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XIV Ein Schluck Rum

Als plötzlich Flammen und schwarze Rauchwolken die Hafeneinfahrt verhüllten, erklangen von allen Seiten Entsetzensschreie. Für Seeleute war Feuer der schlimmste Feind; bei Sturm oder Strandung gab es immer noch eine Überlebenschance, aber wenn Feuer an Bord wütete, wo alles geteert, kalfatert und zundertrocken war, bestand keine Hoffnung mehr.

Leutnant Quantock zwang sich, den Blick von dem lodernden Indienfahrer zu wenden, und rief zu Keen hinüber:»Was sollen wir tun, Sir?«Er war barhäuptig, der Wind zerzauste sein Haar; nichts an Quantock erinnerte mehr an den makellosen, bärbeißigen Ersten Offizier der Achates.

Keen umklammerte die Reling und wandte sich dem näherkommenden Verhängnis zu. Erst Sparrowhawk, dann der spanische Freibeuter und jetzt seine Achates. Es blieb keine Zeit mehr, das Schiff an eine andere Stelle des Hafens zu verholen, außerdem waren die meisten Boote unterwegs und anderweitig beschäftigt.

Aber Quantock starrte ihn ratheischend an, während die Seeleute ihn umstanden, wie versteinert vor ungläubigem Entsetzen. Eben noch hatten sie gejubelt, weil der Indienfahrer wohlbehalten bis in den Schutz des Forts gelangt war. Und im nächsten Moment befand sich der Feind mitten unter ihnen und drohte, sie bei lebendigem Leibe zu verbrennen.

Keen kannte die Anzeichen nur zu gut: erst Zaudern, dann Panik. Aber er konnte sie doch nicht zwingen, hilflos wie Schlachtvieh dazustehen und den sicheren Tod zu erwarten. Zum Glück hatte er das Schiff sofort gefechtsklar gemacht, nachdem Midshipman Evans Bo-lithos Warnung überbracht hatte.

«Mr. Quantock! Lassen Sie die Backbordkanonen laden und ausfahren! Beide Decks!«Er boxte den Leutnant in die Seite.»Bewegung, Mann!»

Pfeifen schrillten, sie schreckten die Männer aus ihrer Starre und riefen sie auf Gefechtsstationen. In beiden Decks quietschten die Lafetten, als die dem Brander zugewandten Kanonen ausgerannt wurden.

Rauch brannte Keen in den Augen, als er abzuschätzen versuchte, mit wieviel Fahrt der Brander auf sie zukam. Seine Segel waren nur noch verkohlte Fetzen, seine Masten schwarze Stümpfe. Aber er brauchte weder Masten noch Segel, der Winddruck allein genügte, ihn auf sein Opfer zuzutreiben. Während er noch hinsah, stieß der Brander leicht gegen einen an seiner Boje liegenden Toppsegelschoner; im Handumdrehen brannte er wie eine Fackel, und der Ankerwache blieb nur der Sprung ins aufspritzende Hafenwasser.

«Feuerklar, Sir!«Quantocks Stimme klang verzweifelt.

Keen merkte, daß er an Bolitho dachte. Wo steckte er? Schlug er, unterstützt von einer der Patrouillen, einen Flankenangriff irgendwo am Strand zurück? Sein Magen verkrampfte sich. Oder war Bolitho vielleicht schon tot?

«Ziel auffassen!»

Er trat an die Querreling und sah auf seine Stückmannschaften hinunter — wie sonst, wenn sie es mit einem lebenden Feind aufnehmen mußten.

«Feuer!»

In dem engen Hafen hallte die aufbrüllende Breitseite wie ein Donnerschlag. Keen sah die Spur der Kugeln gleich einem Windstoß über das Wasser fahren und spürte das Aufbäumen des Decks unter seinen Füßen, als sich das Schiff im Rückstoß von seiner Muring zu befreien versuchte.

Ein Ruck ging durch den Brander, er versprühte einen Regen brennender Wrackteile, der zischend aufs Wasser schlug.

«Nachladen! Ruhig Blut, Leute!«Das war Mountsteven von der unteren Batterie.

Keen rief:»Mr. Rooke, lassen Sie Männer aufentern und die Segel begießen. Und stellen Sie andere mit Pützen auf die Seitendecks.»

Der Bootsmann nickte und eilte davon, den Befehl auszuführen, obwohl er wußte, daß die wenigen Eimer voll Wasser, die sie in der kurzen Zeit zu den Rahen hinaufziehen oder über die Bordwand gießen konnten, so gut wie nichts bewirken würden: als wolle man einen Waldbrand mit Spucke löschen. Aber es gab ihnen wenigstens etwas zu tun und ließ ihnen keine Zeit, den Kopf zu verlieren und über Bord zu springen — jedenfalls nicht bis zum letzten Augenblick, und dann würde es diszipliniert geschehen.

«Feuer!»

Abermals sah Keen die volle Breitseite in den Brander schlagen, diesmal ins Vorschiff; es machte ihn fast krank vor Verzweiflung, daß die Eisenkugeln nur Löcher rissen, durch die sofort noch größere Flammenbündel ins Freie loderten.

Heiser flüsterte der Master neben ihm:»So können wir ihn nicht aufhalten, Sir.»

Keen sah ihn nicht an. Knocker war ein bedachtsamer Mann und hatte wahrscheinlich schon seinen Chronometer ausgebaut, damit er nicht mit Achates unterging. Aber es stimmte, er konnte sein Schiff nicht mehr retten, das tapfere alte Käthchen, das schon so viel gesehen und erlebt hatte.

Wieder hob Quantock sein Sprachrohr:»Feuer!»

Tuson, der Schiffsarzt, erschien am Fuß der Leiter, und Keen fragte ihn:»Wollen Sie Ihre Verwundeten an Deck schaffen?»

Diese Maßnahme konnte die mühsam bewahrte Disziplin in ein Chaos verwandeln. Wenn die Stampede erst begann, ließ sie sich nicht mehr aufhalten, denn von Dewars Seesoldaten war kein einziger an Bord. Doch als Keen Tusons dankbares Gesicht sah, wußte er, daß er das Richtige getan hatte.

Steuermannsmaat Goddard schrie:»Seht mal dort, Leute!»

Der Indienfahrer hatte ein zweites Fahrzeug gerammt und in Brand gesetzt; aus seiner Ladung schoß ein Funkenregen empor und mehrte die Schrecken noch.

Aber nicht darauf richtete sich Goddards Augenmerk.

Keen hielt so angestrengt Ausschau, daß seine Augen schmerzten, als die kleine Brigantine Vivid ihren Bugspriet durch Rauch und fallende Wrackteile schob; mit vierkant gebraßten Rahen überholte sie den treibenden Brander.

Quantock stöhnte heiser.»Allmächtiger! Sie muß ihm dichtauf in den Hafen gefolgt sein. Gleich fängt sie Feuer!»

Keen riß einem Midshipman das Fernrohr aus der Hand und richtete es auf die näherkommende Flammenwand. In der Vergrößerung wirkte sie noch schrecklicher, und Keen schnürte es nur vom Hinsehen die Kehle zu.

Tyrrells mächtige Gestalt stand am Ruder und steuerte seine Vivid dichter an die Steuerbordseite des Branders heran; im Wirbel der Rauchwolken und Rußfetzen wirkte er unerschütterlich wie ein Fels. Und jetzt schwangen die Spieren herum, die Segel killten und füllten sich wieder; Gott mochte wissen, woher Tyrrells Männer die Kraft nahmen, bei dieser Hitze noch an Schoten und Winschen zu arbeiten.

Aus dem Augenwinkel bemerkte Keen, daß die ersten Verwundeten an Deck gebracht wurden, aber er konnte sich von der fürchterlichen Szene im Hafen nicht abwenden. Schon glaubte er, die Hitzewelle zu spüren, und war sich klar, daß er bald den Befehl zum Verlassen des Schiffes geben mußte.

«Sichern Sie die Kanonen, Mr. Quantock.»

Er erwartete empörtes Geschrei, aber niemand protestierte gegen den anscheinend sinnlosen Befehl; statt dessen hörte er das Knirschen der Lafetten und Knarren der Handspaken, als die Achtzehnpfünder hinter ihren Stückpforten gesichert wurden, damit sie nicht quer übers Deck rutschten.

Ein vielstimmiges Aufstöhnen lief reihum, als Vivids Toppstander in einem Rauchwölkchen verpuffte. Nur noch wenige Sekunden, dann konnte auch das vorsichtigste Manöver sie nicht mehr vor dem Feuer bewahren.

Vor Keens Augen stießen beide Schiffe mit dem Bug zusammen; die unter Vollzeug segelnde Vivid hatte dabei genug Schwung, um den Brander etwas nach Backbord abzudrängen.

Gepreßt sagte Leutnant Trevenen: «Vivid hat Feuer gefangen, Sir.»

Wie triumphierende Teufel sprangen die Flammen von Rigg zu Rigg über, vermehrten sich blitzschnell und breiteten sich aus, bis die Breitfock sich in Asche auflöste.

Aber immer noch schob Vivid den anderen, schwereren Bug aus dem Kurs. Jetzt würden an der Stelle, wo beide Schiffe ineinander verhakt waren, einige Gestalten sichtbar. Im nächsten Augenblick sah Keen das Wasser aufspritzen: einer der beiden Buganker des Indienfahrers war gefallen. Jemand hatte ihn vom Kranbalken gelöst. Zwar würde die Ankertrosse den Flammen nicht lange standhalten, aber noch grub er sich in den Grund, so daß die Trosse steifkam und der Brander noch weiter nach Backbord schwojte.

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