»Gut, ich will sehen, was sich mit dir machen läßt. Aber wenn du gedacht hast, hier draußen gefahrlos ein Blümchen pflücken zu können, dann hast du dich getäuscht. Ich kann nur Männer lieben, die im Notfall ihr Leben daran wagen.«
»Du hast über mich zu befehlen.«
Langsam nahm sie von ihrem Halse eine dünne Goldkette und reichte sie ihm hin. »Wie heißt du denn?«
»Goldmund.«
»Schön, Goldmund; ich werde schmecken, wie golden dein Mund ist. Hör mir gut zu: du wirst diese Kette gegen Abend im Schloß herzeigen und sagen, du habest sie gefunden. Du gibst sie nicht aus den Händen, ich möchte sie selbst von dir zurückempfangen. Du kommst so, wie du bist, mögen sie dich für einen Bettler halten. Wenn einer vom Gesinde dich anschnauzt, bleibst du ruhig. Du mußt wissen, daß ich nur zwei sichere Leute im Schloß habe: den Reitknecht Max und meine Zofe Berta. Einen von den beiden mußt du erreichen und dich zu mir führen lassen. Gegen alle andern im Schloß, den Grafen eingerechnet, benimm dich vorsichtig, sie sind Feinde. Du bist gewarnt. Es kann dir das Leben kosten.«
Sie streckte ihm die Hand hin, lächelnd nahm er sie, küßte sie sanft, rieb leise seine Wange an ihr. Dann steckte er die Kette zu sich und ging davon, bergabwärts dem Fluß und der Stadt entgegen. Die Weinberge waren schon kahl, von den Bäumen wehte ein gelbes Blatt ums andere. Goldmund schüttelte lächelnd den Kopf, als er, auf die Stadt hinunterblickend, sie so freundlich und liebenswert fand. Vor wenig Tagen noch war er so traurig gewesen, traurig sogar darüber, daß auch Not und Leid vergänglich sind. Und nun waren sie in der Tat schon vergangen, hingesunken wie das goldene Laub vom Ast. Ihm schien, noch niemals habe die Liebe ihm so gestrahlt wie aus dieser Frau, deren hohe Gestalt und blonde lachende Lebensfülle ihn an das Bild seiner Mutter erinnerte, wie er es damals, als Knabe in Mariabronn, im Herzen getragen hatte. Vorgestern noch hätte er es nicht für möglich gehalten, daß ihm noch einmal die Welt so froh ins Auge lachen, daß er noch einmal den Strom des Lebens, der Freude, der Jugend so voll und drängend durch sein Blut könnte strömen fühlen. Welches Glück, daß er noch am Leben war, daß in all diesen grausigen Monaten der Tod ihn verschont hatte!
Am Abend fand er sich im Schlosse ein. Im Schloßhof ging es lebhaft zu, Pferde wurden abgesattelt, Boten liefen, ein kleiner Zug von Priestern und geistlichen Würdenträgern wurde von Dienern durchs innere Tor und die Treppe hinangeführt. Goldmund wollte ihnen nach, der Türsteher hielt ihn zurück. Er holte die Goldkette hervor und sagte, er sei angewiesen, sie niemandem auszuhändigen als der gnädigen Frau selbst oder ihrer Zofe. Man gab ihm einen Diener mit, lange mußte er in den Gängen warten. Endlich erschien eine hübsche behende Frau, die ging an ihm vorbei, fragte leise: »Seid Ihr Goldmund?« und winkte ihm, ihr zu folgen. Still verschwand sie durch eine Tür, erschien nach einer Weile wieder und winkte ihn herein.
Er kam in ein kleines Zimmer, das duftete stark nach Pelz und nach süßem Parfüm und hing voll von Kleidern und Mänteln, Frauenhüte staken auf hölzernen Bolzen, allerlei Schuhwerk stand in einer offenen Truhe. Hier stand er und wartete, wohl eine halbe Stunde, roch an den duftenden Kleidern, fuhr mit der Hand über die Pelze und lächelte neugierig über all das hübsche Zeug, das da herumhing. Endlich ging die innere Tür, und es kam nicht die Zofe, es kam Agnes selbst, in einem hellblauen Kleid, einen weißen Pelzbesatz am Halse. Langsam kam sie auf den Wartenden zugegangen, Schritt für Schritt, ernst blickten ihm die kühlblauen Augen entgegen.
»Du hast warten müssen«, sagte sie leise. »Ich glaube, wir sind jetzt sicher. Es ist eine Abordnung von Geistlichen beim Grafen, er speist mit ihnen und wird wohl noch lange Verhandlungen mit ihnen haben, die Sitzungen mit den Priestern dauern immer lange. Die Stunde gehört dir und mir. Sei willkommen, Goldmund.«
Sie neigte sich ihm entgegen, ihre verlangenden Lippen näherten sich den seinen, schweigend begrüßten sie einander im ersten Kuß. Langsam schloß er seine Hand um ihren Nacken. Sie führte ihn durch die Tür, in ihr Schlafgemach, das war hoch und hell von Kerzen erleuchtet. Auf einem Tische stand eine Mahlzeit gerüstet, sie setzten sich, sorglich legte sie ihm Brot und Butter vor und etwas Fleisch und schenkte ihm weißen Wein in ein schönes bläuliches Glas. Sie aßen, sie tranken beide aus demselben bläulichen Kelch, ihre Hände spielten probend miteinander.
»Wo kommst du denn hergeflogen«, fragte sie ihn, »mein schöner Vogel? Bist du ein Krieger, oder ein Spielmann, oder bist du bloß ein armer Landfahrer?«
»Ich bin alles, was du willst«, lachte er leise, »ich bin ganz der Deine. Ich bin ein Spielmann, wenn du willst, und du bist meine süße Laute, und wenn ich die Finger um deinen Hals lege und auf dir spiele, hören wir die Engel singen. Komm, Herz, ich bin nicht gekommen, um deine guten Kuchen zu essen und deinen weißen Wein zu trinken, ich bin nur deinetwegen gekommen.«
Leise zog er ihr den weißen Pelz vom Halse und schmeichelte ihr die Kleider vom Leibe. Mochten draußen die Höflinge und Pfaffen ihre Beratungen abhalten, mochten die Diener schleichen und der dünne Sichelmond vollends hinter die Bäume hinabschwimmen, die Liebenden wußten nichts davon. Ihnen blühte das Paradies, zueinander gezogen und ineinander verschlungen verloren sie sich in seine duftende Nacht, sahen seine weißen Blumengeheimnisse dämmern, pflückten mit zärtlichen und dankbaren Händen seine ersehnten Früchte. Noch nie hatte der Spielmann auf einer solchen Laute gespielt, noch nie hatte die Laute unter so starken und kundigen Fingern geklungen.
»Goldmund«, flüsterte sie ihm glühend ins Ohr, »oh, was bist du für ein Zauberer! Von dir, du süßer Goldfisch, möchte ich ein Kind haben. Und noch lieber möchte ich an dir sterben. Trink mich aus, Geliebter, schmilz mich, töte mich!«
Tief in seiner Kehle summte ein Ton des Glückes, als er die Härte in ihren kühlen Augen hinschmelzen und schwach werden sah. Wie ein zärtliches Zittern und Sterben flog der Schauer in der Tiefe ihrer Augen vorüber, erlöschend wie der Silberschauder auf der Haut eines sterbenden Fisches, mattgolden wie das Aufblinken jener Zauberschimmer tief im Flusse. Alles nur irgend dem Menschen erlebbare Glück schien ihm in diesen Augenblick zusammengeronnen.
Gleich darauf, während sie mit geschlossenen Augen bebend lag, erhob er sich leise und schlüpfte in seine Kleider. Mit einem Seufzer sagte er ihr ins Ohr: »Mein schöner Schatz, ich verlasse dich. Ich mag nicht sterben, ich mag nicht von diesem Grafen totgeschlagen werden. Erst will ich noch einmal dich und mich so selig machen, wie wir es heut gewesen sind. Noch einmal, noch viele Male!«
Schweigend blieb sie liegen, bis er angekleidet war. Nun schlug er sachte die Decke über sie und küßte ihre Augen.
»Goldmund«, sagte sie, »oh, daß du fortgehen mußt! Komm morgen wieder! Wenn Gefahr ist, dann lasse ich dich warnen. Komm wieder, komm morgen wieder!«
Sie zog an einem Glockenstrang. In der Tür zur Kleiderkammer empfing ihn die Zofe und brachte ihn aus dem Schloß. Gern hätte er ihr ein Goldstück gegeben; er schämte sich einen Augenblick seiner Armut.
Gegen Mitternacht stand er auf dem Fischmarkt und sah am Hause empor. Es war spät, niemand mehr würde wach sein, wahrscheinlich würde er die Nacht draußen bleiben müssen. Zu seinem Erstaunen fand er die Haustür offen. Leise schlich er hinein und schloß hinter sich das Tor. Der Weg zu seiner Kammer führte durch die Küche. Dort war Licht. Bei einem winzigen Öllämpchen saß Marie am Küchentisch. Eben war sie eingenickt, nachdem sie zwei, drei Stunden gewartet hatte. Sie erschrak und sprang auf, als er eintrat.
»Oh«, sagte er, »Marie, bist denn du noch auf?«
»Ich bin auf«, sagte sie. »Sonst hättest du das Haus verschlossen gefunden.«
»Es tut mir leid, Marie, daß du gewartet hast. Es ist so spät geworden. Sei mir nicht böse.«
»Ich bin dir nie böse, Goldmund. Ich bin nur ein wenig traurig.«
»Traurig sollst du nicht sein. Warum denn traurig?«
»Ach, Goldmund, ich möchte wohl, daß ich gesund und schön und stark wäre. Dann müßtest du nicht in der Nacht in fremde Häuser gehen und andere Frauen liebhaben. Dann würdest du wohl auch einmal bei mir bleiben und mit mir ein wenig lieb sein.«
Keine Hoffnung klang in ihrer sanften Stimme, und keine Bitterkeit, nur Trauer. Verlegen stand er bei ihr, sie tat ihm so leid, er wußte nichts zu sagen. Mit vorsichtiger Hand faßte er nach ihrem Kopf und streichelte ihr Haar, und sie stand und hielt still, fühlte schauernd seine Hand auf ihrem Haar, weinte ein wenig, richtete sich wieder auf und sagte schüchtern:
»Geh nun zu Bett, Goldmund. Ich habe dummes Zeug gesprochen, ich war so schläfrig. Gute Nacht.«