Die britischen Marinesoldaten drängten mit grimmigen Gesichtern auf der dem Feind zugekehrten Seite an die Reling und schössen in das Gedränge auf dem Achterdeck; der Drill war vergessen, jeder feuerte, so schnell er konnte.
Und nun zog Hauptmann Dewar seinen Säbel.»Vorwärts, Soldaten!»
Die roten Uniformröcke mit den weißen Brustriemen stürzten sich in die Rauchschwaden; auch wenn die Stiefel immer wieder im Blut ausrutschten, die Bajonette bahnten ihnen eine Gasse durch die Verteidiger, bis die Soldaten die erste Welle der Enterer auf dem Deck des Feindes erreicht hatten.
Keen war nach vorn gerannt, um seine Leute anzufeuern; trotz der Verluste im feindlichen Feuer hörte Bolitho immer wieder Hurrageschrei, das noch anschwoll, als die ersten das Achterdeck erreichten.
Plötzlich stieß Achates' Bootsmann einen Warnruf aus:»Feuer! Sie haben Feuer an Bord!»
Im selben Augenblick sah Bolitho drüben Rauchfäden aufsteigen.
Die Fäuste um den Handlauf gekrampft, starrte Tyrrell zum Feind hinüber, wo die ersten bereits ihre Waffen wegwarfen und um Gnade flehten, hart bedrängt von den wie im Rausch fechtenden Engländern.
«Mr. Hawtayne!«rief Bolitho.»Lassen Sie den Trompeter zum Rückzug blasen! Klar zum Loswerfen!»
Eine dumpfe Explosion erschütterte beide Rümpfe, aus dem Vordeck drüben quoll jetzt dicker schwarzer Rauch. Wenn das Schiff in Flammen aufging, drohte Achates das gleiche Schicksal.
Sich den Schweiß vom Gesicht wischend, kehrte Keen zurück und suchte mit den Blicken seine Offiziere und Maaten, als eine zweite Explosion den Ernst der Lage unterstrich.
Ihre Verwundeten hinter sich herzerrend und einige wenige Verfolger abwehrend, rannte Achates' Entermannschaft auf ihr eigenes Schiff zurück.
Sobald die letzte Verbindungsleine gekappt war, begann der fremde Zweidecker hilflos nach Lee abzutreiben, da sein Ruder entweder entzweigeschossen oder unbemannt war. Leichen trieben im Wasser zwischen den beiden Schiffen, leblose Gestalten hingen in Webeleinen und Netzen, wie die Kugeln sie ereilt hatten.
«Setzt die Breitfock! Holt dicht den Klüver! Entert auf und setzt die Bramsegel!«Quantocks rauhe Stimme übertönte das Chaos und sorgte für zielgerichtetes Handeln.
Auf dem Batteriedeck des Feindes leckte eine gewaltige Feuerzunge gen Himmel und brachte herumliegende Pulverladungen zur Explosion. Wie betäubt rannten Männer zwischen Gefallenen und Trümmern herum, niemand machte auch nur den Versuch, das Schiff zu retten.
Als Ruder gelegt wurde, wandte Achates sich langsam von dem geschlagenen Feind ab und entblößte dabei dessen Wunden: Blutspuren an der Bordwand, weggeworfene Waffen und Kanonenrohre, die wie aus eigenem Antrieb immer noch qualmten.
Eine weitere Explosion dröhnte übers Wasser, brennende Holz- und Riggstücke schlugen gefährlich nahe bei Achates ein; aber sie nahm jetzt mehr und mehr Fahrt auf, weil ihre durchlöcherten und rauchgeschwärzten Segel sich mit Wind zu füllen begannen.
Mehrere kleinere Explosionen, gefolgt von einer Funkenfontäne mittschiffs: Flammen züngelten an Masten und Segeln empor, bis die ganze Takelage ein Feuermeer war. Binnen weniger Sekunden wurden Leinen und Tuch zu Asche, Männer sprangen — manche selbst brennend — ins Meer, wo andere wild um sich schlagend schon nach Wrackteilen suchten, an die sie sich klammern konnten, während das Schiff lodernd davontrieb.
Bolitho sah zu und dachte an Sparrowhawk, fühlte aber keine Genugtuung. Jubelnd umarmten sich seine Leute. Sie hatten überlebt — ein weiteres Mal. Für viele war es das erste Gefecht gewesen.
Die spanische Fregatte, die sich während der ganzen Zeit mit der Rolle des unbeteiligten Zuschauers begnügt hatte, segelte jetzt vorsichtig auf das brennende Wrack zu. Sie verdeckte Achates die Sicht auf ihr Opfer, wohl um sich unbeobachtet schuldig zu machen. Aber die Spanier sagten sich wahrscheinlich, daß Tote nichts mehr bezeugen konnten. Ein grelles Aufblitzen und eine gewaltige Detonation ließen allen Jubel bei den Engländern wie abgeschnitten verstummen.
Das besiegte Schiff rollte sich auf die Seite, die brennenden Stückpforten starrten wie zornrote Augen himmelwärts.
Ihre Verbände gaben wohl nach, denn sie sank jetzt sehr schnell.
Unter Deck mußten die losgerissenen Kanonen die Agonie der Eingeschlossenen noch verstärken.
Bolitho sah Midshipman Evans hinüberstarren auf das Ende; aber sein Gesicht war tränennaß, nicht schadenfroh, und Bolitho wußte, warum.
Evans sah vor sich nicht die gerechtfertigte Vernichtung eines verhaßten Feindes, sondern durchlebte noch einmal den Untergang seiner
Sparrowhawk.
Leise sagte Bolitho:»Kümmere dich bitte um Mr. Evans, Adam. Er macht jetzt eine Krise durch.«. Keen trat heran und griff grüßend zum Hut.
«Wie hoch ist der Blutzoll, den wir dafür bezahlen mußten?«fragte ihn Bolitho.
Aber beide fuhren herum, als die Luft unter einer letzten Explosion erbebte. Das feindliche Schiff drehte wie ein tödlich getroffener Riesenwal den Bauch nach oben und versank.
Gedämpft sagte Keen:»Nicht viel hat gefehlt, dann wären wir jetzt an deren Stelle.»
Bolitho reichte Allday seinen Säbel.»Ich verstehe, Val. Dann ist wohl der Blutzoll noch immer nicht ganz bezahlt.»
ХII Der Brief
Electras jugendlicher Kommandant, Kapitänleutnant Napier, hatte sich mitten in Bolithos Tageskajüte aufgebaut, um seinen Bericht zu erstatten.
In Mißachtung seiner Befehle war Napier mit seiner Brigg ausgelaufen, um dem ramponierten Zweidecker auf den letzten zwei Meilen bis zur Reede von San Felipe das Geleit zu geben.
So sehr er sich auch bemühte, Napier hatte nicht verhindern können, daß seine Blicke neugierig umherschweiften, sowie er den Fuß an Bord gesetzt hatte, Zwischen den in alte Segel eingenähten Toten, die auf ihre Bestattung warteten, gingen die erschöpften, abgerissenen Matrosen ihrer Arbeit nach und hoben kaum den Blick vom Spleißen, Nähen oder von den Taljen, mit denen sie Ersatzteile zu den Toppsgasten in den Rahen hinaufhievten.
Bolitho dachte wieder an die letzten Augenblicke seines Gegners. Immer noch wußte er nicht den Namen des Schiffes. Doch bald würde er ihn erfahren, ebenso den des Kommandanten. Auch wenn die spanische Fregatte so bemüht gewesen war, durch ihr Dazwischenkommen jeden Bergungsversuch Überlebender zu verhindern.
Napier berichtete:»Es kreuzten doch tatsächlich zwei spanische Kriegsschiffe vor der Küste auf. Sie wollten einen Landungstrupp auf der Missionsinsel absetzen.»
Er schien überrascht, daß der Admiral ihn zu diesem Vorfall nicht näher befragt hatte. Aber Bolitho war so müde gewesen, daß er Na-piers sauber abgefaßten Bericht lediglich überflogen hatte.
Nun raffte er sich auf und ging zu den offenen Heckfenstern hinüber, während Achates die Insel ansteuerte. Immer noch roch er Schweiß und Asche, den Gestank des Gefechts, den Todesatem.
«Wie haben Sie sich verhalten?»
Napier erinnerte sich stolzgeschwellt an seine schönsten Augenblik-ke als Gouverneur auf Zeit.
«Ich habe sie verscheucht, Sir. Ließ die Festungsbatterie einen Schuß abfeuern, um ihnen Beine zu machen.»
Ihnen Beine machen. Bolitho hätte gern darüber gelacht, aber er wußte, daß er dann vielleicht nicht mehr aufhören konnte.
Wann und wo würde das alles enden? Tyrrell hatte ihn verraten, oder hatte es jedenfalls bis zum letzten Moment vorgehabt. Und jetzt gierten nicht nur die Franzosen nach der Insel, sondern auch die Spanier.
Keen betrat die Kajüte.»Wir laufen in den Hafen ein, Sir«, meldete er.»Der Wind bleibt stetig aus Südost. «Er wirkte überanstrengt und so ausgelaugt, als fühle er die Blessuren seines Schiffes am eigenen Leibe.
Seit dem Gefecht waren die Pumpen fast nicht mehr verstummt, denn Achates hatte zwei schwere Treffer nahe der Wasserlinie eingesteckt. Und ein >langer Neuner<, wie die Zweiunddreißigpfünder genannt wurden, konnte auf einem 22 Jahre alten Schiff schrecklichen Schaden anrichten.