Литмир - Электронная Библиотека

«Mehr Leute an die Luv-Fockbrassen! Schreiben Sie den Mann auf, Mr. Slade! Lassen Sie den Anker festzurren — Beeilung jetzt!»

Pallisers Stimme war überall. Als der Anker tropfend unter dem Kranbalken hing und schnell beigeholt und festgezurrt wurde, damit er nicht gegen die Bordwand schlug, wurden die damit beschäftigten Leute von Pallisers alles übertönendem Sprachrohr schon wieder anderswohin kommandiert.»Setzt Fock und Großsegel!»

Die beiden größten Segel des Schiffes entfalteten sich an ihren Rahen und blähten sich in dem frischen Wind wie eiserne Brustpanzer. Bolitho machte eine kleine Pause, um Atem zu holen und seinen Hut zurechtzurücken. Die Landschaft, durch die er auf der Suche nach Freiwilligen gestreift war, lag querab in Lee, während der Bug der Destiny auf die enge Ausfahrt wies, hinter der die offene See wie ein riesiges graues Feld auf sie wartete.

Männer kämpften mit verheddertem Tauwerk, über sich das Quietschen der Blöcke, als Brassen und Schoten statt der Muskeln nun den Kampf gegen Wind, Seegang und die wachsende Pyramide aus Leinwand aufnahmen.

Dumaresq hatte sich anscheinend überhaupt nicht bewegt. Das Kinn im Halstuch vergraben, beobachtete er das Ufer, das an ihnen vorbeiglitt.

Bolitho wischte sich ein paar Wassertropfen — war es Regen oder salzige Gischt? — aus den Augen. Er war aufgeregt und freute sich plötzlich, daß er dazu noch fähig war.

Durch die enge Ausfahrt ging es in den Sund hinaus, wo Drake einmal der spanischen Armada aufgelauert hatte, wo schon hundert

Admiräle Pläne geschmiedet hatten, die über ihre nächste Zukunft entscheiden sollten. Wohin hatte das alles geführt?» Lotgast in die Luv-Rüsten, Mr. Slade!»

Bolitho merkte jetzt, daß er auf einer Fregatte war. Hier gab es kein vorsichtiges Abwägen, keine behäbigen Manöver. Dumaresq wußte, daß viele Augen an Land sie selbst zu dieser frühen Stunde beobachteten. Er würde so nahe an die Landzunge herangehen wie möglich, mit nur knapp einem Faden Wasser zwischen Kiel und Katastrophe. Er hatte den richtigen Wind und das Schiff, mit dem er dies riskieren konnte.

Hinter sich hörte Bolitho, wie Merrett sich übergab, und hoffte, Pal-liser würde es nicht bemerken.

Stockdale schoß die Leine um Handballen und Ellenbogen auf, als sei er es von jung auf nicht anders gewohnt. Gegen seine kräftigen Unterarme wirkte die dicke Leine wie Kabelgarn. Er brummte mit seiner heiseren Stimme:»Jetzt bin ich frei, so frei, wie ich's mir wünsche.»

Bolitho antwortete nicht, denn er erkannte, daß der in vielen Kämpfen ausgelaugte Boxer zu sich selber gesprochen hatte.

Pallisers Stimme weckte ihn wie ein Peitschenhieb.»Mr. Bolitho! Ich sage Ihnen schon jetzt, daß ich die Bramsegel gesetzt haben möchte, sowie wir durch die Enge sind. Damit haben Sie Zeit, Ihren Traum zu beenden und sich wieder um Ihren Dienst zu kümmern, mein Herr!»

Bolitho berührte seinen Hut und nickte seinen Unteroffizieren zu. Palliser war in Ordnung, so lange sie sich in der Messe befanden. Aber an Deck war er ein Tyrann.

Merrett hatte sich über die Kanone gebeugt und erbrach sich in den Wassergang.

«Verdammt noch mal, Mr. Merrett! Machen Sie das bloß schön sauber, bevor Sie abtreten. Und reißen Sie sich zusammen!«Bolitho wandte sich ab, aufgebracht und gleichzeitig über sich selber erstaunt. Pallisers Art war offenbar ansteckend.

III Jäher Tod

Die Woche nach dem Auslaufen der Destiny aus Plymouth wurde die arbeitsreichste und anstrengendste in Bolithos jungem Leben.

Sobald sie frei von Land waren, ließ Dumaresq so viele Segel setzen, wie sein Schiff bei dem ständig zunehmenden Wind ohne Gefahr tragen konnte. Das Leben war nun begrenzt auf einen Alptraum aus beißendem, eiskaltem Sprühwasser, das sich in wilden Kaskaden immer dann über sie ergoß, wenn die Fregatte, aus einem Wellental auftauchend, den nächsten haushohen Wellenberg anschnitt. Es schien niemals zu enden. Seit Tagen steckten sie in nassen Kleidern, die zu trocknen keine Gelegenheit war, und aßen das, was der Smutje bei dem Wetter mit Mühe zustande und heil nach achtern brachte, wo sie es möglichst schnell hinunterschlangen.

Einmal, als Rhodes Bolitho auf Wache ablöste, schrie er ihm über das Getöse wild schlagender Leinwand und tobender See ins Ohr:»Das ist typisch für unseren > Herrn und Meisten: Er treibt das Schiff bis an die Grenze und prüft dabei jeden Mann auf Herz und Nieren. «Er duckte sich, als ein neuer Schauer eiskalten Sprühwassers über sie hinwegzog.»Die Offiziere prüft er dabei natürlich auch, das wollen wir nicht vergessen.»

Die Stimmung an Bord war gereizt, und ein- oder zweimal flackerte Ungehorsam auf, der aber durch die kräftigen Fäuste eines Maates oder die Drohung mit offizieller Meldung und Auspeitschen unterdrückt wurde.

Der Kommandant war viel an Deck und ging ruhelos zwischen Kompaß und Kartenraum hin und her, wobei er ihr Vorankommen mit Gulliver, dem Master, oder mit dem Ersten Offizier besprach.

Nachts war es noch schlimmer. Bolitho kam es vor, als wäre es ihm noch kein einziges Mal gelungen, den Kopf während der Freiwache in sein muffiges Kopfkissen zu vergraben, bevor ihn nicht ein heiserer» Alle-Mann«-Ruf wieder aufstörte.»Alle Mann! Ein Reff ins Marssegel!»

In solchen Augenblicken erkannte Bolitho den Unterschied: Auf einem Linienschiff hatte er sich mit den übrigen nach einem solchen Kommando in die Masten arbeiten und seine Schwindelanfälle niederkämpfen müssen, ohne die anderen etwas von seiner Angst merken zu lassen. Aber wenn er es dann geschafft hatte, war es vorbei. Jetzt, als Offizier, kam dagegen alles so, wie Dumaresq vorausgesagt hatte,

Mitten im heftigsten Sturm, gegen den die Destiny in der Biskaya ankreuzte, kam der Befehl, ein weiteres Reff einzustecken. Es war eine Nacht ohne Mond und Sterne, sie sahen lediglich eine sich immer neu auftürmende, weißgekrönte Wasserwand. Sie brachte ihnen zu Bewußtsein, wie winzig ihr Schiff in Wirklichkeit war.

Die Männer taumelten auf ihre Stationen, benommen von der nicht enden wollenden, harten Arbeit und halb blind vom Salzwasser, das sie unaufhörlich übergoß. Zögernd arbeiteten sie sich die vibrierenden Webeleinen hinauf und legten auf den Marsrahen aus. Die Destiny lag so stark nach Lee über, daß es schien, als tauche sie mit der Nock ihrer Großrah in die brechenden Wellenkämme ein.

Forster, befehlshabender Deckoffizier am Großmast und Bolithos rechte Hand, hatte ihm zugerufen:»Dieser Mann hier will nicht nach oben, ums Verrecken nicht!»

Bolitho, der sich an einem Stag festhielt, um nicht weggerissen zu werden, schrie zurück:»Dann gehen Sie, um Himmel willen, selber, Forster! Wenn Sie nicht oben sind, passiert Gott weiß was!«Dabei schaute er zu den übrigen Leuten hinauf, während der Sturm unaufhörlich jaulte und schrie wie ein Lebewesen, das sich an ihrer Qual weidete.

Jury war mit oben gewesen und beim Hinabklettern von der Macht des Windes an die Wanten gepreßt worden. Am Fockmast hatten sie die gleichen Probleme mit Menschen und Tauwerk, Segeln und Rahen, während das Schiff sein Möglichstes tat, sie alle in die tobende See zu schleudern.

Da erinnerte sich Bolitho, was Forster ihm zugerufen hatte. Der Befehlsverweigerer starrte ihn trotzig an, eine magere Gestalt in halb zerrissenem kariertem Hemd und Seemannshose.

«Was ist los mit Ihnen?«Bolitho mußte schreien, um sich in dem Getöse verständlich zu machen.

«Ich kann nicht!«schrie der Mann zurück und schüttelte wild den Kopf.»Kann nicht!»

Gerade kämpfte sich Little fluchend vorbei und schleppte mit dem Bootsmann neues Tauwerk als Reserve für den Großmast heran.

Er brüllte:»Ich hieve ihn persönlich nach oben, Sir!«Bolitho aber rief dem Matrosen zu:»Helfen Sie unter Deck an den Pumpen!»

Zwei Tage danach wurde der Mann als verschwunden gemeldet. Eine sorgfältige Durchsuchung des Schiffes blieb ergebnislos.

10
{"b":"112734","o":1}