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Zwanzigstes Kapitel

Der Sommer ging hin, Mohn und Kornblume, Rade und Sternblume welkte und schwand, still wurden die Frösche im Weiher, und die Störche flogen hoch und bereiteten sich zum Abschied. Da kam Goldmund wieder!

Er kam an einem Nachmittag, bei leisem Regen, und trat nicht ins Kloster, er ging vom Tore sofort nach seiner Werkstatt. Er war zu Fuß gekommen, ohne Pferd.

Erich erschrak, als er ihn eintreten sah. Zwar erkannte er ihn auf den ersten Blick, und sein Herz schlug ihm entgegen, und doch schien es ein ganz anderer Mensch zu sein, der da zurückgekommen war: ein falscher Goldmund, um viele Jahre älter, mit einem halb erloschenen, staubigen, grauen Gesicht, mit eingefallenen Zügen, kranken, leidenden Zügen, in denen aber doch kein Schmerz geschrieben stand, sondern eher ein Lächeln, ein gutmütiges, altes, geduldiges Lächeln. Er ging mühsam, er schleppte sich, und er schien krank und sehr müde zu sein.

Wunderlich blickte dieser veränderte, fremde Goldmund seinem jungen Gehilfen in die Augen. Er machte kein Aufhebens von seiner Rückkehr, er tat, als käme er nur aus dem Nebenzimmer und sei eben noch dagewesen. Er gab die Hand und sagte nichts, keinen Gruß, keine Frage, keine Erzählung. Er sagte nur: »Ich muß schlafen«, furchtbar müde schien er zu sein. Er schickte Erich fort und ging in seine Kammer neben der Werkstatt. Da zog er die Mütze ab und ließ sie fallen, zog die Schuhe aus und trat gegen die Bettstatt. Hinten im Räume sah er unter Tüchern seine Madonna stehen; er nickte ihr zu, aber er ging nicht, die Tücher abzunehmen und sie zu begrüßen. Statt dessen schlich er ans Fensterchen, sah draußen den betretenen Erich warten und rief ihm zu: »Erich, du brauchst niemand zu sagen, daß ich gekommen bin. Ich bin sehr müde. Es hat Zeit bis morgen.« Dann legte er sich in den Kleidern aufs Bett. Nach einiger Zeit, da er noch keinen Schlaf gefunden hatte, stand er auf, ging schwerfällig zur Wand, wo ein kleiner Spiegel hing, und schaute hinein. Aufmerksam blickte er den Goldmund an, der ihm aus dem Spiegel entgegensah: einen müden Goldmund, einen müd und alt und welk gewordenen Mann, mit stark grau gewordenem Bart. Es war ein alter, etwas verwahrloster Mann, der ihm aus der kleinen trüben Spiegelfläche entgegenblickte, ein wohlbekanntes Gesicht, aber ein fremd gewordenes, es schien nicht recht gegenwärtig zu sein, es schien ihn wenig anzugehen. Es erinnerte ihn an dies und jenes Gesicht, das er gekannt hatte, ein wenig an den Meister Nikilaus, ein wenig an den alten Ritter, der ihm einst ein Pagenkleid hatte machen lassen, ein wenig auch an den heiligen Jakob in der Kirche, an den alten bärtigen Sankt Jakob, der unter seinem Pilgerhut so uralt und grau und doch eigentlich heiter und gut aussah.

Mit Sorgfalt las er in dem Spiegelgesicht, als sei ihm daran gelegen, über diesen fremden Menschen Auskunft zu bekommen. Er nickte ihm zu und kannte es wieder: ja, es war er selber, es entsprach dem Gefühl, das er von sich selber hatte. Ein sehr müder und etwas stumpf gewordener alter Mann war da von der Reise zurückgekommen, ein unscheinbarer Mann, es war mit ihm kein Staat zu machen, und doch hatte er nichts gegen ihn, und doch gefiel er ihm: er hatte etwas im Gesicht, was der frühere hübsche Goldmund nicht gehabt hatte, in aller Müdigkeit und Zerfallenheit einen Zug von Zufriedenheit oder doch von Gleichmut. Er lachte leise vor sich hin und sah das Spiegelbild mitlachen: einen schönen Kerl hatte er da von der Reise mit nach Hause gebracht! Schön zerschlissen und abgebrannt kam er da von seinem kleinen Ausritt wieder heim, und nicht nur sein Roß und seine Reisetasche und seine Taler hatte er eingebüßt, es war ihm auch anderes abhanden gekommen und hatte ihn verlassen: die Jugend, die Gesundheit, das Selbstvertrauen, das Rot im Gesicht und die Kraft im Blick. Dennoch gefiel ihm das Bild: dieser alte schwache Kerl im Spiegel war ihm lieber als der Goldmund, der er so lang gewesen war. Er war älter, schwächer, kläglicher, aber er war harmloser, er war zufriedener, es war besser mit ihm auszukommen. Er lachte und zog eins der faltig gewordenen Augenlider herunter. Dann legte er sich wieder aufs Bett und schlief nun ein.

Andern Tages saß er in seiner Kammer über den Tisch gebückt und versuchte ein wenig zu zeichnen, da kam Narziß, ihn zu besuchen. In der Tür blieb er stehen und sagte: »Man hat mir erzählt, du seiest zurückgekommen. Gott sei Dank, meine Freude ist groß. Da du mich nicht aufgesucht hast, komme ich zu dir. Störe ich dich in der Arbeit?«

Er kam näher; Goldmund richtete sich von seinem Papier auf und streckte ihm die Hand entgegen. Obwohl Erich ihn vorbereitet hatte, erschrak er bis ins Herz über den Anblick seines Freundes. Der lächelte ihm freundlich entgegen.

»Ja, ich bin wieder da. Sei gegrüßt, Narziß, wir haben uns eine Weile nicht gesehen. Entschuldige, daß ich dich noch nicht besucht habe.«

Narziß sah ihm in die Augen. Auch er sah nicht nur die Erloschenheit und jämmerliche Welke dieses Gesichts, er sah auch das andere, diesen wunderlich angenehmen Zug von Gleichmut, ja Gleichgültigkeit, von Ergebung und guter Greisenlaune. Im Lesen von Menschengesichtern erfahren, sah er auch, daß dieser so fremd gewordene und veränderte Goldmund nicht mehr ganz gegenwärtig sei, daß entweder seine Seele sich weit von der Wirklichkeit entfernt habe und auf Traumwegen gehe oder daß sie schon bei der Pforte stehe, die ms Jenseits führt.

»Bist du krank?« fragte er behutsam.

»Ja, krank bin ich auch. Ich wurde schon im Anfang meiner Reise krank, schon in den ersten Tagen. Aber du begreifst, daß ich nicht gleich wieder heimkehren mochte. Ihr hättet mich schön ausgelacht, wenn ich so schnell wieder angerückt wäre und meine Reitstiefel wieder ausgezogen hätte. Nein, das mochte ich also nicht. Ich bin weitergegangen und habe mich noch ein bißchen herumgetrieben, ich schämte mich, weil die Reise mir mißglückt war. Ich hatte das Maul zu voll genommen. Gut, also ich schämte mich. Nun ja, du begreifst es schon, du bist ein so kluger Mensch. Verzeih, hast du etwas gefragt? Es ist wie verhext, ich vergesse immer wieder, um was es sich eigentlich handelt. Aber das mit meiner Mutter, das hast du gut gemacht. Es hat recht weh getan, aber …«

Sein Gemurmel erlosch in einem Lächeln.

»Wir werden dich wieder gesund machen, Goldmund, es soll dir an nichts fehlen. Aber daß du nicht gleich wieder umgekehrt bist, als es dir anfing schlecht zu gehen! Du brauchst dich doch wahrlich vor uns nicht zu schämen. Du hättest sofort umkehren sollen.«

Goldmund lachte.

»Ja, jetzt weiß ich wieder. Ich traute mich nicht, so einfach wieder umzukehren. Es wäre ja eine Schande gewesen. Aber jetzt bin ich gekommen. Es geht mir jetzt wieder gut.«

»Hast du viel Schmerzen gehabt?«

»Schmerzen? Ja, Schmerzen habe ich genug. Aber schau, die Schmerzen sind ganz gut, sie haben mich zur Vernunft gebracht. Ich schäme mich jetzt nicht mehr, auch vor dir nicht. Damals, als du mich im Gefängnis besucht hast, um mir das Leben zu retten, da mußte ich sehr auf die Zähne beißen, weil ich mich vor dir schämte. Das ist jetzt ganz vergangen.«

Narziß legte ihm die Hand auf den Arm, sofort schwieg er und schloß lächelnd die Augen. Er schlief friedlich ein. Verstört lief der Abt und holte den Arzt des Hauses, Pater Anton, daß er nach dem Kranken sehe. Als sie zurückkamen, saß Goldmund schlafend an seinem Zeichentisch. Sie brachten ihn zu Bette, der Arzt blieb bei ihm. Er fand ihn hoffnungslos krank. Man brachte ihn in eines der Krankenzimmer, Erich wurde ihm zur ständigen Wache gegeben.

Die ganze Geschichte seiner letzten Reise kam nie zutage. Einzelnes erzählte er, manches ließ sich erraten. Oft lag er teilnahmslos, manchmal fieberte er und redete verwirrt, manchmal war er klar, und dann wurde jedesmal Narziß gerufen, dem diese letzten Gespräche mit Goldmund sehr wichtig wurden.

Einige Bruchstücke aus Goldmunds Berichten und Bekenntnissen hat Narziß überliefert, andere der Gehilfe.

»Wann die Schmerzen begonnen haben? Es war noch am Anfang meiner Reise. Ich ritt im Wald, und ich bin samt dem Gaul gestürzt und bin in einen Bach gefallen und bin eine ganze Nacht im kalten Wasser gelegen. Da drinnen, wo ich mir die Rippen gebrochen habe, da sind seither die Schmerzen. Damals war ich noch nicht sehr weit von hier, aber ich mochte nicht umkehren, es war kindisch, aber ich dachte, es würde komisch aussehen. Ich ritt also weiter, und als ich nicht mehr reiten konnte, weil es so weh tat, habe ich das Pferdchen verkauft, und dann bin ich lange Zeit in einem Hospital gelegen.

Ich bleibe jetzt hier, Narziß, es ist nichts mehr mit dem Reiten. Es ist nichts mehr mit dem Wandern. Es ist nichts mehr mit dem Tanzen und mit den Weibern. Ach, sonst wäre ich noch lang ausgeblieben, noch jahrelang. Aber wie ich denn sah, daß es da draußen keine Freude mehr für mich gibt, da dachte ich mir: ehe ich hinunter muß, will ich noch ein wenig zeichnen und ein paar Figuren machen, irgendeine Freude will man doch haben.«

Narziß sagte ihm: »Ich bin so froh, daß du wiedergekommen bist. Du hast mir so sehr gefehlt, ich habe jeden Tag an dich gedacht, und oft hatte ich Angst, du würdest nie mehr wiederkommen wollen.«

Goldmund schüttelte den Kopf: »Nun, der Verlust wäre nicht groß gewesen.«

Narziß, das Herz vor Weh und Liebe brennend, bückte sich langsam zu ihm herab, und nun tat er, was er in den vielen Jahren ihrer Freundschaft niemals getan hatte, er berührte Goldmunds Haar und Stirn mit seinen Lippen. Verwundert zuerst, dann ergriffen, merkte Goldmund, was geschehen sei.

»Goldmund«, flüsterte ihm der Freund ins Ohr, »verzeih, daß ich es dir nicht früher habe sagen können. Ich hätte es dir sagen sollen, als ich dich damals in deinem Gefängnis aufsuchte, in der Bischofsresidenz, oder als ich deine ersten Figuren zu sehen bekam, oder irgendeinmal. Laß es mich dir heute sagen, wie sehr ich dich liebe, wieviel du mir immer gewesen bist, wie reich du mein Leben gemacht hast. Es wird dir nicht sehr viel bedeuten. Du bist an Liebe gewöhnt, sie ist für dich nichts Seltenes, du bist von so vielen Frauen geliebt und verwöhnt worden. Für mich ist es anders. Mein Leben ist arm an Liebe gewesen, es hat mir am Besten gefehlt. Unser Abt Daniel sagte mir einst, daß er mich für hochmütig halte, wahrscheinlich hat er recht gehabt. Ich bin nicht ungerecht gegen die Menschen, ich gebe mir Mühe, gerecht und geduldig mit ihnen zu sein, aber geliebt habe ich sie nie. Von zwei Gelehrten im Kloster ist der Gelehrtere mir lieber; nie habe ich etwa einen schwachen Gelehrten trotz seiner Schwäche liebgehabt. Wenn ich trotzdem weiß, was Liebe ist, so ist es deinetwegen. Dich habe ich lieben können, dich allein unter den Menschen. Du kannst nicht ermessen, was das bedeutet. Es bedeutet den Quell in einer Wüste, den blühenden Baum in einer Wildnis. Dir allein danke ich es, daß mein Herz nicht verdorrt ist, daß eine Stelle in mir blieb, die von der Gnade erreicht werden kann.«

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