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Eine Pieke stieß an Bolithos Hüfte vorbei und spießte einen Mann auf, der versucht hatte, seinen beiden Kameraden durch die Gasse zu folgen. Er schrie auf und versuchte, sich die Pieke mit blutenden Fingern aus dem Leib zu ziehen, bis Stockdale aus dem Gedränge auftauchte und ihm mit seinem Entermesser den Garaus machte.

Midshipman Ingrave war zu Boden gegangen und hielt sich mit beiden Händen den Kopf, während die kampfbesessenen Männer haßerfüllt über ihn hinwegtorkelten.

Über allem Kampfeslärm hörte Bolitho Pallisers Stimme:»Zu mir, Jungs!«Dem folgte wildes Geschrei, und mit Staunen sah Bolitho eine dichte Menge den Niedergang und das vordere Luk hochquellen,

um mittschiffs zu Palliser zu stoßen. Auf dem Weg dorthin klatschten ihre nackten Klingen bereits auf die überraschten Enterer nieder.

«Treibt sie zurück!«Palliser bahnte sich einen Weg durch seine Leute und schien sie zu neuer Anstrengung zu beflügeln.

Bolitho sah schattenhaft eine Gestalt auf sich zuspringen und schlug mit aller Kraft zu. Der Mann stöhnte auf, als die Säbelklinge ihn quer über dem Leib traf. Er fiel auf die Knie und preßte beide Hände auf die schreckliche Wunde, während jubelnde Matrosen über ihn hinwegstolperten.

Es konnte nicht wahr sein und stimmte doch: Aus der sicheren Niederlage war ein Gegenangriff geworden, und die Feinde zogen sich bereits unter den Schlägen von Pallisers Leuten in wilder Flucht zurück.

Bolitho hatte erkannt, daß es die Gefangenen waren, die ursprüngliche Besatzung der Heloise, die Palliser freigelassen und für seine Ziele gewonnen hatte. In seinem Kopf wirbelte es jedoch wild durcheinander, als er mit den übrigen weiterkämpfte, mit schmerzender Schulter und einem bleischweren säbelführenden Arm. Palliser mußte ihnen eine Gegenleistung für ihre Hilfe versprochen haben. Einige von ihnen waren schon gefallen, aber ihr plötzliches Eingreifen hatte die Männer von der Destiny mit neuem Mut erfüllt. Außerdem bemerkte Bolitho, daß einige Piraten auf ihr Schiff zurückgeklettert waren. Als er sich zum erstenmal wieder umschauen konnte, sah er, daß die Leinen mit den Enterhaken durchtrennt waren und der Schoner sich bereits von ihnen gelöst hatte. Bolitho ließ den Arm sinken und blickte zum zweiten Schoner, der seine Segel dichtholte und den Wind nutzte, um sich von der entmasteten, blutüberströmten, aber siegreichen Brigg freizuhalten. Männer jubelten und klopften einander auf die Schultern. Andere halfen ihren verwundeten Kameraden oder rannten herum und riefen die Namen von Freunden, die nicht mehr antworten konnten.

Ein Pirat, der sich totgestellt hatte, rannte plötzlich zum Schanzkleid, als er begriff, daß sein eigenes Schiff den Kampf abgebrochen hatte. Das war Olssons Augenblick: Sorgsam zog er ein Messer aus dem Gürtel und warf es. Es zuckte auf wie ein Lichtblitz. Bolitho sah den Mann sich in vollem Lauf um seine Achse drehen, die Augen staunend aufgerissen, während das Heft des Messers zwischen seinen Schultern hervorragte.

Little zog das Messer heraus und warf es dem Schweden wieder zu:»Fang!«Dann hob er den Leichnam auf und warf ihn über Bord.

Palliser schritt die ganze Länge des Decks entlang, den Säbel über der Schulter, von dem es rot auf seinen Rock heruntertropfte.

Bolitho fing seinen Blick auf und sagte heiser:»Wir haben's geschafft, Sir. Ich hätte nie geglaubt, daß es klappt.»

Palliser beobachtete, wie die freigelassenen Gefangenen ihre Waffen zurückgaben und dann einander anstarrten, als seien sie von dem, was sie getan hatten, selbst überwältigt.

«Ich auch nicht, ehrlich gesagt.»

Bolitho wandte sich um und sah, wie Jury sich bemühte, Ingraves Kopf zu verbinden. Beide hatten also überlebt.

Er fragte:»Glauben Sie, daß sie nochmals angreifen?»

Palliser lächelte.»Wir haben zwar keine Masten mehr, aber sie haben noch welche. Ihre Ausguckposten können weiter sehen als wir. Ich bezweifle, daß wir den Sieg nur einer Kriegslist verdanken.»

Palliser hatte recht wie immer. Innerhalb einer Stunde zeichnete sich die vertraute, sonnenbeschienene Segelpyramide der Destiny am Horizont ab. Sie waren nicht mehr allein.

X Eines Mannes Verlangen

Die Kajüte der Destiny kam Bolitho nach der Enge auf der Brigg Ro-sario unnatürlich groß und leer vor. Ungeachtet dessen, was er durchgemacht hatte, fühlte er sich hellwach und fragte sich selber, woher diese frische Energie kam.

Den ganzen Tag über hatte die Fregatte in Luv der Rosario beigedreht gelegen. Während der Rest von Pallisers Gruppe und die Verwundeten zur Destiny gebracht wurden, hatten andere Boote frische Leute und allerlei Material zur Brigg gepullt, um deren Besatzung beim Aufrichten eines Notmastes und den notwendigsten Ausbesserungsarbeiten zu helfen, damit sie den nächsten Hafen erreichen konnte.

Dumaresq saß am Tisch, vor sich einen unordentlichen Haufen Se e-karten und Papiere, die Palliser von der Rosario mitgebracht hatte. Er war ohne Uniformrock, und wie er so in Hemdsärmeln und mit lose geschlungenem Halstuch dasaß, sah er keineswegs aus wie der Kommandant einer Fregatte.

Er sagte:»Sie haben Ihre Sache gut gemacht, Mr. Palliser. «Er schaute hoch, der Blick seiner weit auseinanderstehenden Augen wanderte zu Bolitho.»Und Sie auch.»

Bolitho dachte an ihr letztes Beisammensein, als er und Palliser von Dumaresq scharf zurechtgewiesen worden waren.

Dumaresq schob die Papiere beiseite und lehnte sich in seinem Sessel zurück.»Zu viele Tote. Und die Heloise auch verloren. «Er wischte den Gedanken weg.»Aber Sie haben die richtige Entscheidung getroffen, Mr. Palliser, und haben sie tapfer ausgeführt. «Er schenkte ihm ein Lächeln.»Ich werde die Leute der Heloise mit der Rosario zurückschicken. Soweit wir erfuhren, scheint ihr Anteil an den Geschehnissen gering gewesen zu sein. Sie waren von der Brigg angeheuert oder sogar gepreßt worden, und als sie erkannten, daß es nicht um eine kurze Fahrt entlang der Küste ging, waren sie schon zu weit draußen auf dem Atlantik. Ihr Kapitän Triscott und seine Maaten sorgten dafür, daß sie in Unwissenheit blieben. Darum werden wir sie alle der Fürsorge der Rosario überlassen. «Er deutete auf seinen Ersten Offizier.»Aber erst, nachdem Sie einige gute Leute, die Sie brauchen, um unsere Verluste zu ersetzen, ausgewählt und verpflichtet haben. Der Dienst des Königs wird eine eindrucksvolle Abwechslung für sie sein.»

Palliser fischte sich mit langem Arm ein Glas Wein vom Tablett des Kommandantenstewards, der sich diskret hinter ihnen bewegte.»Was geschieht mit Egmont, Sir?»

Dumaresq seufzte.»Ich habe befohlen, ihn und seine Frau noch vor Sonnenuntergang an Bord zu bringen. Sie befinden sich unter Aufsicht von Leutnant Colpoys. Ich wollte, daß Egmont bis zum letzten Agenblick drüben bleibt, damit er sieht, was er mit seiner Habgier und Verräterei sowohl der Besatzung der Brigg wie meiner eigenen angetan hat. «Dumaresq sah Bolitho an.»Unser Arzt hat mir bereits von dem Schiff berichtet, das Sie beide in solcher Heimlichkeit aus Rio auslaufen sahen. Egmont war in Sicherheit, so lange er unentdeckt blieb. Aber wer die Rosario kapern ließ, der wollte auch, daß Egmont getötet wurde. Aus den Seekarten der Brigg ist zu schließen, daß ihr Ziel die Insel Saint Christopher war. Egmont war bereit, dem Kapitän jede Summe zu zahlen, damit er ihn hinbrachte, und zwar unverzüglich, ohne unterwegs andere Häfen anzulaufen. «Ein Lächeln überzog langsam sein Gesicht.»Also ist das der Ort, an dem sich Sir Garrick aufhält.»

Er nickte, um seine Behauptung zu bekräftigen.»Die Jagd ist also fast beendet. Mit Egmonts beschworener Aussage — und er hat jetzt keine andere Wahl — werden wir das Piratennest ein für allemal dem Erdboden gleichmachen. «Er bemerkte Bolithos fragenden Blick und fügte hinzu:»Die Karibik hat schon viele märchenhafte Reichtümer entstehen sehen, nämlich die von Piraten, ehrlichen Kaufleuten, Sklavenhändlern und Glücksrittern aller Art. Und wo gäbe es einen geeigneteren Platz, an dem alte Feinde ungestört ihr Süppchen kochen könnten?»

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