Dumaresq sah ihn eigenartig an.»Das glaube ich nicht. Jetzt zählen keine Bluffs mehr. Ich habe in Basseterre versucht, dem Spanier Garricks Absichten zu erklären. Aber er wollte nicht hören. Garrick hat den Franzosen geholfen, und in einem künftigen Krieg wird Spanien einen Verbündeten wie Frankreich brauchen. Seien Sie sicher, daß Don Carlos Quintana auch das im Auge haben wird.»
«Sir!«Der Ausguck unter ihnen rief besorgt:»Die Dons setzen mehr Segel!»
Dumaresq sagte:»Es wird Zeit, daß wir absteigen. «Er warf noch einen Blick auf jeden einzelnen Mast drüben und schaute dann nach unten.
Bolitho stellte fest, daß er es ihm nachzumachen vermochte, ohne zu zittern. Er sah die von oben stark verkürzt wirkenden Gestalten der Offiziere und Midshipmen auf dem Achterdeck und die wechselnden Gruppen, die sich um die doppelte Reihe der schwarzen Kanonen scharten.
In diesen Augenblicken bestand eine stillschweigende Übereinstimmung zwischen Bolitho und diesem ungewöhnlichen, ganz seiner Aufgabe verschworenen Mann. Es war sein Schiff, jedes Teil davon, jedes Stück Holz, jeder Zentimeter Tauwerk. Schließlich sagte Duma-resq:»Der Spanier will vielleicht vor mir in die Lagune eindringen. Das wäre eine gefährliche Dummheit, denn die Einfahrt ist eng und das Fahrwasser unbekannt. Da er keine Hoffnung auf den Überraschungseffekt hat, wird es auf die Glaubwürdigkeit seiner Friedfertigkeit ankommen; wenn das fehlschlägt, auf eine Demonstration seiner Stärke.»
Überraschend geschwind kletterte Dumaresq hinunter, und als Bo-litho schließlich das Achterdeck erreichte, sprach der Kommandant schon mit Palliser und dem Master. Bolitho hörte Palliser sagen:»Der Don hält aufs Land zu, Sir.»
Dumaresq hantierte mit seinem Fernrohr.»Und auf die Gefahr. Signalisieren Sie ihm, er soll abdrehen.»
Bolitho blickte in die Gesichter ringsum, die er inzwischen so gut kannte. In wenigen Augenblicken konnte alles entschieden sein, denn Dumaresq hatte keine Wahl.
Palliser rief:»Er beachtet unsere Warnung nicht, Sir.»
«Gut so. Schlagen Sie >Alle Mann< und >Klar Schiff zum Gefecht< an!«Dumaresq verschränkte die Hände hinter dem Rücken.»Mal sehen, wie ihm das gefällt.»
Rhodes packte Bolitho am Arm.»Er muß wahnsinnig sein! Er kann doch nicht mit Garrick und den Dons kämpfen!»
Die Trommelbuben in Seesoldatenuniform begannen mit ihren dumpfen Schlägen. Der Augenblick der Ungewißheit war vorüber.
XIV Die letzte Chance
«Der Don nimmt Segel weg, Sir!»
«Das werden auch wir tun. «Dumaresq stand wie ein Fels mitten auf dem Achterdeck, direkt vor dem Besanmast.»Bramsegel bergen!»
Bolitho beschattete seine Augen und sah durch das Gewirr der Takelage und Netze, wie seine Leute die widerspenstige Leinwand aufholten und festbanden. In weniger als einer Stunde war die Spannung an Bord ebenso gestiegen wie die Sonne; jetzt, da die San Augustin sich an Steuerbord voraus postiert hatte, merkte er, daß jeder Mann in seiner Nähe davon betroffen war. Die Destiny hatte zwar noch die Luvposition, aber der spanische Kapitän hatte sich zwischen sie und die Einfahrt zur Lagune geschoben.
Rhodes kam nach achtern geschlendert und traf zwischen zwei Zwölfpfündern auf Bolitho.
«Der Kommandant läßt dem Spanier den Vortritt. «Er zog eine Grimasse.»Ich muß sagen, da stimme ich ihm zu. Ich mag keinen einseitigen Kampf, es sei denn, die Vorteile wären auf meiner Seite. «Er warf einen schnellen Blick zum Achterdeck und senkte die Stimme.»Was halten Sie jetzt von unserem >Herrn und Meister»
Bolitho zuckte die Schultern.»Ich schwanke zwischen Bewunderung und Verachtung. Ich verachte die Art, wie er mich benutzt hat. Er muß gewußt haben, daß Egmont selbst Garricks Insel niemals verraten hätte.»
Rhodes spitzte die Lippen.»Also war es seine Frau. «Er stockte.»Sind Sie über die Affäre hinweg, Dick?»
Bolitho schaute hinüber zur San Augustin, auf ihre weit auswehenden Wimpel und die weiße Kriegsflagge Spaniens, und schwieg.
Rhodes blieb hartnäckig.»Bei all diesem Wahnsinn, in dem wir wahrscheinlich wegen einer weit zurückliegenden Sache aufgerieben werden, können Sie sich noch in Liebe zu einer Frau verzehren?»
Bolitho sah ihn an.»Darüber we rde ich nie hinwegkommen. Wenn Sie Aurora so gesehen hätten…»
Rhodes lächelte resignierend:»Mein Gott, Dick, ich verschwende meine Zeit. Wenn wir nach England zurückkehren, werde ich sehen, was ich anstellen kann, um Sie aufzumuntern.»
Beide fuhren herum, als ein Schuß über das Wasser dröhnte. Die
Kugel warf eine dünne Wassersäule in direkter Verlängerung des Bugspriets des Spaniers auf.
Dumaresq schimpfte:»Gott im Himmel, die Lumpen schießen als erste!»
Mehrere Teleskope richteten sich auf die Insel, aber niemand entdeckte die versteckte Kanone.
Palliser sagte säuerlich:»Das war nur eine Warnung. Ich hoffe, der Don hat genug Verstand, um sie zu beachten. Diese Angelegenheit verlangt listiges Vorgehen und schnelles Handeln, keinen direkten Angriff.»
Dumaresq lächelte.»So, tut sie das? Sie fangen an, wie ein Admiral zu reden, Mr. Palliser. Ich muß mich wohl in acht nehmen.»
Bolitho beobachtete scharf das spanische Schiff. Es verhielt sich, als wäre nichts geschehen, und steuerte immer noch auf die nächste Landspitze zu, wo die Lagune begann.
Einige Kormorane erhoben sich von der See, als die beiden Schiffe an ihnen vorbeisegelten, und kreisten dann über ihnen. Wie Adler, dachte Bolitho.
«An Deck: Rauch über dem Hügel, Sir!»
Die Teleskope schwenkten herum wie leichte Geschützrohre.
Bolitho hörte Clow, einen der Stückmeistersmaaten, sagen:»Der kommt von einem verdammten Ofen. Die Teufel wollen den Dons mit glühenden Kanonenkugeln einheizen.»
Bolitho feuchtete sich die Lippen an. Sein Vater hatte ihn oft gewarnt, wie töricht es sei, ein Schiff gegen eine befestigte Landbatterie anrennen zu lassen. Wenn die an Land glühende Kugeln benutzten, konnten sie jedes Schiff binnen kurzem in einen Scheiterhaufen verwandeln. Von der Sonne ausgetrocknetes Holz, Teer, Farbe und Leinwand fingen schnell Feuer, und wenn nicht sofort gelöscht werden konnte, tat der Wind das übrige.
Etwas wie ein Seufzer lief das Deck entlang, als sich die Stückpforten der San Augustin gleichzeitig öffneten und ihre Kanonen auf ein Trompetensignal hin ausgerannt wurden. Auf die Entfernung sahen sie aus wie schwarze Zähne im makellosen Gebiß ihrer Bordwand: schwarz und tödlich.
Der Schiffsarzt trat zu Bolitho an den Zwölfpfünder; seine Brillengläser glitzerten im Sonnenlicht. Mit Rücksicht auf die Männer, die vielleicht schon bald seine Dienste benötigten, hatte er darauf verzichtet, seine Schürze anzulegen.
«Es macht mich nervös wie eine Katze, wenn sich dies weiter so in die Länge zieht.»
Bolitho verstand ihn. Unten im Orlopdeck, wo es nur künstliches Licht gab und keine frische Luft, wirkten alle Geräusche vom Oberdeck verzerrt. Er sagte:»Ich glaube, der Spanier will sich die Einfahrt mit Gewalt erzwingen.»
Während er noch sprach, setzte das andere Schiff Bramsegel und fiel etwas ab, um den südwestlichen Wind voll zu nutzen. Sein vergoldetes Schnitzwerk leuchtete prachtvoll im Sonnenlicht, majestätisch blähten sich die stolzen Wimpel und die roten Kreuze auf Fock und Großsegel. So sahen Kriegsschiffe auf alten Bildern aus, dachte Bolitho. Im Vergleich dazu wirkte die schlanke und anmutige Destiny spartanisch.
Bolitho ging nach hinten, bis er direkt unter der Querreling des Ac h-terdecks stand. Er hörte Dumaresq sagen:»Noch eine halbe Kabellänge, und dann werden wir's wissen.»
Danach Pallisers Stimme, weniger sicher:»Er kann die Einfahrt erzwingen, Sir. Wenn er erst drinnen ist, wird er halsen, die dort vor Anker liegenden Schiffe zusammenschießen und sie sogar noch als Deckung gegen Beschuß von Land benutzen. Ohne Schiff sitzt Garrick in der Falle.»