wanten. Das war eben seine Art. Doch kaum einen Augenblick später folgte die fällige Ergänzung.
Bolitho ließ sich auf seinen Platz zurücksinken.»Trotzdem Dank für Ihre Fürsorge, Allday.»
Ohne auf seine Uhr zu sehen, wußte Bolitho, daß es kurz vor Mittag war. Seit dem frühen Morgen hatte die Sonne ihm ins Gesicht geschienen, jetzt brannte sie mit der sengenden Hitze eines offenen Schmelzofens direkt auf seinen Scheitel.
Er griff nach Alldays Arm.»Hier wollen wir rasten. «Seine Lippen waren rauh und trocken, und selbst die wenigen Worte machten ihm Mühe.
«Achtung überall! Riemen ein!»
Die Matrosen zogen die langen Riemen binnenbords, und von vorn kam ein Aufplätschern, als der Buggast einen Schleppanker in den nächsten dichten Klumpen Schilf warf.
Bolitho blickte auf seine Leute, die wie Tote auf ihren Duchten hockten und über den Dollborden hingen, mit geschlossenen Augen, die Gesichter von der unbarmherzigen Sonne abgewendet.
In der Morgendämmerung waren die vier Boote gut vorwärtsgekommen, trotz der salzverkrusteten Binsen und gelegentlicher Sandbänke. Die Zickzackfahrt zwischen den verschiedenen Hindernissen war zunächst nicht schwierig gewesen, und meistens blieben die Boote in Sichtkontakt. Als die Bläue des Himmels unter dem wachsenden Sonnenglast mehr und mehr verblaßte, wurde ihr Schlag jedoch langsamer, und immer wieder vergeudete das eine oder andere Boot wertvolle Kraft damit, einer verborgenen Sandbank auszuweichen oder das Durcheinander zu entwirren, wenn sich die Riemen in den dichten Wasserpflanzen verfingen.
Als sich jetzt das nächste Boot durch die reglosen Gewächsklumpen heranschob und in der Nähe einen Schleppanker auswarf, mußte Bolitho seine Verzweiflung gewaltsam unterdrücken. Es war wie eine Wanderung durch einen wahnwitzigen Irrgarten, und nur die Sonne und sein kleiner Kompaß konnten ihm helfen, den rettenden Ausgang zu finden. Das Schilf, das an der Flußmündung leicht zu teilen und niederzubrechen gewesen war, stand jetzt dicht wie eine Mauer und überragte meist den größten seiner Männer. Falls draußen Wind wehen sollte, so brachte er den schwitzenden und keuchenden Männern doch keine Linderung, denn das hohe Schilf und die verfilzten Schlingpflanzen wirkten wie eine Schutzwand, so daß die Sonne ungemildert auf sie niederbrannte und jede Bewegung unerträglich machte.
Leutnant Lang beugte sich über das Dollbord seines Kutters und stützte eine Hand auf das glatte Holz, aber nur sekundenlang, dann riß er sie fluchend zurück.
«Mein Gott, so heiß wie ein Musketenlauf. «Er riß sich das Hemd über der Brust auf und fragte:»Wie weit sind wir gekommen, Sir?»
«Etwa fünf Meilen«, antwortete Bolitho.»Wir müssen weiter, wenn wir den Zeitplan einhalten wollen. Wir rasten nachts, sonst würden sich die Boote zerstreuen und außer Sicht geraten.»
Er blickte über Bord. Eine leichte Strömung schlängelte sich in zahllosen kleinen Rinnsalen zwischen den Binsen hindurch. Es war eine dunkle, geheimnisvolle Welt, und das träge Wasser war von kleinen Bläschen belebt, aufsteigende Gase versunkener Vegetation und faulender Wurzeln, schuf aber den Eindruck von unsichtbaren Lebewesen, die darauf warteten, daß die Eindringlinge weiterzogen.
«Von jetzt an sollen die Männer in kürzere Wachen eingeteilt werden. Sechs auf jeder Seite, höchstens eine halbe Stunde lang. «Er wischte sich mit dem Handrücken das Gesicht und starrte ein Insekt auf seiner Haut an.»Die Leute sollen sich nach vorn ausrichten und paddeln. Zum Pullen ist nicht genug Platz. «Er wartete, bis weiteres Plätschern ihm verriet, daß die anderen Boote sich näherten.»Sagen Sie den Buggasten, sie sollen mit Bootshaken nach dem Fahrwasser tasten. Die tiefsten Stellen scheinen hier nur ungefähr acht Fuß tief zu sein, und ich zweifle nicht daran, daß es noch seichter wird.»
Leutnant Quinces Kutter trieb quer gegen den Pflanzenwuchs, die Männer ließen sich über ihre Riemen sinken. Das langsame Vorwärtskommen hatte auf dem Bootsrumpf seine Spuren hinterlassen.
Quince wirkte noch recht frisch. Er hatte sich einen Streifen Leinwand über den Nacken gelegt.»Ich schätze die Distanz auf fünf Meilen, Sir. «Er richtete sich auf und versuchte, über das Schilf zu blicken.»Nicht einmal ein Berg ist zu sehen. Es scheint nach allen Richtungen so weiterzugehen.»
Bolitho sagte scharf:»Lassen Sie den Mann da nicht schlafen. «Er schüttelte den Kuttergast.»Aufwachen, Mann! Lassen Sie sich von den Insekten nicht auffressen, sonst sind Sie in ein paar Tagen tot. «Der angesprochene Matrose richtete sich auf und schlug halbherzig nach ein paar der zahllosen Fliegen, die sie seit Tagesanbruch ständig begleiteten.
Unvermittelt sagte Quince:»Darf ich vorschlagen, daß Sie in Ihrem Boot einen Riemen aufrecht stellen, Sir? Falls wir getrennt würden, könnte er uns die Richtung weisen.»
Bolitho nickte.»Sorgen Sie dafür, Allday. «Es war gut zu wissen, daß Quince nachdachte und nicht nur litt.
Einer der Matrosen neigte sich über das Dollbord und schöpfte mit den Händen das träge fließende Wasser. Allday rief:»Laß das!«Als der Mann die Hände zurückzog, tauchte er sein Halstuch ein und probierte es mit der Zungenspitze. Dann spuckte er angewidert aus.»Dreck!«schimpfte er. Etwas leiser fügte er hinzu:»Schmeckt nach Salz und noch etwas, Captain. «Voller Ekel verzog er das Gesicht.»Als ob tausend Leichen drin liegen.»
Bolitho hob die Stimme.»Habt ihr das gehört? Haltet also aus und wartet ab, bis Frischwasser ausgegeben wird. Der Gestank hier ist schon schlimm genug. Da könnt ihr euch wohl vorstellen, was das Wasser in euren Gedärmen anrichten würde.»
Hier und da nickte ein Mann, aber Bolitho wußte, daß auf alle aufgepaßt werden mußte. Er hatte Männer gesehen, die Salzwasser getrunken hatten und nach wenigen Stunden dem Wahnsinn verfielen. Trotz gründlicher Ausbildung und langer Erfahrung konnte der Durst sie dazu treiben, einen Schluck zu versuchen, selbst wenn sie soeben Zeuge des gräßlichen Todes eines Mannes geworden waren, welcher der Versuchung nicht widerstanden hatte.
Müde sagte er:»Wir fahren weiter. Holt den Anker ein.»
Stöhnend erhob sich die Wache, und schob die Riemen wie Paddel über die Bootswand. Es war eine unbequeme Art der Fortbewegung, aber weniger zeitraubend, als wenn das Boot alle paar Minuten aufgehalten wurde, weil die Riemen in Wasserpflanzen oder Schlamm staken und befreit werden mußten.
Und was für ein Schlamm! Als ein Mann seinen Riemen aus dem Wasser hob, sah Bolitho, daß stinkender, schwarzer Schleim abtropfte, der in der Sonne wie siedendes Pech glänzte. Besorgt beobachtete er, wie der Mann den Riemen wieder senkte und bald weniger mühsam atmete. Das Boot bewegte sich jetzt unbehinderter, und er wußte, daß sie wieder tieferes Wasser erreicht hatten.