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Er kam auf einen Platz voll stattlicher Häuser, viele waren bemalt oder mit plastischem Bildwerk geschmückt. Über einer Haustür stand groß und prangend die Figur eines Landsknechtes, mit kräftig lachenden Farben. Er war nicht so schön wie die Figur in jener Klosterkirche, aber er stand auf eine Art da und drückte die Waden heraus und streckte das bärtige Kinn in die Welt, daß Goldmund doch dachte, auch diese Gestalt könnte derselbe Meister gemacht haben. Er ging in das Haus hinein, klopfte an Türen, stieg Treppen hinan, stieß endlich auf einen Herrn im pelzbesetzten Sammetrock, den fragte er, wo er den Meister Niklaus finden könne. Was er denn von ihm wolle, fragte der Herr zurück, und Goldmund hatte Mühe, sich zu beherrschen und nur zu sagen, er habe einen Auftrag an ihn. Der Herr nannte ihm nun die Gasse, wo der Meister wohne, und bis Goldmund sich dahin durchgefragt hatte, war es Nacht geworden. Beklommen und doch sehr glücklich stand er vor dem Haus des Meisters, schaute zu den Fenstern hinauf und wäre beinah hineingelaufen. Doch fiel ihm ein, daß es schon spät und daß er verschwitzt und staubig vom Tagesmarsch sei, und er bezwang sich und wartete. Aber er stand noch lange Zeit vor dem Hause. Er sah ein Fenster hell werden, und eben als er sich zum Gehen wandte, sah er eine Gestalt ans Fenster treten, ein sehr schönes blondes Mädchen, durch deren Haar von hinten der sanfte Ampelschimmer floß.

Am andern Morgen, als die Stadt wieder wach und laut geworden war, wusch sich Goldmund in dem Kloster, dessen Nachtgast er gewesen war, Gesicht und Hände, klopfte den Staub von Kleidern und Schuhen, suchte sich in jene Gasse zurück und pochte am Haustor. Es kam eine Magd, die wollte ihn nicht gleich zum Meister führen, aber es gelang ihm, die alte Frau zu erweichen, und sie führte ihn doch hinein. In einem kleinen Saal, der seine Werkstatt war, stand in einer Arbeitsschürze der Meister, ein bärtiger großer Mann von vierzig oder fünfzig Jahren, wie es Goldmund schien. Er sah den Fremden aus hellblauen scharfen Augen an und fragte kurz, was er begehre. Goldmund richtete den Gruß des Paters Bonifazius aus.

»Weiter nichts?«

»Meister«, sagte Goldmund mit beengtem Atem, »ich habe Eure Mutter Gottes dort im Kloster gesehen. Ach, schauet mich nicht so unfreundlich an, es ist lauter Liebe und Verehrung, was mich zu Euch führte. Ich bin nicht ängstlich, ich habe lang auf Wanderung gelebt und den Wald und den Schnee und den Hunger geschmeckt, es gibt keinen Menschen, vor dem ich Furcht haben könnte. Aber vor Euch habe ich Furcht. Oh, ich habe einen einzigen, großen Wunsch, von dem ist mein Herz so voll, daß es weh tut.«

»Was ist denn das für ein Wunsch?«

»Ich möchte Euer Lehrling werden und bei Euch lernen.«

»Du bist nicht der einzige, junger Mensch, der diesen Wunsch hat. Ich mag aber keine Lehrlinge, und zwei Gehilfen habe ich schon. Wo kommst du denn her, und wer sind deine Eltern?«

»Ich habe keine Eltern, ich komme nirgends her. In einem Kloster war ich Schüler, da habe ich Latein und Griechisch gelernt, dann lief ich weg, und seit Jahren war ich unterwegs, bis heute.«

»Und warum meinst du, du müssest Bildschnitzer werden? Hast du schon dergleichen versucht? Hast du Zeichnungen?«

»Ich habe viele Zeichnungen gemacht, aber ich habe sie nicht mehr. Aber warum ich diese Kunst lernen möchte, das kann ich Euch wohl sagen. Ich habe mir viele Gedanken gemacht, und ich habe viele Gesichter und Gestalten gesehen und habe über sie nachgedacht, und einige von diesen Gedanken haben mich immer wieder geplagt und mir keine Ruhe gelassen. Es ist mir aufgefallen, wie in einer Gestalt überall eine gewisse Form, eine gewisse Linie wiederkehrt, wie eine Stirn dem Knie, eine Schulter der Hüfte entspricht, und wie das alles im Innersten gleich und eins ist mit dem Wesen und Gemüt des Menschen, der eben ein solches Knie, eine solche Schulter und Stirn hat. Und auch das ist mir aufgefallen, ich sah es in einer Nacht, wo ich bei einer Gebärenden helfen mußte: daß der größte Schmerz und die höchste Wollust einen ganz ähnlichen Ausdruck hat.«

Durchdringend blickte der Meister den Fremden an. »Weißt du, was du da sagst?«

»Ja, Meister, es ist so. Gerade das war es, was ich zu meiner größten Wonne und Bestürzung in Eurer Mutter Gottes ausgedrückt fand, darum bin ich ja gekommen. Oh, da ist auf diesem schönen holden Gesicht so viel Leid, und zugleich ist alles Leid wie zu lauter Glück und Lächeln geworden. Als ich das sah, fuhr es m mich wie Feuer, alle meine jahrelangen Gedanken und Träume schienen mir bestätigt und waren plötzlich nicht mehr nutzlos, und ich wußte sofort, was ich zu tun und wohin ich zu gehen habe. Lieber Meister Niklaus, ich bitte Euch von Herzen, lasset mich bei Euch lernen!«

Niklaus, ohne ein freundlicheres Gesicht zu machen, hatte aufmerksam zugehört.

»Junger Mensch«, sagte er, »du kannst erstaunlich gut über die Kunst reden, und es ist mir auch verwunderlich bei deinen Jahren, daß du so viel über Wollust und Schmerz zu sagen weißt. Es wäre mir ein Vergnügen, mit dir am Abend einmal bei einem Becher Wein über diese Sache zu plaudern. Aber sieh: miteinander angenehm und klug zu sprechen ist nicht dasselbe, als miteinander ein paar Jahre lang zu leben und zu arbeiten. Hier ist eine Werkstatt, und hier wird gearbeitet, nicht geplaudert, und hier gilt nicht das, was einer etwa sich ausgedreht hat und zu sagen weiß, sondern einzig das, was einer mit seinen Händen herzustellen versteht. Es scheint dir Ernst zu sein, ich will dich darum nicht einfach wieder fortschicken. Wir wollen sehen, ob du irgend etwas kannst. Hast du schon aus Lehm oder Wachs etwas geformt?«

Goldmund dachte alsbald an einen Traum, den er vor langer Zeit einmal geträumt hatte, da hatte er kleine Figuren aus Lehm geknetet, die waren aufgestanden und zu Riesen geworden. Doch schwieg er davon und gab Bescheid, daß er noch nie solche Arbeiten versucht habe.

»Gut. So wirst du also etwas zeichnen. Dort ist ein Tisch, siehst du, und Papier und Kohlen. Setz dich hin und zeichne, laß dir Zeit, du kannst bis Mittag oder auch bis zum Abend bleiben. Vielleicht werde ich dann sehen können, zu was du taugst. So, nun ist genug geredet, ich gehe an meine Arbeit; geh du an die deine.«

Im Sessel, den Niklaus ihm bezeichnet hatte, saß nun Goldmund am Zeichentisch. Es eilte ihm nicht mit dieser Arbeit, vorerst saß er wartend und still wie ein ängstlicher Schüler und starrte neugierig und liebevoll zu dem Meister hinüber, der ihm halb den Rücken zuwandte und an einer kleinen Figur aus Ton weiterarbeitete. Aufmerksam sah er sich diesen Mann an, in dessen strengem und schon ein wenig angegrautem Kopf und in dessen harten, aber edlen und beseelten Handwerkerhänden solche holde Zauberkräfte wohnten. Er sah anders aus, als Goldmund ihn sich vorgestellt hatte: älter, bescheidener, nüchterner, viel weniger strahlend und herzgewinnend und gar nicht glücklich. Die unerbittliche Schärfe seines prüfenden Blicks war jetzt seiner Arbeit zugewandt, von ihr befreit nahm Goldmund nun die ganze Gestalt des Meisters sorgfältig in sich auf. Dieser Mann, dachte er, hätte etwa auch ein Gelehrter sein können, ein stiller strenger Forscher, der sich an ein Werk hingegeben hat, das viele Vorgänger vor ihm begonnen haben und das er einmal seinen Nachfolgern würde überlassen müssen, ein zähes, langlebiges, niemals zu Ende kommendes Werk, in dem die Arbeit und Hingabe vieler Menschenalter sich sammelt. So wenigstens las es der Betrachter aus dem Kopf des Meisters; viel Geduld, viel Gelernthaben und Nachdenken, viel Bescheidenheit und Wissen um den zweifelhaften Wert aller Menschenarbeit stand hier geschrieben, aber auch ein Glaube an seine Aufgabe. Anders wieder war die Sprache seiner Hände, zwischen ihnen und dem Kopfe bestand ein Widerspruch. Diese Hände griffen mit festen, aber sehr gefühligen Fingern in den Ton, den sie formten, sie gingen mit dem Ton um wie die Hände eines Liebenden mit der hingegebenen Geliebten: verliebt, voll zart schwingender Empfindung, begehrlich, aber ohne zwischen Nehmen und Geben zu unterscheiden, lüstern zugleich und fromm, und sicher und meisterlich wie aus uralter tiefer Erfahrung. Entzückt und bewundernd sah Goldmund diesen begnadeten Händen zu. Sehr gerne hätte er den Meister gezeichnet, wäre jener Widerspruch zwischen Gesicht und Händen nicht gewesen, der lahmte ihn.

Nachdem er wohl eine Stunde lang dem vor sich hin arbeitenden Künstler zugesehen hatte, voll von suchenden Gedanken über das Geheimnis dieses Mannes, begann in seinem Innern ein anderes Bild sich zu gestalten und vor seiner Seele sichtbar zu werden, das Bild des Menschen, den er am besten von allen kannte, den er sehr geliebt und innig bewundert hatte; und dies Bild war ohne Bruch und Widerspruch, obwohl auch diese Gestalt mannigfaltige Züge trug und an viele Kämpfe erinnerte. Es war das Bild seines Freundes Narziß. Immer dichter rann es zu Einheit und Ganzheit zusammen, immer klarer trat das innere Gesetz dieses geliebten Menschen in seinem Bilde zutag, vom Geist geformt der edle Kopf, vom Dienst am Geist gestrafft und geadelt der schöne beherrschte Mund und das etwas traurige Auge, vom Kampf um Vergeistigung beseelt die hagern Schultern, der lange Hals, die zarten vornehmen Hände. Nie hatte er seit damals, seit dem Abschied vom Kloster, den Freund so klar gesehen, sein Bild so ganz in sich besessen. Wie im Traum, ohne Willen und doch voll von Bereitschaft und Notwendigkeit, begann Goldmund behutsam zu zeichnen, strich mit liebenden Fingern ehrfürchtig um die Gestalt, die in seinem Herzen wohnte, und vergaß den Meister, sich selbst und den Ort, an dem er war. Er sah nicht, daß das Licht im Saale langsam wanderte, sah nicht, daß der Meister mehrmals zu ihm herüberblickte. Wie eine Opferhandlung vollzog er die Aufgabe, die ihm geworden war, die sein Herz ihm gestellt hatte: das Bild des Freundes emporzuheben und so aufzubewahren, wie es heut in seiner Seele lebte. Ohne sich darüber Gedanken zu machen, empfand er sein Tun wie das Abtragen einer Schuld, eines Dankes.

Niklaus trat an den Zeichentisch und sagte: »Es ist Mittagszeit; ich gehe zu Tisch, du kannst auch mitkommen. Laß sehen – du hast etwas gezeichnet?«

Er trat hinter Goldmund und schaute auf das große Blatt, dann schob er ihn beiseite und nahm das Blatt mit Sorgfalt in seine geschickten Hände. Goldmund war aus seinem Traum erwacht und blickte jetzt mit banger Erwartung nach dem Meister. Dieser stand, die Zeichnung mit beiden Händen haltend, und sah sie sehr genau an, mit seinem etwas scharfen Blick aus den strengen lichtblauen Augen.

»Wer ist das, den du da gezeichnet hast?« fragte Niklaus nach einer Weile.

»Es ist mein Freund, ein junger Mönch und Gelehrter.«

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