Macmillan drückte sich an der Lamellentür herum, bis das Auge des Kommandanten auf ihn fiel.
«Mr. Timbrell läßt gehorsamst fragen, Sir, ob Sie das Schiff abdunkeln wollen?»
Dumaresq schüttelte langsam den Kopf.»Diesmal nicht. Ich möchte, daß Garrick uns sieht. Seine große Schwäche ist — abgesehen von seiner Habgier — sein Jähzorn. Ich habe vor, ihn noch zorniger zu machen, bevor es tagt.»
Macmillan öffnete die Tür, und die Offiziere und Fähnriche zogen sich dankbar zurück. Nur Palliser blieb; Bolitho nahm an, daß er die technischen Einzelheiten lieber allein und ohne Störung mit dem Kommandanten besprechen wollte.
Als die Tür sich schloß, wandte Dumaresq sich seinem Ersten Offizier zu und wies auf einen Sessel.»Es gibt noch etwas, habe ich recht?»
Palliser setzte sich und streckte die langen Beine aus. Einen Augenblick rieb er sich die Augen mit den Handknöcheln, ehe er sagte:»Sie hatten recht, was Egmont betrifft, Sir. Selbst als Sie ihn auf ein Schiff mit Kurs Basseterre gesetzt hatten, versuchte er noch, Garrick zu warnen oder mit ihm in Verbindung zu treten. Wie das geschah, werden wir wohl nie erfahren. Er wechselte offenbar auf ein kleines, schnelleres Schiff über und nahm nördlichen Kurs durch die Inselgruppe, um vor uns da zu sein. Doch wie es auch war, seine Warnung an Garrick war verschwendet.»
Er faßte in seine Tasche und zog einen goldenen Halsschmuck mit dem doppelköpfigen Vogel und den rubinschimmernden Schwanzfedern heraus.
«Garrick hat beide Egmonts ermorden lassen. Diesen Schmuck habe ich einem unserer Gefangenen abgenommen. Der Matrose, von dem ich Ihnen berichtete, erzählte mir den Rest.»
Dumaresq nahm das schwere Schmuckstück in die Hand und betrachtete es traurig.
«Murray hat es gesehen?»
Palliser nickte.»Er ist verwundet worden. Ich habe ihn auf den Schoner geschickt, bevor er mit Mr. Bolitho sprechen konnte.»
Dumaresq trat wieder an die Heckfenster und sah zu, wie der Schoner abdrehte und ihnen das Heck zeigte. Seine Segel schimmerten so golden wie der Halsschmuck in seiner Hand.
«Das war sehr überlegt gehandelt. Für das, was er gesagt und getan hat, wird Murray in England aus der Marine entlassen werden.
Ich bezweifle, daß sein Weg sich jemals wieder mit dem Bolithos kreuzen wird.»
«Dann wollen Sie ihm also nichts davon sagen, Sir? Ihn nicht wissen lassen, daß Aurora Egmont tot ist?»
Dumaresq beobachtete die Schatten, die den Rumpf des davonse-gelnden Schoners bereits verhüllten.
«Von mir wird er nichts erfahren. Morgen müssen wir kämpfen, und da muß jeder Offizier und jeder Mann alles geben, was er hat. Richard Bolitho hat bewiesen, daß er ein guter Offizier ist. Wenn er den morgigen Tag überlebt, wird er ein noch besserer sein. «Dumaresq klappte ein Fenster auf und warf den Schmuck ohne Zögern ins Kielwasser der Destiny. »Ich lasse ihm seinen Traum. Es ist das mindeste, was ich für ihn tun kann.»
In der Messe saß Bolitho in einem Sessel und ließ die Arme hängen, während die Spannung in ihm wie feiner Sand in einem Stundenglas verrann. Rhodes saß ihm gegenüber und starrte in ein leeres Weinglas, ohne etwas zu erkennen.
Immer wieder stand ein neuer Morgen mit seinen Anforderungen vor ihnen. Es war wie der Horizont: sie erreichten ihn nie.
Bulkley trat ein und ließ sich schwerfällig zwischen ihnen nieder.»Ich habe mich gerade mit unserem starrköpfigen Seesoldaten abgegeben.»
Bolitho nickte trübsinnig. Colpoys hatte darauf bestanden, bei seinen Leuten auf der Fregatte zu bleiben. Gut versorgt und so bandagiert, daß er nur einen Arm bewegen konnte, hatte er kaum Kraft genug, sich auf den Beinen zu halten.
Palliser trat ein und warf seinen Hut auf eine Kanone. Kurz schaute er sie an und sah dabei wahrscheinlich den Raum schon so vor sich, wie er morgen früh aussehen würde: ohne Möbel, die leichten Wände herausgenommen, die kleinen persönlichen Dinge vor Rauch und Feuer in Sicherheit gebracht.
Dann sagte er scharf:»Es ist Ihre Wache, scheint mir, Mr. Rhodes. Der Master sollte nicht alles allein machen müssen, wie Sie wissen.»
Rhodes erhob sich mühsam und grinste.»Aye, aye, Sir. «Wie ein Schlafwandler wankte er aus der Messe.
Bolitho hatte nichts davon gehört. Er dachte an Aurora. Er benutzte die Erinnerung an sie wie ein Schild, mit dem er die Bilder und Ereignisse dieses Tages von seinem Innern fernhielt.
Dann stand er abrupt auf und entschuldigte sich bei den anderen, als er sich in die private Sphäre seiner Kammer zurückzog. Er wollte nicht, daß sie seine Niedergeschlagenheit bemerkten. Denn als er sich bemüht hatte, im Geiste Auroras Gesicht zu sehen, war nur ein verschwommenes Trugbild erschienen. Nicht mehr.
Bulkley schob eine Flasche über den Tisch.»War's schlimm?»
Palliser überlegte.»Es wird noch schlimmer. «Aber eigentlich dachte er an den juwelenbesetzten Halsschmuck, der jetzt achteraus auf dem Meeresgrund lag: eine private Beisetzung.
Der Arzt stieß nach:»Ich freue mich über Murray. Das ist ein kleiner Lichtblick in all dem Elend. Gut zu wissen, daß er frei von Schuld ist.»
Palliser schaute weg.»Ich mache jetzt meine Runde und lege mich dann ein paar Stunden aufs Ohr.»
Bulkley seufzte.»Ich auch. Ich wollte aber darum bitten, daß ich Spillane, den provisorischen Schreiber, ausgeliehen bekomme. Auch ich bin knapp an Leuten.»
Palliser hielt an der Tür inne und sah Bulkley mit leerem Blick an.»Da müssen Sie sich aber beeilen. Morgen früh wird er vielleicht schon hängen, um Garricks Zorn weiter anzuheizen. Er war nämlich sein Spion. Murray hat gesehen, wie Spillane den Leichnam des alten Lockyer durchsuchte, als er an Bord gebracht wurde. «Die Müdigkeit verwischte Pallisers Worte.»Spillane versuchte, Murray mit Jurys Uhr zu kompromittieren und einen Keil zwischen Vor- und Achterdeck zu treiben. So etwas hat es schon öfter gegeben. «Mit plötzlich aufsteigender Bitterkeit setzte er hinzu:»Spillane ist genauso ein Mörder wie Garrick.»
Ohne ein weiteres Wort marschierte er aus der Messe; als Bulkley sich umwandte, sah er, daß Pallisers Hut noch immer auf der Kanone lag.
Was morgen auch geschah, nichts würde je wieder so sein wie bisher, dachte der Arzt, und diese Einsicht machte ihn sehr traurig.
Als die Dunkelheit schließlich den Horizont verwischte und der flache Hügel über der Insel Fougeaux verschwunden war, spiegelten sich die Lichter der Destiny immer noch wie wachsame Augen im Wasser.
XVII Die Schlacht
Über Nacht schien die Insel Fougeaux geschrumpft zu sein, denn als das erste schwache Licht den Horizont erhellte, sah sie nicht viel größer aus als eine Sandbank, Steuerbord voraus von der Destiny.
Bolitho setzte sein Fernglas ab und ließ damit die Insel in den Schatten zurücksinken. Binnen einer Stunde würde er strahlendem Sonnenschein weichen. Er wandte dem Land den Rücken und marschierte langsam auf und ab. Das Schiff hatten sie schon während der Nachtwachen fast gefechtsklar gemacht. Die Seeleute kannten sich an Deck und rund um die Masten so gut aus, daß wenig übrigblieb, was sie erst bei Tageslicht erledigen konnten. Dumaresq hatte das mit der gleichen peinlichen Genauigkeit geplant wie alles, was er anpackte. Seine Männer sollten einsehen, daß der Kampf ebenso unvermeidbar war wie die Tatsache, daß einige von ihnen, wenn nicht gar alle, niemals wieder eine Fahrt mit der Destiny antreten würden. Es gab nur einen anderen Weg, und der war auf der Seekarte des Masters mit zweitausend Faden[15] eingezeichnet und führte senkrecht nach unten.
Dumaresq sorgte aber auch dafür, daß seine Leute so ausgeruht wie möglich waren, wenn sich der Feind zeigte, und nicht erschöpft von aufreibenden Gefechtsvorbereitungen.
Palliser erschien auf dem Achterdeck und sagte nach einem flüchtigen Blick auf Kompaß und Segel:»Ich hoffe, die Freiwache ist gleich fertig mit dem Frühstück?»