Dumaresq sagte:»Ich beabsichtige, den Kutter und die Jolle in einer Stunde auszusetzen. Um Mitternacht sollten wir dann auf der richtigen Position sein, um auch Pinasse und Barkasse zu fieren. «Sein Blick ruhte auf Bolitho.»Ihre Leute werden hart zu pullen haben, aber dafür wird die Deckung besser sein. «Er zählte die einzelnen Punkte noch einmal an den Fingern ab.»Vergewissern Sie sich, daß Musketen und Pistolen ungeladen bleiben, bis keine Panne mehr passieren kann. Prüfen Sie alle Geräte, die Sie brauchen, bevor Sie ins Boot steigen. Und sprechen Sie mit Ihren Leuten. «Er sagte es freundlich, beinahe herzlich.»Sprechen Sie mit ihnen. Die Leute sind Ihre Stärke und werden Sie beobachten, ob Sie allem gerecht werden.»
Füße trampelten über ihren Köpfen, und Taljen wurden geräuschvoll über Deck geschleift. Die Destiny drehte bei.
Dumaresq schloß seine Ansprache:»Morgen ist Ihr schwerster Tag, Mr. Bolitho. Sie liegen im Versteck und tun gar nichts. Wenn Sie entdeckt werden, kann ich Ihnen nicht helfen.»
Midshipman Merrett klopfte an und rief:»Meldung von Mr. Yeames, Sir: wir haben beigedreht.»
Die Meldung schien überflüssig, da sie es längst an den unruhigen Bewegungen der Kajüte gemerkt hatten; darum grinsten einige der Anwesenden und stießen einander an. Sogar Rhodes, von dem Bolitho wußte, daß er sich vor dem Kommenden schrecklich fürchtete, lächelte breit. Die gleiche verrückte Stimmung schien zurückzukehren. Vielleicht war es besser so.
Sie verließen die Kajüte und waren bald darauf in ihren jeweiligen Gruppen untergetaucht.
Bootsmann Timbrells Heißkommando hatte schon die Jolle ausgesetzt, und kurz darauf folgte ihr der Kutter über die Hängemattsnetze in das gegen die Bordwand klatschende Wasser. Plötzlich war für nichts anderes mehr Zeit. In der alle umhüllenden Dunkelheit stießen ein paar Hände vor für einen kurzen Klaps auf die Schulter, und einige Stimmen flüsterten Freunden oder Kameraden» viel Glück «oder» zeigt es ihnen «zu. Und dann lag auch das hinter ihnen, und die Boote, die bis dahin längsseits in der Dünung gedümpelt hatten, machten sich auf den Weg zur Insel.
«Bringen Sie das Schiff wieder in Fahrt, Mr. Gulliver. «Dumaresq drehte der See den Rücken zu, als hätte er sich Palliser und die beiden Boote schon aus dem Kopf geschlagen.
Bolitho sah Jury mit dem jungen Merrett sprechen und fragte sich, ob Merrett froh war, daß er an Bord bleiben durfte. Es war unglaublich, wieviel sich in diesen wenigen Monaten ereignet hatte, seit sie als Besatzung erstmals zusammengekommen waren.
Dumaresq trat leise heran.»Sie müssen noch warten, Mr. Bolitho. Ich wollte, ich könnte das Schiff für Sie beschleunigen. «Er lachte in sich hinein.»Aber es gab noch nie einen bequemen Weg zum Erfolg.»
Bolitho berührte seine Narbe mit einem Finger. Bulkley hatte die
Nähte entfernt, und trotzdem war er noch immer nicht sicher, ob ihn nicht wieder die heftigen Schmerzen packen würden und das gleiche Gefühl der Verzweiflung, das ihn ergriffen hatte, als er niedergehauen worden war.
Dumaresq sagte plötzlich:»Mr. Palliser und seine wackeren Leute sind jetzt auf halbem Wege. Aber ich darf nicht länger an sie denken, weder an sie als Untergebene, noch als Freunde, bis alles vorüber ist. «Er wandte sich ab und setzte nur noch kurz hinzu:»Eines Tages werden Sie mich verstehen.»
XV Mut im rechten Augenblick
Bolitho versuchte, sich in der auf und ab tanzenden Pinasse zu erheben, und griff als Halt nach Stockdales Schulter. Trotz der nächtlichen Kühle und der Spritzer, die bei dem Seegang unaufhörlich über das Setzbord schlugen, war ihm heiß wie im Fieber. Je näher das Boot der kaum sichtbaren Insel kam, desto schwieriger wurde es. Und dabei hatten die Männer geglaubt, der erste Teil ihrer Fahrt, als sie vom Mutterschiff abgesetzt hatten und mit Einsatz aller Kräfte dem Ufer entgegengepullt waren, wäre der schlimmere Teil gewesen. Jetzt wußten sie es besser, nicht zuletzt der Dritte Offizier.
Anfangs nur gelegentlich, dann immer häufiger, rauschten sie an gischtübersprühten, gezackten Felsspitzen oder Korallenbänken vorbei, wobei es oft den Anschein hatte, als ob diese und nicht das Boot sich bewegten.
Keuchend und fluchend mühten sich die Ruderer, gleichen Schlag zu halten, aber das wurde immer wieder unmöglich gemacht, wenn einer von ihnen seinen Riemen aus der Rundsei ziehen mußte, um zu verhindern, daß das Blatt an einer Felsspitze zersplitterte.
Das ständige Herumgeschleudertwerden machte das Nachdenken schwierig; Bolitho mußte sich sehr anstrengen, um sich Dumaresqs Anweisungen und Gullivers düstere Voraussagen für ihre letzte Wegstrecke in Erinnerung zu rufen. Kein Wunder, daß Garrick sich hier sicher fühlte. Kein größeres Schiff konnte es wagen, sich durch diesen Irrgarten von Korallen- und Felsblöcken der Insel zu nähern. Für die Pinasse war es schon schwierig genug. Bolitho wagte gar nicht, an die vierunddreißig Fuß[13] lange Barkasse der Destiny zu denken, die ihnen irgendwo achteraus folgte. In dem Boot befanden sich Colpoys und seine Scharfschützen, ferner eine zusätzliche Ladung Schießpulver. Wie mochte es jetzt Pallisers großer Gruppe gehen, die an der Südwestseite der Insel abgesetzt worden war? Und was machten Bolithos eigene Männer an Bord? Dumaresq war nun knapp an Leuten. Wenn er angegriffen wurde, mußte er ausweichen. Der Gedanke, Dumaresq auf der Flucht zu wissen, war so absurd, daß er Bolitho irgendwie Kraft gab.
«Wahrschau! Direkt voraus!«Das war Bootsmannsmaat Ellis Pearse im Bug. Er war ein erfahrener Seemann und hatte den letzten Teil ihres Weges immer wieder mit Bleigewicht und Leine gelotet. Jetzt betätigte er sich auch als Ausguck, weil immer neue Felsen aus der Finsternis vor ihnen auftauchten.
Der Lärm, den sie im Boot machten, schien so groß zu sein, daß man sie vom Ufer aus hören mußte. Doch Bolitho wußte aus Erfahrung, daß das Getöse der Brandung das Geklapper der Riemen und ihre verzweifelten Anstrengungen, sich mit Bootshaken und Fäusten einen Weg durch die mörderischen Felsen zu erkämpfen, übertönte. Bei Mondlicht, und wenn es noch so schwach gewesen wäre, hätte es anders ausgesehen. Seltsamerweise hob sich für einen aufmerksamen Wächter an Land ein kleines Boot besser ab als ein vollgetakeltes Schiff. Das hatte schon mancher Schmuggler an der Küste von Corn-wall zu seinem Leidwesen erfahren.
Pearse rief heiser:»Land voraus!»
Bolitho hob eine Hand zum Zeichen, daß er verstanden hatte, und fiel fast der Länge nach hin.
Noch sah es so aus, als wolle der mahlende Strom zwischen den Felsen niemals enden. Doch dann sah auch er es: die schwache Andeutung von Land, das sich über der wehenden Gischt erhob. Und es kam schnell näher.
Er grub die Finger in Stockdales Schulter. Sie fühlte sich unter dem durchnäßten Hemd an wie Eichenholz.
«Vorsicht jetzt, Stockdale! Etwas mehr nach Steuerbord!»
Josh Little, der Stückmeistersmaat, knurrte:»Zwei Mann fertigmachen zum Außenbordsgehen!»
Bolitho sah zwei Matrosen über dem schäumenden Wasser hocken und hoffte, daß er die Tiefe nicht falsch eingeschätzt hatte.
Irgendwo hinter sich hörte er ein Knirschen und dann das heftige Schlagen von Riemen, die sich mühten, die Barkasse wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Sie hatte wohl den letzten großen Felsbrocken gestreift, dachte Bolitho.
Little lachte in sich hinein.»Ich wette, da haben die Ochsen vor Angst gezittert. «Dann stieß er den ihm am nächsten hockenden Mann an.»Los!»
Der Matrose glitt nackt, wie er auf die Welt gekommen war, über das Rundselbord, hing einen Augenblick strampelnd und Wasser spuckend daran und keuchte dann:»Sandiger Grund!»
«Auf Riemen!«Stockdale legte hart Ruder.»Streich Steuerbord, Ruder an Backbord!»
Es gelang ihnen, die Pinasse zu drehen und mit Hilfe der beiden ins Wasser gesprungenen Männer mit dem Heck voran auf den Strand zu setzen.