Allday holte tief Luft.»Es geht um den Admiral, Sir. Er hat sich mehr aufgeladen, als er tragen kann. Das ist unfair.»
Keen mußte lächeln; darum ging's also. Er hatte schon befürchtet, daß eine Katastrophe passiert sei.
Aber Allday war noch nicht fertig.»Wollte mir's nur von der Seele reden, Sir, weil Sie doch ein anständiger Mensch sind. Und für ihn da achtern ein wirklich guter Freund. Schuld dran ist irgendwas, das der Flaggleutnant gesagt hat. Das spüre ich in meinen Knochen. Muß was sein, was ihn tief getroffen hat.»
Keen war zwar müde, aber auch intelligent und schnell von Begriff. Jetzt wurde ihm klar, was ihm längst hätte auffallen müssen: wie seltsam förmlich der Admiral und sein Neffe neuerdings miteinander umgingen.
Er sagte:»Überlaß das ruhig mir, Allday. Ich hab' schon verstanden.»
Forschend sah Allday ihm ins Gesicht und nickte dann.»Mußte einfach darüber reden, Sir. Sonst verprügle ich eines Tages noch den Flaggleutnant, und wenn er dreimal Offizier ist!»
Keen erhob sich.»Das will ich nicht gehört haben, Allday. «Er lächelte.»Und jetzt mach, daß du in deine Koje kommst.»
Danach saß Keen noch lange an seinem Schreibtisch und sah zu, wie die Sonne langsam im Meer versank.
Eigentlich hatte er tausenderlei Dinge zu tun, denn eine Ahnung sagte ihm, daß sie bald wieder zu den Waffen würden greifen müssen. Er spürte das, um mit Allday zu reden, in seinen Knochen. Das Gespräch war alles andere als erheiternd gewesen, aber er merkte, daß er darüber die Konferenz im Kartenhaus vergessen konnte, Quantocks stumme Mißbilligung und Tyrrells prahlerisches Versprechen, daß er sie zu einem Platz führen könne, wo sie dem anderen Schiff überlegen sein würden.
Alldays Besuch hatte das alles verdrängt. Er kannte Bolithos Bootsführer nun schon seit achtzehn turbulenten Jahren; es war eine Zeit der Gefahren und Entbehrungen gewesen, eben Kriegszeit, mit kurzen Erholungspausen dazwischen, in denen die überwältigende Freude, trotz aller Fährnisse noch am Leben zu sein, das prägendste Erlebnis war.
Wenn es um Allday ging, drängte sich stets als erstes ein einziges Wort auf: Treue.
Müde griff Keen nach der Glocke, um seinen Steward herbeizuzitieren.
Die wenigsten, überlegte er, würden den Begriff Treue definieren können. Aber er hatte immerhin erleben dürfen, in welcher Gestalt sie sich verkörperte.
XI Späte Rache
«Alle Mann an Deck, alle Mann an Deck! Aufentern und klar zum Bramsegelsetzen!»
Bolitho beobachtete von der Querreling aus, wie die tropfnassen Kutter wieder einmal auf ihren Stellings festgelascht wurden. Achates hatte hier einige Stunden geankert, während die Beiboote ausgesetzt wurden, um eine Bucht zu rekognoszieren, in der sich ein Schiff hätte verstecken können. Aber wie schon all die Male zuvor waren die Leute unverrichteter Dinge zurückgekehrt.
Bolitho beschattete die Augen, um trotz der grellen Sonne das Land zu erkennen Santo Domingo lag nur wenige Meilen weiter nordwestlich; danach kam noch die Mona-Passage, und dann waren sie wieder in den nördlichen Zufahrtswegen, wo alles seinen Anfang genommen hatte.
Zwei vergeudete Wochen. Dazu der tägliche Kampf um die Ausnützung einer so leichten Brise, daß sie an Land kaum ein Pappelblatt bewegt hätte.
Nun sah er zu, wie die großen Bramsegel schlugen und sich träge füllten, bis das Schiff sich auf dem neuen Kurs leicht überlegte.
Keen kam quer übers Deck heran und wartete darauf, daß Bolitho sich zu ihm umwandte.
«Mit allem Respekt, Sir, aber ich glaube, wir sollten nach San Felipe zurückkehren.»
«Ich kenne diese Gewässer, Val«, erwiderte Bolitho.»Hier könnte man notfalls eine ganze Flotte verstecken. Sie glauben, daß ich mich geirrt habe, nicht wahr?«Er fuhr sich über das zerknitterte Hemd und lächelte Keen an.»Ich mache Ihnen daraus keinen Vorwurf, schließlich waren die letzten Wochen für uns alle eine Qual.»
«Ich sorge mich Ihretwegen, Sir«, sagte Keen.»Je länger wir warten.
Bolitho nickte.»Ich weiß. Mein Hals steckt in der Schlinge. Das war mir von Anfang an bewußt.»
Die Wanten knarrten, als die Brise etwas auffrischte und die Segel sich strafften. Hoch oben in den Masten ließen die zusätzlichen Ausguckposten die überanstrengten Augen rundum schweifen und verfluchten heimlich ihre Vorgesetzten wegen dieser Schikane.
Bolitho hörte das dumpfe Tappen von Tyrrells Holzstumpf näherkommen und wandte sich ihm grüßend zu. Keen entschuldigte sich und schlenderte zur anderen Seite hinüber. Sein Mißtrauen und sein wachsender Argwohn Tyrrell gegenüber ließen sich nicht mehr verbergen.
Tyrrell sandte ihm einen Blick nach und meinte:»Kann mich wohl nicht ausstehen, der Gute. «Aber seine Stimme klang besorgt und nicht mehr so zuversichtlich.
«Sind Sie sich Ihrer Sache immer noch so gewiß, Jethro?«fragte Bolitho.
«Sie können Gott weiß wo sein. «Er hämmerte mit der Faust auf die Reling.»Aber verschiedene Freunde haben mir gesagt, daß sie sich in einer dieser Buchten hier erholen wollen. Und von den Spaniern haben sie ja nichts zu befürchten. Außerdem kennen die längst ihre Absichten, davon bin ich überzeugt.»
Bolitho musterte Tyrrell nachdenklich.»Wir sind jetzt in spanischen Gewässern. Es gibt keine Rechtfertigung für unsere Anwesenheit, es sei denn, dieses verdammte Schiff versteckt sich wirklich hinter der spanischen Flagge.»
Keen kam zurück und sagte mit ausdruckslosem Gesicht:»Wir müssen bald wieder über Stag gehen, Sir. «Tyrrell ließ er absichtlich unbeachtet.»Und danach kommt das mühsame Aufkreuzen zur Mona-Passage. So flau der Wind ist, hat er es offenbar doch darauf abgesehen, uns das Leben schwer zu machen.»
Noch während er sprach, wurde das Vorbramsegel schlaff und schlug gegen die Wanten; Männer hasteten an die Brassen, um die Rah abermals neu zu trimmen.
Plötzlich sagte Tyrrell:»Mir ist etwas eingefallen. Geben Sie mir ein Boot. «Er sprach hastig, als müsse er auch eigene Vorbehalte übertönen.»Sie glauben mir nicht. Aber ich bin mir ja selbst nicht sicher.»
Sie blickten alle nach oben, als ein Ausguckposten rief:»An Deck! Segel in Nordwest!»
«Hol's der Teufel«, murmelte Keen.»Das ist bestimmt ein Patrouillenboot aus Santo Domingo!»
Tyrrell musterte ihn kalt.»Die Spanier haben Ihr schönes Schiff schon seit Tagen beobachtet, Kapitän Keen, darauf halte ich jede Wette.»
Keen wandte den Blick ab.»Ich wette nicht mit einem Glücksritter«, brummte er. Scharf befahl Bolitho:»Das reicht!»
Er blickte zum Krähennest auf. Der Tag war sonnig und klar, der Ausguckposten da oben mußte mehr erkennen können als jeder andere.
Durch die hohlen Hände schrie er hinauf:»Was für ein Schiff?»
Bolitho war sich bewußt, daß einige der in der Nähe arbeitenden Seeleute innehielten und ihn anstarrten. Ein Admiral, auch wenn er noch so jung war, und Schreien? Das mußte ihnen vorkommen wie eine Blasphemie.
Aus dem Ausguck schrie es herunter:»Eine Fregatte, Sir, wie's aussieht.»
Bolitho nickte. Also eine Fregatte. Wahrscheinlich hatte Keen mit seiner Vermutung recht, dann blieben ihnen höchstens noch zwei Stunden.
Er befahl:»Lassen Sie bitte beidrehen und einen Kutter aussetzen. Bewaffnet und unter dem Befehl eines Leutnants.»
Eifrige Rufe erklangen, hastiges Getrappel ringsum auf den von der Sonne gedörrten Planken, und dann drehte Achates zögernd in den Wind, während das Boot bereits ruckartig über das Steuerbordschanzkleid geschwungen wurde.
Knocker, der sich an Keen herangeschoben hatte, murmelte:»Die Bucht ist nicht größer als ein Dorfteich, Sir. Ein solches Schiff käme niemals da hinein.»
«So steht's in Ihrer Karte«, erwiderte Tyrrell düster.»Aber ich weiß es besser.»
Bolitho sah Scott, den Dritten Offizier, sich hastig mit dem Säbel gürten, während ihm der Messesteward mit Pistole und Zweispitz nachlief. Von trübsinniger Untätigkeit zu hektischer Betriebsamkeit — wie oft hatte Bolitho diesen Stimmungsumschwung schon erlebt, auch an sich selbst.