Immer noch lachend sagte er:»Sir Manley Cavendish verlangt einen vollständigen Bericht über die französischen Kriegsschiffe in diesem Gebiet, ihre Einsatzbereitschaft und so weiter. «Er ließ das so trivial klingen, daß Bolitho einen Augenblick befürchtete, ihm sei etwas entgangen. Doch das grimmige Gesicht von Fitzmaurice belehrte ihn eines Besseren.
Pelham-Martin legte eine Hand auf Bolithos Arm.»Keine Sorge. Wir werden zu gegebener Zeit einen Bericht schicken. «Er legte den kleinen Kopf schräg und lächelte mild.»Sie können morgen zur Küste segeln und Kontakt mit der Ithuriel aufnehmen. Wie gefällt Ihnen das?»
Der Kommodore hatte dann in seiner Kajüte für die drei Kapitäne ein Festmahl angeordnet, nachdem er erst eine kurze schriftliche Bestätigung aufgesetzt hatte, welche die Korvette zu Vizeadmiral Cavendish zurückbringen sollte. Offensichtlich war er stark versucht gewesen, sarkastische Beileidsbekundungen hinzuzufügen, doch selbst er wußte, daß dies genau als das aufgefaßt werden würde, was es war: als offener Hohn für Cavendishs Mißgeschick.
Während der ganzen Mahlzeit kochte Bolitho innerlich über die Verzögerung. Vor der Gironde-Mündung mochten ein paar Schiffe sein, und es bestand auch die Möglichkeit, etwas gegen sie zu unternehmen. Wenn es dort nichts von Wert gab, konnte er seine kurze Freiheit von Pelham-Martins Schürzenbändern vielleicht nutzen, um ein Stück weiter an der Küste entlangzulaufen, um Informationen zu bekommen, wenn nichts Besseres zu finden war.
Offensichtlich verfügte Pelham-Martin über gute Beziehungen, dachte er. Während der Mahlzeit warf er mit Namen und Titeln von Personen um sich, die er kannte, sprach über Affären bei Hof und im Parlament, und wenn auch nur die Hälfte stimmte, war es für Bolitho kein Wunder, daß er in der Lage war, die Feindschaft seines Admirals zu überstehen.
Er hatte eine Art, die Gefahr, die von der Ansammlung der französischen Schiffe drohte, zu verniedlichen oder sie zu ignorieren, die einen rasend machen konnte; aber gleichzeitig hatte er auch etwas beinahe Liebenswertes an sich. Aus eigener Tasche hatte er frisches Obst bezahlt, das von Vigo herbeigeschafft wurde, genug für jeden einzelnen an Bord der drei Schiffe, die seinem unmittelbaren Befehl unterstanden.
Während Bolitho eine Orange schälte und zuhörte, wie Fitzmaurice zum x-ten Mal ausführlich die letzten Augenblicke von Howes Sieg am 1. Juni schilderte, dachte er an Falmouth; ob auch Cheney jetzt wohl an ihn dachte, ob das alte graue Haus jetzt von Schnee bedeckt war, ob sein Kind ein Junge oder ein Mädchen sein würde? Ihm war es gleichgültig, wenn nur Cheney glücklich wurde.
Schließlich war das Essen zu Ende, und Bolitho, der dafür dankbar war, kehrte ohne jede weitere Verzögerung auf sein Schiff zurück. Zu seiner Überraschung erschien es ihm sehr still zu sein; von der diensthabenden Wache abgesehen, lag das Hauptdeck völlig verlassen da. Nur von der Offiziersmesse her waren melodische Töne zu hören, und sie beschränkten sich auf eine tiefe Baßstimme, die ein bei Seeleuten beliebtes, sentimentales Lied vortrug, offenkundig die Stimme von Gossett.
Inch erwartete ihn und erklärte auf seine Frage:»Die meisten liegen schon in ihren Hängematten, Sir.»
Bolitho nickte. Nach wochenlangen Strapazen in Wind und Wetter hatten die reichliche warme Verpflegung und die zusätzliche Ration Rum keine Stimmung für weiteres Feiern aufkommen lassen.
«Gut. Wir lassen sie in Ruhe, Mr. Inch, bis es Zeit ist, die Wache an Deck zu rufen. «Plötzlich fiel ihm Inchs erschöpftes Gesicht auf.»Haben Sie gut gegessen?»
Inch scharrte verlegen.»Ich hatte sehr viel zu tun, Sir.»
Bolitho musterte ihn verständnisvoll. Selbstverständlich würde sich Inch niemals den anderen anschließen, solange sein Kommandant abwesend und auf dem Flaggschiff war. Unvermittelt trat ihm das Bild von Inch vor Augen, wie er diensteifrig und besorgt durch die Decks hetzte, um sich zu vergewissern, daß alles in Ordnung war, sich bemühte, sein Bestes zu geben.
Einer Eingebung folgend, sagte er:»Kommen Sie mit nach achtern, Mr. Inch. «Sie gingen zur Kampanje.»Wir werden morgen bei Tagesanbruch das Geschwader verlassen und Sichtkontakt mit der Ithuriel suchen. «Er nickte dem auf Wache stehenden Marinesoldaten zu und trat in seine Kajüte, wo Petch zu einer Kugel zusammengerollt fest schlief.
Bolitho grinste und schnallte seinen Säbel ab.»Trinken Sie ein Glas mit mir, Mr. Inch.»
Inch nahm seinen Hut ab und drehte ihn zwischen den Händen. Er blickte sich in der Kajüte um und dachte vermutlich an andere Tage, als er nur Fünfter Offizier gewesen und Bolitho an Bord gekommen war, um das Kommando zu übernehmen und sie von einem Gefecht in das nächste zu führen.
Plötzlich platzte er heraus:»Ich — ich habe mich verlobt, Sir, und will heiraten, wenn wir wieder in Plymouth sind.»
Bolitho schenkte Rotwein in zwei Gläser.»Dann freut es mich, auf Ihr besonderes Wohl zu trinken, Mr. Inch.»
Inch wischte sich den Mund und hob sein Glas gegen eine der Lampen.»Die Tochter eines Arztes, Sir. Ein sehr hübsches Mädchen. «Er nickte nachdrücklich.»Ich hoffe, daß wir bald nach England zurückkommen.»
Bolitho wendete sich ab. Plötzlich wurde ihm bewußt, welche
Rolle Inch in seinem Leben gespielt hatte, seit er das Kommando auf der alten Hyperion übernommen hatte. Inch war sogar in die Kirche gekommen, um Zeuge zu sein, als er und Cheney heirateten.
Er drehte sich wieder zu Inch um und sagte leise:»Ich wünsche Ihnen allen Erfolg. Das ist für Sie ein Grund mehr, Gutes zu leisten und vorwärtszukommen. «Er grinste.»Ein eigenes Kommando vielleicht, was meinen Sie?»
Inch blickte auf seine Füße.»Das — das hoffe ich sehr, Sir.»
Bolitho hatte bereits an Bord des Flaggschiffs genug getrunken und gegessen, aber der Gedanke, jetzt allein zu sein, von dem übrigen Schiff durch die Schottwand und den Wachtposten vor seiner Tür getrennt, war mehr, als er ertragen konnte. Jedenfalls in dieser Nacht. Er ging durch die Kajüte und rüttelte seinen Diener an der Schulter. Als Petch sich verstört aufrappelte, sagte Bolitho:»Wir brauchen Rotwein. Und etwas von dem ausgezeichneten Käse, den meine Frau mir mit an Bord gegeben hat.»
«Sie wird heute abend an uns denken, Sir«, sagte Inch.
Bolitho blickte ihn ein paar Sekunden lang wortlos an. An uns, hatte Inch gesagt, und er hatte damit recht. Er vor allen anderen mußte wissen, was sie für die Hyperion bedeutet hatte, als sie als Passagier an Bord gewesen war. Als sie die Verwundeten betreut hatte, während über ihr die Decksbalken unter der Wucht der Breitseiten gebebt hatten.
«Davon bin ich überzeugt«, stimmte er leise zu.
Während Petch geschäftig den Tisch herrichtete, beobachtete Inch Bolitho, wagte kaum zu blinzeln aus Furcht, es könne ihm etwas entgehen. Er konnte sich nicht erinnern, Bolitho jemals so gesehen zu haben. Er saß auf der Bank unter den Heckfenstern und zupfte gedankenverloren an der schwarzen Haarsträhne, von der Inch wußte, daß sie eine grellrote Narbe verdeckte, und obwohl Bolithos Blicke auf Petch gerichtet waren, nahmen seine Augen nichts wahr, schienen in die Ferne gerichtet und wirkten irgendwie wehrlos. Inch empfand es wie eine Entblößung oder eine Indiskretion; er wußte, daß er niemals darüber sprechen, es immer für sich behalten würde.
Noch ehe der erste graue Schimmer am Himmel erschien, wurde» Alle Mann!«befohlen, und mit mäßigem Wind verließ die Hyperion ihre beiden abgedunkelten Begleiter; während die Mannschaft eifrig an Fallen und Brassen zerrte, stand Bolitho auf dem Achterdeck und spürte deutlich die veränderte Stimmung, die die kurze Befreiung von der Überwachung durch Pelham-Martin mit sich brachte. Zum erstenmal in den zwei Monaten, seit sie Plymouth verlassen hatten, hörte er die Toppsgasten miteinander schwatzen und scherzen, während sie auf den vibrierenden Rahen arbeiteten, und vernahm die schrillen Stimmen der Midshipmen, die ihre Leute in einen privaten und gefährlichen Wettbewerb trieben.