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In diesem Augenblick stampfte die Muskete des Kajütpostens draußen wieder auf.»Der Erste Offizier, Sir!»

Bolitho beobachtete, wie Palliser die Kajüte betrat, den Tagesdienstplan unter dem Arm. Er sah hagerer aus als sonst, als er sagte:»Die Wasserprähme sollen heute endlich kommen, Sir. Ich werde Mr. Timbrell sagen, daß er sich entsprechend vorbereitet. Ferner stehen zwei Leute zur Beförderung an, und dann ist da noch die Frage, wie der Korporal bestraft werden soll, der Murray entkommen ließ. «Sein Blick wanderte zu Bolitho, dem er ein kurzes Nicken gönnte.

Bolitho fragte sich, ob es Zufall war, daß Palliser sich immer in der Nähe aufhielt, wenn er selbst mit dem Kommandanten sprach.

«Sehr gut, Mr. Palliser, obwohl ich erst an diese Wasserprähme glaube, wenn ich sie sehe. «Dumaresq schaute Bolitho an.»Bringen Sie Ihren Aufzug in Ordnung und fahren Sie dann an Land. Ich glaube, Mr. Egmont hat einen Brief für mich.»

Er lächelte flüchtig.

«Halten Sie sich nicht zu lange auf, denn ich weiß, daß es viele Ablenkungen in Rio gibt.»

Bolitho spürte, wie er rot anlief.»Aye, Sir. Ich werde mich sofort auf den Weg machen. «Er eilte aus der Kajüte und hörte noch Duma-resq» junger Teufel «sagen, aber ohne Bosheit in der Stimme.

Zwanzig Minuten später saß Bolitho in der Jolle und wurde an Land gepullt. Er sah, daß Stockdale als Bootssteurer fungierte, befragte ihn aber nicht deswegen. Stockdale schien schnell Freunde zu gewinnen, obwohl sicher auch seine furchterregende Erscheinung damit zu tun hatte, daß man ihm so viel Bewegungsfreiheit ließ.

Stockdale befahl plötzlich:»Auf Riemen!»

Die Riemen ruhten tropfend in den Rundsein, und Bolitho bemerkte, daß die Jolle Fahrt verlor und damit vermied, daß sie von einem anderen Schiff über den Haufen gesegelt wurde. Es war eine Brigg, ein kräftiges, aber offenbar nicht mehr neues Schiff mit geflickten Segeln und manchen Schrammen am Rumpf, die auf harte Kämpfe mit We l-len und Wind hinwiesen.

Die Brigg hatte schon Marssegel gesetzt, und Leute kletterten gerade an den Stagen herunter, um auch die Breitfock loszumachen, noch bevor sie frei waren von den vor Anker liegenden Schiffen.

Langsam glitt sie zwischen der Jolle der Destiny und einigen einlaufenden Fischerbooten hindurch, dabei fiel ihr Schatten auf die Ruderer, die vor sich hinträumten und darauf warteten, daß es weiterging.

Bolitho las den Namen über ihrem Heck: Rosario. Eines von Hunderten ähnlicher Fahrzeuge, die täglich Stürmen und anderen Gefahren trotzten, um Handel zu treiben und die Grenzen des wachsenden Kolonialreiches weiter vorzuschieben.

Stockdale befahl:»Rudert an!»

Bolitho wollte seine Aufmerksamkeit gerade auf das Ufer richten, als er eine Bewegung am Heckfenster der Rosario bemerkte. Im ersten Augenblick dachte er, es sei ein Irrtum, aber das war es nicht: Das schwarze Haar und ovale Gesicht waren unverkennbar. Sie war zu weit weg, als daß er das Violett ihrer Augen erkennen konnte, doch sah er, daß sie zu ihm herüberschaute, bevor die Brigg Kurs änderte und das Sonnenlicht die Heckfenster in feurige Spiegel verwandelte.

Mit bangem Herzen erreichte Bolitho das Haus hinter der uralten Mauer. Egmonts Diener erklärte ihm kühl, daß die Herrschaften abgereist seien. Er wüßte nicht, wohin.

Bolitho kehrte an Bord zurück, um Dumaresq zu berichten. Er erwartete einen neuerlichen Zornesausbruch wegen des abermaligen Rückschlags.

Palliser stand dabei, als Bolitho mit dem herausplatzte, was er erfahren hatte, obwohl er nicht erwähnte, daß er Egmonts Frau auf der Rosario gesehen hatte. Das war auch nicht nötig, denn Dumaresq sagte:»Das einzige Schiff, das inzwischen ausgelaufen ist, war die Brigg. Er muß an Bord sein. Wer einmal ein verdammter Verräter war, der bleibt es auch. Schön, er soll uns diesmal nicht entwischen, bei Gott nicht!»

Palliser sagte ernst:»Das also war der Grund für all die Verzögerungen. Kein Trinkwasser, keine Audienz beim Vizekönig. Sie wollten uns hier festhalten. «Sein Ton klang plötzlich bitter.»Wir haben keine Bewegungsfreiheit, und sie wissen das.»

Überraschenderweise zeigte Dumaresq ein breites Lächeln. Dann rief er:»Macmillan, ich möchte eine Rasur und ein Bad! Spillane, halten Sie sich bereit, einige Befehle für Mr. Palliser niederzuschreiben. «Er ging zu den Heckfenstern und beugte sich über das Süll, den Kopf zum Ruder gesenkt.»Suchen Sie sich ein paar gute Leute aus, Mr. Palliser, und schiffen Sie sich mit ihnen auf der Heloise ein. Treiben Sie möglichst wenig Aufwand, damit das Wachboot nicht aufmerksam wird. Nehmen Sie deshalb auch keine Seesoldaten mit. Gehen Sie Anker auf, und jagen Sie der verdammten Brigg nach. Verlieren Sie sie nicht aus den Augen!»

Bolitho beobachtete die Veränderung, die in Dumaresq vorging. Nun wurde auch klar, warum er Slade daran gehindert hatte, bis in die Innenreede zu segeln. Er hatte eine ähnliche Entwicklung vorausgesehen und nun einen Trumpf in der Hand — wie immer.

Pallisers Hirn arbeitet bereits auf vollen Touren.»Und Sie, Sir?»

Dumaresq beobachtete seinen Steward, der Seifennapf und Rasiermesser neben seinem Lieblingsstuhl bereitlegte.

«Mit oder ohne Trinkwasser, Mr. Palliser, ich werde heute nacht Anker lichten und Ihnen folgen.»

Palliser sah ihn zweifelnd an.»Die Batterie könnte das Feuer eröffnen, Sir!»

«Bei Tageslicht vielleicht. Aber es geht hier um sehr viel, auch um das, was man >Ehre< nennen könnte. Ich beabsichtige, das auszuloten. «Er wandte sich ab und entließ sie damit, fügte dann aber noch hinzu:»Nehmen Sie den Dritten Offizier hier mit. Rhodes brauche ich, auch wenn sein Kopf von der Sauferei zu platzen droht, damit er Ihre Aufgaben hier an Bord übernimmt.»

Zu anderer Zeit hätte Bolitho den Auftrag freudig begrüßt, aber er hatte den Ausdruck in Pallisers Augen bemerkt und erinnerte sich an das Gesicht hinter den Kajütfenstern der Brigg. Aurora würde ihn nun verachten. Es war vorbei, genau wie sein schöner Traum von ihr.

VIII Verfolgungsjagd

Leutnant Charles Palliser ging mit langen Schritten zum Kompaß der Heloise und schaute dann zum Wimpel an der Mastspitze hinauf.

Wie um seine Befürchtungen zu bekräftigen, sagte Slade, der amtierende Master:»Der Wind hat etwas gekrimpt und flaut außerdem ab.»

Bolitho beobachtete Pallisers Reaktion und verglich sie mit der von Dumaresq. Ihr Kommandant lag mit der Destiny noch in Rio und beschäftigte sich zum Schein mit Routineangelegenheiten; so hatte er sogar zwei Matrosen zur Beförderungszeremonie vor versammelter Mannschaft auf dem Achterdeck empfangen. Den meisten Leuten der Besatzung war es völlig gleichgültig, ob die Trinkwasserprähme kamen oder ihr Kommandant vom Vizekönig empfangen wurde. Doch Bolitho wußte, was in Dumaresqs Überlegungen an vorderster Stelle stand: Egmonts Weigerung nachzugeben und seine plötzliche Abreise mit der Brigg Rosario. Ohne Egmonts Mitwirkung hatte Dumaresq keine andere Wahl, als weitere Weisungen von vorgesetzter Stelle abzuwarten. Inzwischen mußte sich die heiße Spur zu Garrick verlieren.

Slade hatte beobachtet, daß die Brigg auf Nordnordost-Kurs gegangen war. Egmont versuchte also, an der Küste entlang in die Karibik zu segeln. Auf einem solch kleinen Handelsschiff konnte es für seine junge Frau sicher recht ungemütlich werden.

Palliser kam zu Bolitho herüber. Auf dem beengten Deck der Brigantine wirkte er wie ein Riese, war jedoch ungewöhnlich zufrieden, stellte Bolitho fest. Palliser konnte hier als sein eigener Herr handeln, wie es ihm richtig schien. Immer vorausgesetzt, daß er die Fühlung zur Rosario nicht verlor. Aber da der Wind nun so rapide nachließ, bestand immerhin die Gefahr.

«Sie erwarten nicht, daß sie verfolgt werden. Das ist unser einziger Vorteil. «Palliser schaute beunruhigt auf, als die Breitfock kraftlos hin- und herflappte, weil der Wind sie nicht mehr füllte. Jetzt fiel auch kein Schatten mehr auf die an Deck schwitzenden Männer.»Verdammt!«Dann:»Mr. Slade behauptet, die Brigg würde unter Land bleiben. Wenn der Wind nicht umschlägt, kann er recht behalten. Wir laufen daher weiter auf diesem Kurs. Wechseln Sie die Ausguckposten so oft, wie Sie es für erforderlich halten, und lassen Sie alle Waffen an Bord überholen. «Er verschränkte die Hände auf dem Rücken.»Strengen Sie die Leute nicht zu sehr an!«Er sah Bolithos Überraschung und beantwortete sie mit leichtem Lächeln.»Sie werden bald zu den Riemen greifen müssen. Ich beabsichtige, die Heloise von ihren Beibooten schleppen zu lassen. Da werden die Männer noch alle Kraft brauchen.»

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