«Ich komme an Deck. «Bitter fügte Bolitho hinzu:»Einige, die uns von Land aus beobachten, mag es enttäuschen, daß wir immer noch schwimmfähig sind.»
Darüber fielen ihm die beiden spanischen Kriegsschiffe ein, die offenbar Truppen auf einem Territorium an Land setzen wollten, das sie immer noch als ihr Eigentum betrachteten. Wenn Tyrrell es sich nicht in letzter Sekunde anders überlegt hätte, wäre den beiden das große Schiff zu Hilfe gekommen, das jetzt am Fuße eines karibischen Riffes lag.
Napier erbleichte plötzlich.»Ich — ich muß um Vergebung bitten, Sir. Beinahe hätte ich's vergessen. Aber ein Postschiff aus England war da.»
Bolitho starrte ihn an.»Fahren Sie fort«, sagte er scharf.
Napier suchte in seinen Rocktaschen und holte schließlich einen Brief hervor.»Für Sie, Sir. «Unter Bolithos Blicken schien er zu schrumpfen.
Keen sagte knapp:»Kommen Sie mit nach oben, Kapitänleutnant Napier, ich muß über die Reparaturen an meinem Schiff mit Ihnen sprechen…«Doch in der Tür blieb er noch einmal stehen und warf einen Blick auf Bolitho zurück. Dieser hielt seinen Brief in beiden Händen und scheute sich offenbar, ihn zu öffnen.
Als Keen sich abwandte, stieß er fast mit dem Flaggleutnant zusammen.»Warten Sie noch, Adam«, sagte er.»Ein Brief ist gekommen.»
Im halbdunklen Batteriedeck lehnte Allday an einem verschrammten Achtzehnpfünder und spähte durch die offene Stückpforte nach der grünen Landzunge aus, die querab vorbeiglitt. Dort standen Leute, um das besudelte und verkrüppelte Schiff vorbeisegeln zu sehen; aber keiner winkte.
Für Allday war es ein Landfall wie andere auch. Er war schon in so vielen Häfen eingelaufen, daß sich ihr Bild in seiner Erinnerung verwischte. Seufzend gestand er sich ein, daß im Augenblick nur der Brief aus England zählte. Als wäre es gestern gewesen, stand ihm vor Augen, wie er sich mit Bolitho in die verunglückte Kutsche gezwängt und darin eine bildschöne Frau gefunden hatte, die dem Tode näher schien als dem Leben. Sie sah Bolithos verstorbener erster Frau so ähnlich, daß er seinen Augen nicht traute.
Mit schiefgelegtem Kopf lauschte er nun dem Salut, den die Festungsbatterie für sie schoß. Der richtige Willkommensgruß, dachte er, obwohl sie zu viele Kameraden an Bord hatten, die keinen einzigen Schuß mehr hören würden.
Er richtete sich auf, als die Tür klappte und der Wachtposten Haltung annahm.
Bolitho zog den Kopf unter den niedrigen Decksbalken ein und gewahrte dann die wartende Gestalt.
Als er die besorgte Spannung in Alldays Gesicht sah, spürte er seine letzten Kraftreserven schwinden. Die Selbstbeherrschung, zu der er sich während der Lektüre des Briefes gezwungen hatte, die Verzweiflung, die seinen Blick getrübt hatte, all das zehrte jetzt an ihm.
Er hielt inne und lauschte dem Salut, der von Achates' Kanonen erwidert wurde. Dann griff er zu und drückte Alldays Hand.
Heiser fragte sein Bootsführer:»Steht es gut, Sir?»
Noch einmal drückte Bolitho Alldays Hand. Es fügte sich ganz richtig, daß er in diesem Augenblick bei ihm war und somit als erster davon erfuhr.
«Wir haben eine gesunde Tochter, Allday.»
Keiner von beiden wußte, wie lange sie so dastanden. Achates setzte zum letzten Kreuzschlag um die Landspitze an, auf dem Achterdeck intonierten die Pfeifer und Trommler einen munteren Marsch, aber Bolitho war im Geist ganz woanders.
Dann nickte Allday bedächtig; er kostete den Augenblick aus, von dem er wußte, daß er ihm noch oft Gesprächsstoff liefern würde, wenn er einst zum letztenmal den Fuß an Land gesetzt hatte.
«Und Mrs. Bolitho, Sir.»
«Geht es sehr gut. «Bolitho schritt ins Sonnenlicht hinaus.»Sie läßt dich grüßen. «Mit kraftvollen Schritten strebte er dem Achterdeck zu. Jetzt konnte er es mit allen aufnehmen. Konnte alles schaffen. Er sah sich nach Alldays breit grinsendem Gesicht um.»Außerdem hofft sie, daß uns der Dienst in dieser Friedenszeit nicht zu langweilig wird.»
Allday hob den Blick zur zerschmetterten Besanrah, zu den Blutspuren und frischen Einschlägen, die das Schiff entstellten.
Und dann warf er — ungeachtet des feierlichen Augenblicks, des Saluts und des Flaggengrußes, den die Festung dem einlaufenden Kriegsschiff entbot — den Kopf in den Nacken und lachte lauthals.
Keen starrte erst ihn und dann Bolitho an.
Dem Sieger war also endlich sein Lohn zuteil geworden.
In Kapitän Valentin Keens Augen stand unverhohlene Überraschung und Bewunderung, als er seinen Vorgesetzten anblickte. Seit Achates nach San Felipe zurückgekehrt war, hatte es bei den Reparaturarbeiten, beim Ersetzen zerschossener Planken und Spieren keine Pause gegeben. Dabei war die Werft von Georgetown jämmerlich ausgerüstet, und außerdem erschwerten Feindseligkeit und mangelnde Kooperationsbereitschaft jeden Handgriff.
English Harbour auf Antigua wäre der einzige geeignete Platz für eine so gründliche Überholung gewesen, aber Keen hatte sich damit abfinden müssen, daß sein Schiff unter den primitivsten Umständen wieder zusammengeflickt wurde. Denn sobald Achates die Insel sich selbst überließ, würde unweigerlich eine Invasion von wem auch immer erfolgen, daran bestanden kaum Zweifel.
Keen wußte am besten, wie wenig Bolitho sich geschont hatte. Er hatte zahllose Besuche an Land gemacht, auch beim ehemaligen Gouverneur Rivers, dem er die Rückkehr in sein Haus erlaubt hatte, wo er jetzt unter Arrest stand. Keens Einspruch dagegen war vergeblich gewesen.
Jetzt, gegen Ende August, war die Hitze unerträglich geworden. Trotzdem mußten sie jeden Tag, sogar zu jeder Stunde, darauf gefaßt sein, daß die Ausguckposten des Forts die Annäherung spanischer — oder französischer — Schiffe meldeten; Achates blieb deshalb Tag und Nacht see- und gefechtsklar.
Am Vormittag war Electra nach Antigua ausgelaufen, mit Depeschen für den Admiral, sollte er zurückgekehrt sein, und mit anderen, dringlicheren, für die Admiralität in London. Diese Schreibarbeit und eine Menge anderer Dinge hatten Bolitho bis spät in die Nacht an seinem Schreibtisch festgehalten, und trotzdem schien er nie zu ermüden oder sich über die Verzögerung und Quertreibereien durch die Inselbewohner zu ärgern.
Der Brief seiner Frau aus Falmouth gab ihm offenbar mehr Auftrieb, als hundert Siege es vermocht hätten.
Bolitho blickte von seinen Papieren auf, erleichtert darüber, daß Napier endlich mit seinen Ideen und Vorschlägen nach Antigua unterwegs war; wenn Sheaffe in der Admiralität sie schließlich zu lesen bekam, war er festgelegt. Ob richtig oder falsch, seine Entscheidung war getroffen. Und genau davor hatte er sich bisher gescheut. Nun war er froh, sogar begierig, mit einer Freiheit zu handeln, die er sich bisher nicht gestattet hatte.
«Rivers sagt, daß er sich nicht einmischen wird. Später sollen andere über sein Schicksal entscheiden. «Bolitho fielen die tiefen Falten in Keens Gesicht auf, und er fügte mitfühlend hinzu:»Ich weiß, daß Sie harte Tage hinter sich haben, Val.»
Keen zuckte mit den Schultern.»Mr. Quantock, der Master, Mr. Grace, der Zimmermann — alle sind sich ausnahmsweise einig: Wenn dieses Schiff vor der gründlichen Überholung in einer Werft in ein Gefecht verwickelt wird, muß es ernsthaften Schaden nehmen.»
Bolitho nickte.»Das ist mir klar. Außerdem sind wir wegen unserer Verluste unterbemannt.»
«Ohne eine Unterstützung durch andere Schiffe können wir uns kaum selbst verteidigen, Sir«, fuhr Keen fort.»Geschweige denn die ganze Insel.»
«Ich habe einen energischen Lagebericht verfaßt, Val.»
Bolitho beugte sich aus einem Heckfenster und holte tief Atem. Aber die Luft war draußen genauso schal und heiß. Er wünschte sich, auf See zu sein, selbst eine Flaute dort wäre erträglicher gewesen als dieses untätige Warten. Einzig der Gedanke an Belindas Brief, den er am Ende jedes arbeitsreichen Tages las, munterte ihn etwas auf. Eine Tochter — er konnte sich einfach nicht vorstellen, wie sie aussehen mochte. Belinda hatte von ihrer Liebe geschrieben, von ihren Hoffnungen, aber er konnte auch zwischen den Zeilen lesen. Offenbar war es eine schwere Geburt gewesen. Um so besser, wenn sie immer noch glaubte, daß er in diplomatischer, nicht in gefährlicher Mission unterwegs war.