Bulkley drehte sich so langsam zu dem Leutnant um, als täte es ihm weh, sich zu bewegen.»Ich hätte Sie für schlauer gehalten. Sir Piers Garrick natürlich! Ehemals Freibeuter im Namen des Königs und jetzt ein verdammter Seeräuber auf eigene Faust!»
Rhodes betrat die Messe.»Ich habe das eben mitgehört. Wir hätten es wissen müssen, nachdem unser Kommandant schon seinen Namen genannt hatte. Nach so vielen Jahren! Der Mann muß jetzt über sechzig sein. Glauben Sie wirklich, daß er weiß, was aus den Goldbarren der Asturias wurde?»
Colpoys sagte gelangweilt:»Der Knochensäbler ist eingeschlafen, Stephen.»
Poad, der sich in der Nähe aufgehalten hatte, sagte:»Es gibt heute frisches Schweinefleisch, meine Herren. Eine Aufmerksamkeit, die uns ein Mr. Egmont mit besten Empfehlungen geschickt hat. «Er wartete auf den richtigen Augenblick, um fortzufahren:»Der Überbringer sagte, als Erinnerung an den Besuch Mr. Bolithos in seinem Haus. «Bolitho errötete, als alle ihn anschauten.
Colpoys schüttelte bedauernd den Kopf.»Mein Gott, wir sind kaum angekommen, und schon hat eine Frau die Hand im Spiel.»
Als Gulliver sich zu Colpoys und dem Zahlmeister an den Tisch setzte, nahm Rhodes Bolitho beiseite.»Hat er Ihnen hart zugesetzt, Dick?»
«Ich habe meine Selbstbeherrschung verloren. «Bolitho lächelte reuig.
«Lassen Sie sich nichts gefallen! Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen gesagt habe. «Rhodes vergewisserte sich, daß niemand zuhörte.»Ich habe Jury gesagt, daß er im Kartenraum auf Sie warten soll. Sie werden dort einige Zeit ungestört sein, bringen Sie es hinter sich. Ich habe so etwas auch schon durchgemacht. «Er schnupperte und rief:»Ich rieche Schweinebraten, Dick. Sie müssen an Land tatsächlich großen Eindruck gemacht haben.»
Bolitho arbeitete sich zu dem kleinen Kartenraum durch, der neben dem Niedergang lag, und sah Jury neben dem leeren Kartentisch stehen. Wahrscheinlich glaubte er seine Karriere ebenso vom Tisch gewischt wie Gullivers Berechnungen.
Bolitho sagte:»Man hat mir berichtet, was Sie getan haben. Der Fall Murray wird untersucht, darauf hat der Kommandant mir sein Wort gegeben. Sie werden nicht ausgeschifft, wenn wir auf das karibische Geschwader stoßen, sondern bleiben auf der Destiny.«Er hörte, wie Jury aufatmete, und sagte:»Es liegt jetzt also an Ihnen.»
«Ich — ich weiß nicht, was ich sagen soll, Sir.»
Bolitho spürte seine innere Entschlossenheit wanken. Er war selbst einmal so unerfahren wie Jury gewesen und wußte, was es bedeutete, einer offensichtlichen Katastrophe entgegenzusehen.
Er zwang sich zu sagen:»Sie haben falsch gehandelt, indem Sie logen, um einen Mann zu schützen, der wahrscheinlich schuldig ist. «Er unterband Jurys Protestversuch.»Es war nicht richtig, so stark für einen Mann einzutreten, wie Sie es für einen anderen kaum getan hätten. Ich habe den gleichen Fehler begangen. Wenn ich gefragt worden wäre, ob ich mich so für Murray eingesetzt hätte, wenn er eine Niete wäre, oder für Sie, wenn Sie mich nicht gerettet hätten, hätte ich zugeben müssen, daß ich zu Ihren Gunsten voreingenommen war.»
Jury sagte gepreßt:»Ich bedaure den Ärger, den ich verursacht habe. Besonders Ihnen.»
Bolitho sah ihn zum erstenmal voll an und bemerkte den inneren Kampf, den er durchmachte.»Ich weiß. Wir haben beide aus all dem gelernt. «Er fiel in einen härteren Tonfall:»Andernfalls wären wir beide es nicht wert, des Königs Rock zu tragen. Und nun gehen Sie bitte wieder in Ihr Quartier.»
Er hörte Jury den Kartenraum verlassen und wartete einige Minuten, um sich zu sammeln.
Er hatte korrekt gehandelt, auch wenn es jetzt schon etwas spät dafür war. In Zukunft würde Jury sich in acht nehmen und weniger willig sein, sich an andere zu hängen.»Heldenverehrung «hatte der Kommandant es genannt.
Bolitho seufzte und begab sich in die Messe. Als er eintrat, schaute Rhodes ihn fragend an.
Bolitho zuckte die Schultern.»Es war nicht leicht.»
«Das ist es nie. «Rhodes grinste und schnupperte wieder.»Wir werden etwas später essen, aber mir scheint, das Warten lohnt.»
Bolitho nahm Poad ein Glas Wein ab und setzte sich in einen Armstuhl. Rhodes' Rezept war einfacher, dachte er: Lebe für das Heute und sorge dich nicht um das Morgen, auf diese Weise kann dich nichts verletzen. Aber dann dachte er an Jurys verzagtes Gesicht und wußte, daß das nicht stimmte.
VII Im Zwiespalt
Zwei weitere Tage vergingen ohne ein Anzeichen, daß der portugiesische Vizekönig zurückgekehrt war oder beabsichtigte, Dumaresq zu empfangen.
Unter der unbarmherzigen Sonne fast zerfließend, erledigten die Seeleute ihre tägliche Arbeit recht unlustig. Die Stimmung war allgemein gereizt, Streitigkeiten flammten leicht auf, und bei verschiedenen Anlässen wurden Leute nach achtern zur Bestrafung gebracht.
Wenn Dumaresq an Deck kam, schien er mit jedem von der Schiffsglocke angezeigten Wachwechsel ärgerlicher und unduldsamer zu werden. Ein Matrose bekam Strafarbeiten allein deshalb, weil er ihn angestarrt hatte, und Midshipman Ingrave, der als sein Schreiber eingesprungen war, wurde mit der Bemerkung:»Zu dämlich, um eine Feder zu halten«, die noch lange in seinen Ohren nachklang, zurück zu seinem normalen Dienst an Deck geschickt.
Selbst Bolitho, der wenig Erfahrung mit den Gepflogenheiten in ausländischen Häfen hatte, fiel die der Destiny auf gezwungene Isolierung auf. Ein paar Boote mit allerlei Handelswaren lungerten zwar voller Hoffnung auf Geschäfte um das Schiff herum, wurden aber von den aufmerksamen Wachbooten am Herankommen gehindert. Und ganz gewiß war, daß keine Nachricht von dem Mann namens Egmont kam.
Samuel Codd, der Zahlmeister, war nach achtern marschiert, um sich darüber zu beklagen, daß es ihm unmöglich sei, seine Vorräte an frischem Obst zu ergänzen. Das halbe Schiff mußte mit angehört haben, wie Dumaresqs Zorn sich sturzbachartig über ihn ergoß.
«Für was halten Sie mich eigentlich, Sie Geizkragen? Glauben Sie, ich habe nichts anderes zu tun als zu kaufen und zu verkaufen wie ein ambulanter Gemüsehändler? Nehmen Sie ein Boot und gehen Sie selber an Land, aber sagen Sie dem Kaufmann diesmal, die Vorräte seien für mich bestimmt!«Seine mächtige Stimme folgte Codd noch, als der längst die Kajüte verlassen hatte:»Und kommen Sie mir nicht mit leeren Händen zurück!»
Nur in der Offiziersmesse war die Stimmung kaum verändert. Es gab den üblichen Klatsch und aufgebauschte Berichte über die Ereignisse während der Tagesarbeit. Nur wenn Palliser erschien, wurde das Klima förmlich, fast frostig.
Bolitho hatte sich Murray kommen lassen und ihm die Beschuldigung, ein Dieb zu sein, eindringlich vor Augen gehalten. Murray hatte entschlossen verneint, irgend etwas mit der Angelegenheit zu tun zu haben, und Bolitho gebeten, für ihn einzutreten. Bolitho war von dem Ernst des Mannes beeindruckt. Murray war über die Aussicht auf eine zu unrecht erlassene Prügelstrafe weniger verängstigt als empört. Aber die Strafe war nicht mehr abzuwenden, wenn der wahre Dieb nicht gefunden werden konnte.
Poynter, der Oberwachtmeister, blieb unerbittlich. Er hatte die Uhr in Murrays Utensilienkasten bei einer kurzen Durchsuchung entdeckt. Jeder konnte sie da versteckt haben, aber aus welchem Grund? Es hatte festgestanden, daß etwas unternommen werden würde, um die verschwundene Uhr wiederzufinden. Ein vorsichtiger Dieb hätte hundert Möglichkeiten gehabt, sie an einem sicheren Ort zu verstecken. Aber so? Die Sache ergab keinen Sinn.
Am Abend des zweiten Tages kam die Heloise in Sicht. Sie näherte sich langsam der Küste. Ihre Segel schimmerten im scheidenden Sonnenlicht, als sie einen letzten Schlag in Richtung Hafeneinfahrt machte.
Dumaresq beobachtete sie durch sein Teleskop und brummte:»Braucht ja endlos! Da muß er sich schon etwas mehr anstrengen, wenn er befördert werden will!»