Bolitho schluckte. Der Kommandant hatte es tatsächlich nicht vergessen.
«Sobald wir zurück sind, werde ich die Sache in die Hand nehmen,
Sir.»
«Hm. Machen Sie keine zu große Affäre daraus. Wenn ein Verbrechen geschehen ist, muß der Schuldige bestraft werden — streng. Aber diese armen Burschen besitzen kaum einen Heller. Ich möchte sie nicht alle gedemütigt sehen wegen eines gemeines Diebes, obwohl Gott weiß, daß viele von ihnen auf die Weise begannen. «Dumaresq hob weder die Stimme, noch schaute er seinen Bootssteurer an.»Sehen Sie mal zu, was Sie da machen können, Johns.»
Mehr sagte er nicht, doch Bolitho spürte, daß es ein starkes Band zwischen dem Kommandanten und seinem Bootssteurer gab.
Dumaresq schaute zur Landungsbrücke. Da standen weitere Uniformierte und einige Pferde. Auch eine Kutsche wartete, um die Besucher zur Residenz zu bringen.
Dumaresq spitzte die Lippen.»Sie werden mich begleiten, Mr. Bo-litho. Dabei können Sie etwas lernen. «Er kicherte in sich hinein.»Als das Schatzschiff, die Asturias, vor dreißig Jahren das Gefecht abbrach, soll sie hinterher in Rio eingelaufen sein. Es wurde außerdem behauptet, daß die portugiesischen Behörden eine Hand mit im Spiel hatten, als die Goldbarren verschwanden. «Jetzt setzte er ein breites Lächeln auf.»Sicherlich sind einige Leute auf der Pier besorgter, als ich es im Augenblick bin.»
Der Bugmann hob seinen Bootshaken, und bei» Riemen hoch!«legte die Gig ohne den leisesten Stoß an der Landungstreppe an.
Dumaresqs Lächeln war verschwunden.»So, nun wollen wir sehen. Ich möchte so bald wie möglich zurückfahren und hören, welchen Erfolg Mr. Pallisers Überredungskünste gehabt haben.»
Oberhalb der Treppe nahm die in einer Reihe angetretene Gruppe von Colpoys' Seesoldaten Haltung an; ihre Gesichter hatten durch die brennende Sonne die rote Farbe ihrer Röcke angenommen. Ihnen gegenüber, in weißen Waffenröcken mit leuchtend gelben Aufschlägen, stand eine Korporalschaft portugiesischer Soldaten.
Dumaresq grüßte mit dem Hut und schüttelte die Hände verschiedener Würdenträger, während Begrüßungsfloskeln getauscht und übersetzt wurden. Bolitho war überrascht über die große Zahl schwarzer Gesichter in der Zuschauermenge. Sicher waren das Sklaven und Bedienstete von den großen Besitzungen und Plantagen, über Tausende von Meilen verschleppt, um, wenn sie Glück hatten, von einem freundlichen Dienstherrn gekauft zu werden. Wenn sie Pech hatten, lebten sie nicht mehr sehr lange.
Schließlich kletterte Dumaresq mit drei Portugiesen in die Kutsche, während die anderen Herren ihre Pferde bestiegen.
Colpoys steckte seinen Säbel in die Scheide, warf einen Blick auf die Residenz des Vizekönigs am Hang eines üppig bewachsenen Hügels und stöhnte:»Wir müssen marschieren, verflixt noch mal. Ich bin aber Seesoldat und kein dämlicher Infanterist.»
Bis sie das prächtig aussehende Gebäude erreicht hatten, war Bo-litho völlig durchgeschwitzt. Während die Seesoldaten von einem Diener hinter das Gebäude geführt wurden, durften Bolitho und Col-poys in einen hohen Raum treten, dessen eine Seite sich zur See und zu einem Garten mit leuchtenden Blumen und schattenspendenden Palmen öffnete.
Weitere Diener brachten auf leisen Sohlen unauffällig Stühle und Wein für die beiden Offiziere, und über ihren Köpfen begann ein großer Fächer hin und her zu wedeln. Colpoys streckte die Beine von sich und trank genüßlich den Wein.»Süß wie das Halleluja in der Kirche.»
Bolitho lächelte. Die portugiesischen Beamten, Militärs und Kaufleute lebten offenbar gut. Sie mußten sich lediglich an die Hitze gewöhnen und gegen das Fieber und sonstige Krankheiten widerstandsfähig werden. Aber die Reichtümer des wachsenden Imperiums waren so groß, daß man sie nicht einmal schätzen konnte: Silber, Edelsteine, seltene Metalle und riesige Flächen mit gut gedeihenden Zuckerrohrplantagen, die wiederum ganze Armeen von Sklaven benötigten, um die Forderungen des fernen Lissabon zu erfüllen.
Colpoys setzte sein Glas ab und stand auf. In der Zeit, die sie für ihren Marsch von der Pier hierher benötigt hatten, war Dumaresq offenbar mit seinen Geschäften fertig geworden. Doch als er aus einem Bogengang erschien, entnahm Bolitho seinem Gesichtsausdruck, daß er alles andere als zufrieden war.
Dumaresq sagte:»Wir wollen zurück zum Schiff.»
Die Verabschiedungszeremonie fand gleich in der Residenz statt. Bolitho erfuhr, daß der Vizekönig nicht in Rio war, aber zurückkehren würde, sobald ihn die Nachricht vom Besuch der Destiny erreichte.
Dumaresq erklärte das Notwendigste, als sie hinaus ins Sonnenlicht traten, wobei er als Antwort für die salutierende Wache die Hand an den Hut legte. Mit seiner sonoren Stimme knurrte er:»Er besteht darauf, daß ich seine Rückkehr abwarte. Aber ich bin doch nicht von gestern, Bolitho. Diese Leute sind zwar unsere ältesten Verbündeten, aber einige davon sind halbe Piraten. Also, ob der Vizekönig nun kommt oder nicht: wenn die Heloise erst zu uns gestoßen ist, werde ich schleunigst Anker lichten.»
Zu Colpoys sagte er:»Führen Sie Ihre Leute zurück. «Als die scharlachroten Röcke in einer Staubwolke abmarschierten, kletterte Duma-resq in die Kutsche.»Sie kommen mit mir, Mr. Bolitho. Wenn wir die Pier erreichen, möchte ich, daß Sie eine Nachricht für mich überbringen. «Er zog einen schmalen Briefumschlag aus seinem Rock.»Ich rechne immer mit dem Schlimmsten und habe deshalb dies hier vorbereitet. Der Kutscher wird Sie hinfahren, und ich zweifle nicht daran, daß die Nachricht von Ihrem Besuch innerhalb einer Stunde in der ganzen Stadt herum ist. «Er lächelte grimmig.»Der Vizekönig ist nicht der einzige Schlaukopf.»
Als sie mit klappernden Hufen hinter Colpoys und seinen schwitzenden Seesoldaten herfuhren, ergänzte Dumaresq noch:»Nehmen Sie einen Mann mit, als persönlichen Schutz. Ich sah diesen ehemaligen Preisboxer im Kutter. Stockdale heißt er wohl. Nehmen Sie den mit.»
Bolitho wunderte sich. Wie war es möglich, daß Dumaresq so viele Dinge auf einmal im Kopf behielt? Da draußen lag ein Mann im Sterben, und auch Pallisers Leben war vielleicht bald nicht mehr lebenswert, wenn es ihm nicht gelang, die Informationen zu bekommen. Dann war da irgendwo in Rio jemand, der mit den verschwundenen Goldbarren in Verbindung stand, aber nicht der, zu dem Bolitho Du-maresqs Brief bringen sollte. Schließlich waren da das Schiff, seine
Besatzung und die gekaperte Heloise, dazu Tausende von Meilen Fahrt, ehe sie wissen konnten, ob sie Erfolg hatten oder nicht. Für einen Kapitän von achtundzwanzig Jahren trug Dumaresq wahrlich eine große Bürde. Im Vergleich dazu war die Angelegenheit von Jurys verschwundener Uhr recht unbedeutend.
Ein schlankes, schwarzhaariges Halbblutmädchen mit einem Korb voller Früchte auf dem Kopf blieb stehen und schaute ihnen nach, als die Kutsche vorbeifuhr. Ihre nackten Schultern hatten die Farbe von Honig, und sie warf ihnen einen kecken Blick zu, als sie merkte, daß die beiden Offiziere sie bewundernd ansahen.
Dumaresq sagte:»Ein schönes Mädchen. Und eine schönere Bugverzierung habe ich noch nie gesehen. Es würde das Risiko lohnen, sie umzulegen.»
Bolitho wußte nicht, was er sagen sollte. Er war derbe Kommentare von Matrosen gewöhnt, aber aus Dumaresqs Mund klang es vulgär und seiner nicht würdig.
Dumaresq sagte nichts mehr, bis die Kutsche hielt. Dann:»Machen Sie, so schnell Sie können. Ich beabsichtige, morgen Trinkwasser zu übernehmen, und bis dahin ist noch eine Menge zu erledigen. «Er verschwand in der Gig.
Bolitho dirigierte den Kutscher zu der auf dem Umschlag stehenden Adresse. Stockdale saß ihm gegenüber und füllte die halbe Kutsche aus.
Dumaresq hatte an alles gedacht. Bolitho oder ein anderer Fremder hätten angehalten und ausgefragt werden können, aber die Kutsche mit dem Wappen des Vizekönigs auf der Tür hatte überall freie Fahrt.