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Irgendwo aus dem Halbdunkel kam ein schriller Aufschrei.

«Wer war das?»

«Larsen, Sir, der große Schwede.».

Tuson nickte. Er hatte dem Mann einen Arm amputiert. Der Schrei ließ eine Wendung zum Schlechteren vermuten. Vielleicht Wundbrand. In diesem Falle.

«Hebt ihn auf den Tisch«, befahl er knapp.

Tuson war wieder ruhig und Herr der Lage. Er wartete, bis die Gestalt auf dem Operationstisch ausgestreckt dalag. Also ein Schwede. Aber was zählte schon die Nationalität eines Matrosen?

«Na denn, Larsen.»

Bolitho stand neben Keen an Deck, als Vivid von ihrer Muring loswarf und langsam auf die Hafenausfahrt zukreuzte.

Er hob ein Teleskop und suchte das kleine Schiff vom Bug bis zum Heck ab, bis er Adam neben Tyrrells vierschrötiger Gestalt am Ruder stehen sah; er wirkte sehr schneidig in seiner Uniform.

Was ihn in Boston erwartete, würde ihm wehtun, aber nicht das Herz brechen. Bolitho wußte jetzt, daß er sich nicht einmischen durfte; er mußte riskieren, daß Adam sich gegen ihn wandte.

Keen schien seine Gedanken zu erraten.»Vielleicht trifft er die Kleine gar nicht, Sir«, sagte er tröstend.

Bolitho ließ das Glas sinken und die Brigantine damit wieder zu einem fernen kleinen Spielzeugschiff werden.

«Er wird schon dafür sorgen. Ich weiß genau, wie ihm zumute ist. Sehr genau.»

Vivid glitt hinter dem Vorland außer Sicht, nur ihr Toppsegel war noch zu erkennen. Dann, als sie auf den anderen Bug ging, verschwand auch dieses.

Keen hegte Bolitho gegenüber großen Respekt, aber er konnte einfach nicht verstehen, warum er gutes Geld verschwenden wollte, nur um Tyrrell zu dem Schiff zu verhelfen. Der sollte sich glücklich schätzen, daß er dem Strick entronnen war. Aber dann gewahrte er Bolithos traurigen Gesichtsausdruck und begriff, daß kein Dritter jemals die besondere Beziehung zwischen diesen beiden Männern durchschauen würde. Bolitho wandte der See den Rücken.

«Und wir müssen jetzt an die Verteidigung dieser Insel gehen, Val. «Er ballte die Faust.»Wenn ich doch nur ein paar Schiffe mehr hätte! Dann könnte ich auslaufen und sie mit geladenen Kanonen erwarten.»

Keen schwieg. Bolitho rechnete also fest mit einem Überfall. Der Friede von Amiens hatte hier draußen ja auch keinerlei Bedeutung, schon gar nicht für die Spanier. Nachdenklich starrte er zur glitzernden Kimm hinaus und überlegte, welch gefährliches Spiel Rivers getrieben hatte, als er Amerikaner und Spanier gegen England aufgestachelt hatte. Gefährlich vor allem für Achates, die nun dafür bezahlen mußte.

Aufmunternd schlug ihm Bolitho auf die Schulter.»Warum denn so grimmig, Val? Wir wollen doch dem Unvermeidlichen ins Gesicht sehen.»

Er schien so guter Laune zu sein, daß Keen seine Depression sofort abschüttelte.

«Womit möchten Sie beginnen, Sir?«fragte er.

Stimmungen waren ansteckend, das hatte Keen schon oft erlebt. Auch damals, als er in dem Gefecht beinahe ums Leben gekommen wäre, hatte man von einer Friedenszeit gesprochen.

«Wir beschaffen uns Pferde und besichtigen erst einmal die ganze Insel. Dabei vergleichen wir jede Landmarke mit Mr. Knockers Karte oder anderem Kartenmaterial, das wir hier auftreiben können. «Bo-litho deutete auf den Dunst, hinter dem sich der Gipfel des Vulkans verbarg.»Diese Insel ist ein fetter Brocken, Val. Und die hungrige Meute schließt schon den Kreis um uns.»

Die Besorgnis seines Flaggkapitäns war Bolitho nicht entgangen. Wenn schon Keen davor zurückschreckte, um San Felipe einen Krieg ohne Kriegserklärung zu führen, dann mußte es seiner Besatzung noch mehr widerstreben.

Den Ritt um die Insel brauchte Bolitho im Grunde nicht, er hatte die Stärken und Schwächen für eine Verteidigung von der Karte her im Kopf. Aber es war notwendig, daß er Keen und den anderen seinen

Widerstandswillen demonstrierte. Und seine Entschlossenheit, die Insel zu halten, bis sich eine günstigere Wendung ergab.

Seine Schenkelwunde juckte bei dem feuchtwarmen Wetter, und es verlangte ihn danach, sie zu reiben.

Warum bedrückte ihn die Aussicht auf eine Belagerung oder einen offenen Angriff? Sorgte er sich Belindas wegen oder weil der Ausgang der Schlacht ungewiß war?

Plötzlich sah er sich wieder in Sir Hayward Sheaffes stillem Dienstzimmer in London. Hier, zu Füßen der Festung und des erloschenen Vulkans, war es für ihn wie die Erinnerung an eine andere Welt. Trotzdem klangen ihm Sheaffes klare Worte immer noch in den Ohren:»Ihre Lordschaften benötigen für diese Aufgabe einen ebenso taktvollen wie tapferen Mann.»

Und dann dachte Bolitho an des kleinen Evans' Gesicht, als der namenlose Zweidecker in Flammen aufgegangen war; an den Schrecken und das Entsetzen in den toten Zügen des Trommlerbuben. Und er dachte an Duncan und die vielen anderen, die er gar nicht gekannt hatte.

Taktvoll konnte er später immer noch sein.

ХIII Ein Feiertag

Adam Bolitho stand in Jonathan Chases Bibliothek am Fenster und starrte hinaus auf die endlos heranrollenden, gischtgekrönten Brecher der Massachusetts Bay. Erst vor einer Stunde war er in Vivids Beiboot gelandet und von Chases erstauntem Agenten in Empfang genommen worden. Wie er bald merkte, hatte Vivids Rückkehr unter britischer Flagge in ganz Boston Aufsehen erregt.

Adam kam es vor, als träume er. Chase hatte ihn begrüßt, wirkte aber zurückhaltend und nahm den dicken Umschlag nur zögernd an, den Adam ihm von seinem Onkel überbrachte.

Er schauderte in der kühlen Herbstluft Neuenglands und dachte seltsam schuldbewußt an das warme San Felipe. Schlimm, daß ihm alles so unwirklich schien. Aber da stand er nun, und Chase hatte sich entschuldigt, um Bolithos Brief zu lesen; vorher hatte er noch wie beiläufig erwähnt, daß Robina sich mit ihrer Mutter in Boston aufhielt und vielleicht bald vorbeikommen würde.

Adam wandte sich um und ließ den Blick über die Gemälde und nautischen Antiquitäten des geschmackvollen Zimmers schweifen. Es war der richtige Rahmen für einen Mann wie Chase, den ehemaligen Seemann — und ehemaligen Feind — , der jetzt ganz hier verwurzelt war.

Ihre Zehn-Tages-Reise von San Felipe nach Boston war ganz anders verlaufen als die Hinfahrt, auf der er sich die Zeit im Gespräch mit Jethro Tyrrell so angenehm vertrieben hatte. Diesmal hatte er trotz der Enge an Bord kaum ein Wort mit Tyrrell wechseln können, höchstens über das Wetter und ihre Navigation.

Warum hatte sein Onkel angeboten, Vivid für Tyrrell zu erwerben, und weshalb sollte Chase sie verkaufen wollen? All das konnte er sich nicht erklären. Aber es scherte ihn auch wenig — jetzt, da er wieder in Boston war und Robina wiedersehen würde.

«Tut mir leid, daß ich Sie warten ließ.»

Chase war ein kräftig gebauter Mann, aber dennoch lautlos wie eine Katze wieder ins Zimmer gekommen.

Nun nahm er bedachtsam Platz und begann:»Ich habe den Brief Ihres Onkels gelesen und veranlaßt, daß der zweite Brief, den er beigelegt hatte, sofort zu Sam Fane in die Hauptstadt gebracht wird. «Nachdenklich musterte er den Leutnant.»Mich wundert nur, daß er Sie damit gesandt hat.»

Adam hob die Schultern; darüber hatte er sich noch keine Gedanken gemacht.

«Hm. Ihr Onkel versichert mir, daß er Politik verabscheut, dennoch scheint er sich ausgezeichnet darauf zu verstehen. «Ohne dies näher zu erläutern, fuhr Chase fort:»Wie Sie beim Einlaufen zweifellos bemerkten, haben die französischen Kriegsschiffe Boston verlassen. Gerüchte verbreiten sich eben mit Windeseile. Der französische Ad-miral schien jedenfalls nicht auf einer schnellen Rückgabe San Felipes durch die Briten zu bestehen, solange die Lage dort unten noch unklar ist.»

«Aber Frankreich und Spanien waren doch schon oft verbündet,

Sir.»

Zum ersten Mal lächelte Chase.»Frankreich würde Spanien gewiß als Bundesgenossen brauchen, wenn es wieder zum Krieg mit England käme. Falls es also über San Felipe wirklich einen Konflikt geben sollte, dann möchten die Franzosen keineswegs als die Schuldigen dastehen. Es käme ihnen sehr zupaß, wenn die britischen Schiffe sich diskret zurückziehen würden, nachdem sie alle Ansprüche Spaniens auf San Felipe tapfer zurückgewiesen haben. Dann — und erst dann — wird für den französischen Admiral der rechte Zeitpunkt sein, die Insel zu übernehmen und einen Gouverneur einzusetzen.»

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