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»Wir haben gerade…«

»Das sehe ich!«unterbrach Steiner grimmig.»Zieht euch sofort an! Ich schwimme in Geld.«

»Wir sind fertig angezogen.«

»Ach so! Mantel verkauft an einen Glaubensgenossen, der euch bestimmt beschummelt hat…«

»Nein…«, sagte Ruth.

»Kind, es gibt auch unehrliche Juden! So heilig mir euer Stamm als Märtyrervolk augenblicklich auch ist. Also kommt! Wir wollen das Rassenproblem der Brathühner aufrollen.«

»ALSO JETZT ERZÄHLT, was los ist«, sagte Steiner nach dem Essen.»Es ist wie verhext«, sagte Kern.»Paris ist nicht nur die Stadt der Toilettewasser, der Seifen und Parfüms, es ist auch die Stadt der Sicherheitsnadeln, Schnürsenkel, Knöpfe und anscheinend sogar der Heiligenbilder. Der Handel fällt hier fast ganz aus. Ich habe eine Menge Dinge probiert – Geschirr gewaschen, Obstkörbe geschleppt, Adressen geschrieben, mit Spielzeug gehandelt -, aber es hat noch nichts Rechtes eingebracht. Es blieb immer zufällig. Ruth hat vierzehn Tage lang ein Büro saubergemacht; dann ging die Firma pleite, und sie bekam überhaupt nichts dafür. Für Pullover aus Kaschmirwolle bot man ihr so viel, daß sie gerade die Wolle dafür wieder kaufen konnte. Infolgedessen…«

Er öffnete sein Jackett.»Ich laufe infolgedessen wie ein reicher Amerikaner herum. Wunderbar, wenn man keinen Mantel hat. Vielleicht strickt sie dir auch so einen Pullover, Steiner…«

»Ich habe noch Wolle für einen«, sagte Ruth.»Schwarze allerdings. Mögen Sie schwarz?«

»Und wie! Wir leben ja schwarz.«Steiner zündete sich eine Zigarette an.»Ich sehe schon! Habt ihr eure Mäntel verkauft oder versetzt?«

»Erst versetzt, dann verkauft.«

»Gut. Der natürliche Weg. Wart ihr schon mal im Café Maurice?«

»Nein. Nur im Alsace.«

»Schön. Dann gehen wir mal zum Maurice. Da gibt es Dickmann. Er weiß alles. Auch über Mäntel. Ich will ihn aber noch etwas Wichtigeres fragen. Über die Weltausstellung, die dieses Jahr kommt.«

»Die Weltausstellung?«

»Ja, Baby«, sagte Steiner.»Da soll es nämlich Arbeit geben. Und nach Papieren soll nicht so genau gefragt werden.«

»Wie lange bist du eigentlich schon in Paris, Steiner? Daß du alles weißt?«

»Vier Tage. Ich war vorher in Straßburg. Hatte da etwas zu besorgen. Euch habe ich durch Klassmann gefunden. Traf ihn auf der Präfektur. Ich habe ja einen Paß, Kinder. In ein paar Tagen ziehe ich ins International. Mir gefällt der Name.«

DAS CAFÉ MAURICE glich dem Café Sperler in Wien und dem Café Greif in Zürich. Es war die typische Emigrantenbörse. Steiner bestellte für Ruth und Kern Kaffee und ging dann zu einem älteren Mann hinüber. Beide unterhielten sich eine Zeitlang. Dann blickte der Mann prüfend zu Kern und Ruth hinüber und ging fort.

»Das war Dickmann«, sagte Steiner.»Er weiß alles. Es stimmt mit der Weltausstellung, Kern. Die ausländischen Pavillons werden jetzt gebaut. Das bezahlen die ausländischen Regierungen. Zum Teil bringen sie eigene Arbeiter mit – für die einfachen Sachen aber, Erdarbeiten und so was, engagieren sie die Leute hier. Und da liegt unsere große Chance! Da die Löhne von ausländischen Komitees bezahlt werden, kümmern die Franzosen sich wenig darum, wer da arbeitet. Morgen früh gehen wir hin. Es ist schon eine Anzahl Emigranten beschäftigt. Wir sind billiger als die Franzosen – das ist unser Vorteil.«

Dickmann kam wieder. Er trug zwei Mäntel über dem Arm.»Ich glaube, sie werden passen.«

»Probier den Mantel mal«, sagte Steiner zu Kern.»Du zuerst. Dann Ruth den andern. Widerstand ist zwecklos.«

Die Mäntel paßten genau. Der von Ruth hatte sogar einen verschabten, kleinen Pelzkragen. Dickmann lächelte schwach.»Mein Auge…«, sagte er.

»Sind das deine besten Klamotten, Heinrich?«fragte Steiner.

Dickmann sah ihn etwas beleidigt an.»Die Mäntel sind gut. Nicht neu, das ist klar. Der mit dem Pelzkragen stammt sogar von einer Gräfin.«-»Im Exil natürlich«, fügte er auf einen Blick Steiners hinzu.»Es ist echter Waschbär. Josef. Kein Kaninchen!«

»Gut. Wir nehmen sie. Ich komme morgen, und dann sprechen wir weiter darüber.

»Das brauchst du nicht. Du kannst sie so haben. Wir haben ja noch was zu verrechnen.«

»Unsinn.«

»Doch. Nimm sie und vergiß es. Damals war ich schön in der Patsche. Herrgott!«

»Wie geht’s sonst?«fragte Steiner.

Dickmann zuckte die Achseln.»Es reicht für die Kinder und mich. Aber es ist ekelhaft, so auf Krampf zu leben.«

Steiner lachte.»Werde nicht sentimental, Heinrich! Ich bin Urkundenfälscher, Falschspieler, Vagabund, ich habe Körperverletzungen hinter mir, Widerstand gegen die Staatsgewalt und noch allerhand mehr – ich habe trotzdem kein schlechtes Gewissen.«

Dickmann nickte.»Meine Kleinste ist krank. Grippe. Fieber. Aber Fieber ist bei Kindern nicht schlimm, was?«

Er sah Steiner dringend an. Der schüttelte den Kopf.»Rapider Heilprozeß, sonst nichts.«

»Ich will heute mal früher nach Hause gehen.«

Steiner bestellte sich einen Kognak.»Baby«, sagte er zu Kern,»auch einen?«

»Hör zu, Steiner…«, begann Kern.

Steiner winkte ab.»Rede nicht! Weihnachtsgeschenke, die mich nichts kosten. Ihr habt es ja gesehen. Einen Kognak, Ruth? Ja, was?«

»Ja.«

»Neue Mäntel! Arbeit in Sicht!«Kern trank seinen Kognak.»Das Dasein fängt an, interessant zu werden.«

»Täusche dich nicht!«grinste Steiner.»Später, wenn du mal Arbeit genug hast, wird dir die Zeit, wo du nicht arbeiten durftest, als der interessantere Teil deines Lebens vorkommen. Wunderbare Geschichte für Enkel, die um die Knie spielen. Damals in Paris…«

Dickmann kam vorüber. Er grüßte müde und ging dem Ausgang zu.

»War mal sozialdemokratischer Bürgermeister.«Steiner sah ihm nach.»Fünf Kinder. Frau tot. Guter Bettler. Mit Würde. Weiß alles. Etwas zu zarte Seele, wie oft bei Sozialdemokraten. Sind deshalb so schlechte Politiker.«

Das Café begann sich zu füllen. Die Schläfer kamen, um Eckplätze für die Nacht zu ergattern. Steiner trank seinen Kognak aus.»Der Wirt hier ist großartig. Er läßt alles schlafen, was Platz findet. Umsonst. Oder für eine Tasse Kaffee. Wenn diese Buden nicht existierten, sähe es für manche Leute böse aus.«

Er stand auf.»Wollen gehen, Kinder.«

Sie gingen hinaus. Es war windig und kalt. Ruth schlug den Waschbärkragen ihres neuen Mantels hoch und zog ihn eng um sich zusammen. Sie lächelte Steiner zu. Er nickte.»Wärme, kleine Ruth! Alles auf der Welt hängt nur von einem bißchen Wärme ab.«

Er winkte einer alten Blumenfrau, die vorüberschlurfte, zu. Sie trottete heran.»Veilchen«, krächzte sie.»Frische Rivieraveilchen.«

»Welch eine Stadt! Veilchen mitten auf der Straße im Dezember!«Steiner nahm einen Strauß und gab ihn Ruth.»Violettes Glück! Unnützes Blühen! Unnütze Dinge! Geben übrigens die meiste Wärme!«Er zwinkerte Kern zu.»Eine Lehre fürs Leben, würde Marill sagen.«

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