Seine eingeäscherte Takelage fiel krachend in sich zusammen und über Bord. Atemlos sagte Knocker:»Bei Gott, er ist auf Grund gelaufen!»
Keen nickte wortlos, er konnte nicht sprechen. Tyrrell, der die Häfen hier wie seine Jackentaschen kannte, hatte sein Rettungsmanöver auf die Sekunde genau berechnet, so daß der brennende Indienfahrer sich immer höher aufs Flach schob.
Keen fand seine Stimme wieder.»Setzen Sie jedes verfügbare Boot aus, Mr. Quantock.»
Vivid brannte jetzt lichterloh. Kaum konnte man das eine Schiff vom anderen unterscheiden, sie waren ein einziges Flammenmeer. Immer noch war Achates nicht ganz außer Gefahr, denn der Brander konnte wieder flottkommen, auch mochte ein brennendes Wrackteil herübertreiben.
Keen wandte sich ab und ließ den Blick über sein Schiff schweifen. Aber was auch noch geschah, sie waren nicht gewichen. Ohne zu wanken hatten sie zusammengehalten, so wie Bolitho es von ihnen erwartete.
Vom Batteriedeck starrten Männer zu Keen herauf; die Gesichter rauchgeschwärzt, erinnerten sie eher an einen Piratenhaufen als an reguläre britische Matrosen. Nun begannen sie zu jubeln, schüttelten die Fäuste und beglückwünschten sich, als hätten sie eine Schlacht gewonnen. Aber Keen entging auch nicht Quantocks bitterer Blick. Endlich hatte die Mannschaft ihren verstorbenen Kommandanten vergessen und Keen akzeptiert.
Keen grinste zu ihnen hinunter, obwohl ihm eher nach Weinen zumute war. Dann faßte er einen Entschluß.
«Lassen Sie meine Gig aussetzen, ich hole Tyrrell selbst.»
Sie fanden Tyrrell und den Rest seiner kleinen Crew im Wasser, wo sie sich an eine Stenge und das Wrack eines gekenterten Bootes klammerten.
Unter ihnen war auch Adam Bolitho, halb nackt und mit einer großen roten Brandwunde an der Schulter.
Tyrrell ließ sich in die Gig helfen und sackte im Heck zusammen, den Blick immer noch auf die Überreste seiner Brigantine gerichtet. Inzwischen war sie bis zur Wasserlinie niedergebrannt, ein unkenntliches Wrack.
Keen sagte:»Ich bedaure, daß dies geschehen ist und auch, daß ich Sie schlecht behandelt habe. Sie kamen in letzter Minute. Nun haben Sie Ihr Schiff verloren, aber meines gerettet.»
Tyrrell schien ihn nicht zu hören. Er legte Adam die Hand auf die unverletzte Schulter und murmelte heiser:»Mir scheint, wir haben beide einiges verloren, wie?»
Als die Gig bei Achates längsseits ging, rannten die Seeleute auf die Seitendecks oder kletterten in die Wanten, um Tyrrell mit Hochrufen zu empfangen.
«Sie sind Ihnen dankbar«, sagte Keen.
«Haben auch Grund dazu.»
Tyrrell musterte sein Holzbein; sogar das war angekohlt. Weshalb sollte er sich wiederholen? Wenn Achates bei dem spanischen Überfall nicht hier gewesen wäre, hätte das alles nicht geschehen müssen. Er blickte hinüber zu der Stelle, wo seine geliebte Vivid jetzt zerbrach und mit einer Dampfwolke versank. Und er hätte immer noch ein
Schiff gehabt.
Da spürte er die Hand des jungen Offiziers auf seinem Arm und hörte ihn tröstend sagen:»Wir werden beide eine neue Chance bekommen, Jethro.»
Tyrrell entblößte die Zähne in einem grimmigen Lächeln.»Verdammt, das will ich doch hoffen. Kann schließlich nicht den Rest meines Lebens damit verbringen, auf euch aufzupassen!»
Keen stand neben Bolithos Tisch und musterte den Vizeadmiral besorgt, der schon die ganze Zeit auf das Logbuch mit den Ereignissen des Tages niederstarrte, aber nichts zu sehen schien.
Er räusperte sich.»Der Zahlmeister berichtet, Sir, daß den ganzen Tag frisches Obst und Gemüse von der Insel herübergeschafft wurden. Jetzt plötzlich können sie gar nicht genug für uns tun.»
Bolitho strich die Papiere glatt. Jetzt plötzlich.. Diese beiden Worte waren vielsagend. Hinter sich hörte er Ozzards leise Schritte, der die Heckfenster schließen ging, weil wieder einmal ein scheidender Tag den Hafen in Schatten hüllte. Immer noch bezeichneten Funken und ein gelegentliches Aufglühen die Stelle der Untiefe, wo der Brander lag. War es tatsächlich erst an diesem Morgen gewesen, daß er sich mit Leutnant Lemoine auf den Festungswällen unterhalten hatte?
Keen merkte, daß Bolitho allein sein wollte, aber es widerstrebte ihm, ihn seinem Gram zu überlassen. Zu gut erinnerte er sich noch an sein Erschrecken, als die Barkasse am Schiff angelegt hatte und All-day leblos an Bord gehievt worden war.
Dieser Anblick hatte all seine anderen Empfindungen wie Asche zerstieben lassen: Stolz auf seine Männer, weil sie sich angesichts der Gefahr tapfer geschlagen hatten; tiefe innere Befriedigung, daß auch er nicht zusammengebrochen war. Doch das zählte nicht mehr, denn Allday war auch ein Teil seines Lebens geworden. Und wenn er's recht überlegte, hatten die meisten Menschen, die ihm etwas bedeuteten, Bolithos Bootsführer eine Menge zu verdanken.
In Augenblicken wie diesen wäre Allday in die Kajüte getreten und hätte unwillkommene Besucher hinauskomplimentiert. Aber nun lag er in Bolithos eigenem Schlafraum mit einer Säbelwunde in der Brust, die sogar den wortkargen Schiffsarzt erschreckt hatte.
Keen versuchte noch einmal, Bolitho anzusprechen.»Wir haben mehrere Gefangene gemacht, Sir: die Besatzung des Branders und einige Soldaten von der Missionsinsel. Sie hatten recht, es sind alles Spanier aus La Guaira. Aber nach diesem Mißerfolg werden die Dons San Felipe in Ruhe lassen müssen. Alle Welt weiß jetzt, was sie vorhatten. Ihre Köpfe werden ziemlich locker sitzen, wenn ihr König erst von dem Desaster hier erfährt.»
Bolitho lehnte sich im Stuhl zurück und rieb sich die Augen. Immer noch glaubte er, Rauch zu riechen, Alldays mühsames, schmerzverzerrtes Lächeln zu sehen.
Er sagte:»Morgen setze ich meinen Bericht an Sir Hayward Sheaffe auf. Danach ist der Rest Sache des Parlaments. «Beim Geräusch von Schritten blickte er scharf hoch, aber es war nur die Wache, die über ihnen auf und ab ging.
Trotz seiner Vergangenheit war Tuson ein guter Arzt, das hatte er mehrfach bewiesen. Wenn doch nur. Aber Bolitho verbot sich diese Gedanken.
Er sagte:»Es tat mir leid, von Jethro Tyrrells Verlust zu hören.»
«Er trägt es tapfer, Sir. «Keen zögerte.»Aber er bittet darum, daß Sie ihn empfangen.»
Die Tür zum Nebenraum öffnete sich, und Adam betrat lautlos die Tageskajüte.
«Wie geht's ihm?«fragte Bolitho.
Adam hätte gern Tröstliches berichtet, konnte aber nur antworten:
«Er ist immer noch bewußtlos, und Mr. Tuson meint, die Atmung ist zu unregelmäßig. «Er blickte zu Boden.»Ich habe den Arzt ausgefragt, aber…»
Bolitho erhob sich mit bleiernen Gliedern. Von Georgetown schimmerte Licht herüber. Ob die Bewohner immer noch schweigend am Ufer beisammenstanden und zum Schiff starrten? Die ganze Zeit seit dem Angriff hatten sie sich so verhalten — ob aus Mitgefühl oder aus schlechtem Gewissen, das wußte er nicht; es kümmerte ihn auch nicht.
Adam sprach immer noch.»Allday und ich gerieten einmal in Gefangenschaft, Sir. «Er richtete seine Worte an Keen, den Blick aber auf Bolitho.»Später sagte er dann zu mir, damals hätte er zum ersten und einzigen Mal Bekanntschaft mit der Peitsche gemacht. Das schien er für einen Scherz zu halten.»
Keen nickte.»Typisch für ihn.»
Bolitho ballte die Fäuste. Sie wollten ihm helfen, machten aber alles nur noch schlimmer.
Abrupt sagte er:»Ich gehe zu ihm. Ihr beide ruht euch jetzt besser aus. Kümmere dich um die Brandwunde, Adam. In diesem Klima. «Er ließ den Satz unvollendet.
Keen ging voran durch die Tür und fragte über die Schulter:»Fällt Ihnen die Stille an Bord auf? Dabei heißt es immer, Schiffe bestünden nur aus Holz und Kupfer.»
Adam nickte, froh darüber, daß sein Gesicht unter dem Hüttendeck im Schatten blieb. Selbst jetzt hatte Bolitho an seine verbrannte Schulter gedacht. Es war unglaublich.
Bolitho öffnete die schmale Tür und betrat seine Schlafkajüte. Das Schiff lag so reglos an seiner Muring, daß es sich kaum bewegte.