Bolitho sah mit schnellem Blick, daß Rhodes blaß geworden war. Auf seiner Stirn standen kleine Schweißtropfen.
Der älteste Fähnrich, Henderson, sah im Vergleich dazu ruhig und unternehmungslustig aus. Es war seine erste Bewährungsprobe, und bald würde er sich wie Palliser um eine Beförderung bemühen wollen. Das stand in seinen Überlegungen obenan, wenigstens so lange, bis es zur tatsächlichen Begegnung kam.
«Wir erwarten eine mondlose Nacht, und soweit ich aus den Anzeichen schließen kann, wird die See uns freundlich gesonnen sein. «Dumaresqs Gestalt schien mit seinen Ideen zu wachsen.»Als nächste wird die Pinasse ausgesetzt und auf die Riffe am nordöstlichen Ende der Insel zuhalten.»
Bolitho bemühte sich, nicht den Atem anzuhalten. Er wußte schon, was kommen würde.
So war es fast eine Erlösung, als Dumaresq sagte:»Mr. Bolitho, Sie übernehmen das Kommando auf der Pinasse. Sie werden unterstützt von den Midshipmen Cowdroy und Jury, außerdem von einem erfahrenen Geschützführer mit vollständiger Crew. Sie werden diese einzelne Kanone am Hügelabhang aufspüren, erobern und anschließend selber benutzen. «Er lächelte, aber in seinen Augen war keine Wärme.»Leutnant Colpoys kann eine Korporalschaft ausgesuchter Scharfschützen einteilen und mit ihnen Mr. Bolithos Aktion decken. Sie werden bitte dafür sorgen, daß Ihre Seesoldaten die Uniformröcke ablegen und sich so lässig kleiden wie Matrosen.»
Colpoys war sichtlich entsetzt — nicht über die Aussicht, daß er sein Leben verlieren könnte, sondern über den Gedanken, seine Seesoldaten in etwas anderes gekleidet zu wissen als in ihre roten Waffenrök-
ke.
Dumaresq musterte prüfend ihre Gesichter. Vielleicht um die Erleichterung bei denen abzulesen, die an Bord bleiben würden, und die Sorgen bei denen, die für den gewagten Angriffsplan eingeteilt waren.
Er sagte langsam:»In der Zwischenzeit werde ich das Schiff gefechtsklar machen. Denn Garrick wird herauskommen, meine Herren. Er hat zu viel zu verlieren, wenn er drinnen bleibt, und da die Destiny der einzige Zeuge gegen ihn ist, wird er alles daransetzen, uns zu vernichten.»
Sie waren jetzt ganz Ohr.
«Und dazu wäre er gezwungen, weil ich ihn keinesfalls freiwillig vorbeilasse. «Palliser stand auf.»Wir sind entlassen.»
Sie bewegten sich in Richtung Tür, grübelten über Dumaresqs Worte nach und hatten vielleicht noch ein Fünkchen Hoffnung, daß der offene Kampf vermieden werden könnte.
Rhodes sagte leise:»Nun, Dick, ich glaube, ich brauche einen tüchtigen Schluck, bevor ich heute nacht die Wache übernehme. Mir liegt es nicht, über Kommendem lange zu brüten.»
Bolitho warf einen Blick auf die Midshipmen, als sie an ihnen vorbeigingen. Für sie mußte es noch viel schlimmer sein. Er sagte:»Solch eine Unternehmung habe ich schon mitgemacht. Ich nehme an, daß Sie und der Erste Offizier eines der vor Anker liegenden Schiffe herausholen sollen. «Er zitterte trotz aller Selbstbeherrschung.»Ich bin nicht begeistert von der Aussicht, daß ich ihnen diese Kanone unter der Nase wegnehmen soll.»
Sie sahen einander an, und schließlich sagte Rhodes:»Wer als erster von uns zurückkommt, spendiert Wein für die ganze Messe.»
Bolitho wußte darauf nichts zu antworten. Er tastete sich seinen Weg zum Niedergang und hinauf aufs Achterdeck, um seine Wache wieder zu übernehmen.
Ein großer Schatten löste sich vom Fuß des Besanmastes; Stockdale sagte in heiserem Flüsterton:»Morgen nacht also, Sir?«Er wartete nicht auf eine Antwort.»Das fühle ich in meinen Knochen. «Er rieb sich die Hände in der Dunkelheit.»Sie beabsichtigen doch wohl nicht, jemand anderen als Geschützführer mitzunehmen?»
Sein schlichtes Vertrauen half Bolitho mehr, seine Sorgen zu zerstreuen, als er für möglich gehalten hätte.
«Wir bleiben beisammen. «Impulsiv berührte er Stockdales Arm.»Aber danach werden Sie den Tag verfluchen, an dem Sie zur See gegangen sind.»
Stockdale schüttelte sich vor unterdrücktem Gelächter.»Niemals. Hier hat ein Mann Platz zum Atmen.»
Yeames, der Steuermannsmaat der Wache, grinste.»Ich vermute, dieser verdammte Pirat weiß nicht, was ihm bevorsteht. Der alte Stockdale wird ihm schon den Bart stutzen.»
Bolitho wechselte auf die Luvseite und marschierte dort langsam auf und ab. Wo mochte Aurora jetzt sein? Auf irgendeinem Schiff mit Kurs auf ein fremdes Land und ein Leben, das er nie mit ihr teilen konnte?
Wenn sie jetzt nur hätte zu ihm kommen können wie in jener unvergeßlichen Nacht. Sie hätte ihn verstanden, hätte ihn umarmt und die Furcht vertrieben, die ihn zu zerreißen drohte. Und es war noch ein ganzer langer Tag zu überstehen, bevor der nächste Akt begann. Eigentlich konnte er nicht noch einmal überleben. Er nahm an, das Schicksal habe es nie anders vorgesehen.
Midshipman Jury hielt die Hände über das Kompaßlicht, um die schwankende Scheibe abzulesen, und schaute dann hinüber auf die langsam dahinschreitende Gestalt. So wie Bolitho zu werden, war der einzige Lohn, den er sich jemals wünschte. So fest und zuversichtlich und nie ungeduldig oder schnell mit einem Anschnauzer bei der Hand wie Palliser oder mit einer bissigen Bemerkung wie Slade. Vielleicht war sein Vater in dem Alter so gewesen wie Richard Bolitho, dachte er. Er hoffte es wenigstens.
Yeames räusperte sich und sagte:»Sie sollten jetzt besser die Morgenwache herauspfeifen, Sir, obwohl ich fürchte, daß es heute noch ein langer Tag wird.»
Jury eilte davon, dachte dabei an das, was vor ihm lag, und überlegte, warum er sich eigentlich nicht mehr fürchtete. Er begleitete den Dritten Offizier, und das war für Jan Jury, vierzehn Jahre alt, eine Auszeichnung.
Bolitho hatte vorausgesehen, daß das Warten schlimm werden würde, aber als die Besatzung der Destiny im Lauf des Tages Ausrüstung und Waffen für die Landekommandos bereitlegte, merkte er, daß er mit seinen Nerven an einem kritischen Punkt angelangt war. Sooft er von seiner Arbeit aufblickte oder aus der kühlen Dunkelheit einer Last an Deck kam, lag die kahle, feindselige Insel vor ihm. Obwohl er wußte, daß die Destiny während des Tages immer wieder auf Gegenkurs ging, schien es, als hätten sie sich überhaupt nicht bewegt und als ob die Insel mit ihrem Festungshügel auf etwas wartete. Auf ihn wartete.
Gegen Abend legte Gulliver das Schiff auf einen neuen Kurs, der es gut frei von der Insel hielt. Die Ausgucks im Mast hatten keinerlei Bewegung in der Lagune beobachtet, doch Dumaresq bezweifelte nicht, daß Garrick jede ihrer Bewegungen beobachtete. Die Tatsache, daß die Destiny nie näher herangekommen war, mochte seine Zuversicht erschüttern und ihn in der Annahme bestärken, daß Hilfe für die einsame Fregatte unterwegs war.
Schließlich rief Dumaresq seine Offiziere nach achtern und in die Kajüte. Es war beinahe so heiß und stickig wie das letztemal, jeder Luftzug wurde durch die geschlossenen Fenster unterbunden, so daß sie alle binnen kurzem in Schweiß gebadet waren.
Sie gingen alle Punkte wieder und wieder durch. Von daher konnte eigentlich nichts schiefgehen. Sogar der Wind begünstigte sie. Er kam weiter aus Südwesten, und obwohl er etwas frischer als bisher wehte, gab es keine Anzeichen, daß er gegen sie drehen könnte.
Dumaresq beugte sich über den Tisch und sagte sehr ernst:»Es ist soweit, meine Herren. Wenn wir jetzt auseinandergehen, werden Sie Ihre Boote klarmachen. Ich kann Ihnen nur den verdienten Erfolg wünschen. Ihnen lediglich Glück zu wünschen, käme einer Beleidigung nahe.»
Bolitho versuchte, sich Glied für Glied zu entspannen, denn er konnte die Unternehmung nicht so verkrampft wie jetzt beginnen. Jeder kleinste Fehler würde ihn sonst zerbrechen, das wußte er.
Er zupfte an seinem naßgeschwitzten Hemd und dachte daran, wie er damals ein neues Hemd angezogen hatte, nur weil er sich mit Aurora an Deck treffen wollte. Vielleicht war dies jetzt eine ebenso sinnlose Geste. Anders als der Brauch, vor einem Gefecht auf See saubere Wäsche anzuziehen, damit bei einer Verwundung eine Infektion vermieden wurde. Aber auf der schrecklichen Insel würde es keinen Bulkley geben.