Adam erwiderte:»Es scheint mir verwerflich, so mit Menschenleben zu spielen.»
Chase nickte.»Da mögen Sie recht haben, aber San Felipe ist ein hoher Einsatz. Im Krieg wie im Frieden beherrscht es einen wichtigen Schiffahrtsweg. Meine Regierung würde es lieber im Besitz eines befreundeten Landes sehen, am liebsten unter unserem eigenen Schutz. Und genau das hatte Sir Humphrey Rivers vorgeschlagen. Aber da Sie Vizeadmiral Bolithos Adjutant sind, wissen Sie das alles zweifellos. Ich merke, daß Sie diese Zusammenhänge genauso schnell durchschauen wie Ihr Onkel, also muß Ihnen auch klar sein, daß es Rivers trotz seiner Loyalitätsbezeugungen für König Georg vor allem um seinen eigenen Vorteil geht. Er brachte eine gefährliche Karte ins Spiel, als er das Schicksal der Insel mit Spanien erörterte oder — um genau zu sein — mit dem spanischen Befehlshaber in La Guaira. Geteilte Geheimnisse sind keine Geheimnisse mehr. «Chase seufzte tief auf.»Außerdem läßt sich ein Tiger nicht aufs Teilen ein.»
Chase war sich jetzt Adams voller Aufmerksamkeit sicher. Er fuhr fort:»Ich kann offen mit Ihnen sprechen, weil keiner von uns beiden auf diese Affäre entscheidenden Einfluß hat. Das spanische Interesse blieb mir nur deshalb nicht verborgen, weil ich sowohl mit dem Befehlshaber in La Guaira wie auch mit seinem Nachbarn in Caracas Geschäftsbeziehungen unterhalte. Beide waren schon immer der Ansicht, daß ihre Regierung den Anschluß an die rapide Ausweitung ihres Imperiums in Südamerika verloren hat. Woche für Woche bringen die Sklavenschiffe mehr Arbeiter für die Bergwerke und Plantagen; unterwegs begegnen sie wahrscheinlich den bis ans Schanzkleid mit Gold beladenen Galeonen, die auf dem Weg nach Spanien sind. In der Vergangenheit hat San Felipe ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Dem wollen sie in Zukunft einen Riegel vorschieben.»
Adam sah im Geiste plötzlich Achates im Hafen von San Felipe vor sich, halb abgetakelt für Reparaturen, die Mannschaft überfordert mit Arbeiten, die das Ge schick erfahrener Werfthandwerker verlangt hätten.
«Dieser Zweidecker.. «rief er aus.
Chase lächelte grimmig.»Den Sie versenkt haben? O ja, Leutnant, darüber haben mir meine Informanten alles berichtet. Das war die Intrepido, frisch überholt in Cadiz und stark genug bewaffnet, um es mit jedem Narren aufzunehmen, der ihr in die Quere kommen wollte. Ein Freibeuter, ein gekaufter Abenteurer — nennen Sie ihn, wie Sie wollen. Aber ihr Kommandant hatte Anweisung, jeden Widerstand zu brechen und die Insel in Besitz zu nehmen. Später sollte ein beamteter Gouverneur installiert und die spanische Flagge gehißt werden, wobei weder von den Briten noch von den Franzosen nennenswerte Gegenmaßnahmen erwartet wurden. Ihrer Regierung wäre es peinlich gewesen, wegen dieser aussichtslosen Sache noch mehr Zeit und Menschenleben zu opfern, und auch die Franzosen würden sich nicht dagegen sperren, weil sie sich damit Spanien für künftige Zwecke zum Schuldner machen konnten. «Er lehnte sich bequem in seinem Stuhl zurück und schloß:»Erklärt das nicht alles?»
Adam nickte verwirrt; doch die scheinbare Stichhaltigkeit dieser grausam simplen Überlegungen ekelte ihn an.
Chase fuhr fort:»Aber nichts ist so einfach, wie es scheint. Die Spanier dachten schnell, raffiniert und skrupellos, doch sie machten die Rechnung ohne Ihren dickköpfigen Onkel. Trotzdem ist er zu bedauern. Er steht als einziger zwischen den Spaniern und ihrer Gier nach San Felipe. Wie ich annehme, war all dies schon in England bekannt, bevor man ihn ausschickte. Es ist nicht als Beleidigung gedacht, wenn ich sage, daß die Briten bei ihren Verhandlungen ziemlich hinterhältig vorgehen können. Für manche Leute zählt Selbstachtung eben nicht, wenn es um Dinge geht, die sich auf der anderen Seite der Welt abspielen. Habe ich recht?»
«Ich kann es nicht glauben, Sir. Mein Onkel wird ihnen die Stirn bieten.»
Chase wirkte plötzlich besorgt.»Gewiß, davon bin ich überzeugt. Aber was kann er erreichen, wenn die Bevölkerung der Insel nicht hinter ihm steht? Auf verlorenem Posten kämpfen?»
Adam ballte die Fäuste so fest, daß sich die Nägel schmerzhaft in sein Fleisch gruben.»Genau das!»
Chase wandte den Blick ab, als könne er Adams Verzweiflung nicht mitansehen.»Dann helfe ihm Gott.»
In diesem Augenblick schwang die Tür auf, und Adam hörte Robinas aufgeregte Stimme fragen:»Wo hast du ihn versteckt, Onkel? Und was soll das ganze Gerede über einen Verkauf der Vivid? Sie ist doch eines deiner Lieblingsschiffe!»
Sie fuhr herum, erkannte Adam neben dem Fenster und schrie in freudiger Überraschung leise auf.
«Da bist du ja!«Sie lief auf ihn zu und küßte ihn leicht auf die Wange.»Jetzt wird alles gut!»
Adam wagte nicht, sie zu berühren oder zu umarmen, denn er sah über ihrer Schulter Chases umwölkte Miene.
Ernst sagte ihr Onkel: «Vivid war schon immer etwas zu klein für meine Zwecke. Tyrrell hat sie mehr als verdient.»
Er ließ Adam nicht aus den Augen und versäumte es, den von Bo-litho entrichteten Kaufpreis zu erwähnen. Langsam schritt er zur Tür, den Blick immer noch auf das junge Paar am Fenster gerichtet.
Er sah keine Möglichkeit, es ihnen schonend beizubringen; deshalb war sein Ton fast grob, als er fortfuhr: «Vivid muß noch vor Anbruch der Nacht den Anker lichten. Unser Leutnant hier hat seinem Onkel wichtige Nachrichten zu überbringen. Ist's nicht so?»
Langsam nickte Adam; er verabscheute Chase und bewunderte ihn doch.
Wie lange sie so dastanden, konnte er später nicht sagen. Er preßte Robina an sich, murmelte Unverständliches in ihr Haar, während sie seine Schultern umklammert hielt, als wehre sie sich mit Gewalt gegen das Unbegreifliche.
Schließlich lehnte sie sich in seinen Armen zurück und starrte zu ihm auf.»Warum?«fragte sie.»Was ist daran denn so wichtig? Wir sind endlich wieder zusammen, mehr wollten wir doch nicht. Also warum mußt du schon wieder fort?»
Adam wischte eine blonde Haarsträhne aus ihren Augen und sah seine Hoffnung, sein Glück, verrinnen wie Sand im Stundenglas.
«Ich muß zurück nach San Felipe, Robina«, sagte er.»Dein Onkel kennt den Grund. Er kann es dir besser erklären als ich.»
In ihren Augen blitzte plötzlich Zorn auf.»Was geht das alles dich an? Du bist doch bloß Leutnant, weshalb sollte er dich mit hineinziehen?«Sie versuchte, sich ihm zu entwinden, aber Adam hielt sie fest.
«Es hat schwere Kämpfe gegeben. Mein Schiff hat den Gegner versenkt, wurde dabei aber selbst stark beschädigt. «Er spürte, wie alle Kraft sie verließ, als sie die Bedeutung seiner Worte erfaßte.»Mein Onkel hat herausgefunden, welche Gefahr der Insel drohte und wer sie heraufbeschwor. Er hat mich mit Depeschen zu deinem Onkel nach Boston gesandt, damit diese Informationen umgehend an euren Präsidenten weitergeleitet werden.»
Ihre Augen hingen an seinem Gesicht.»Aber weshalb wird mein Onkel da mit hineingezogen, meine Familie?»
Resigniert hob Adam die Schultern.»Weil er schon damit befaßt war. Er kannte seit langem die Absichten Spaniens, das hat er gerade indirekt zugegeben. San Felipe unter französischer oder britischer Flagge zu wissen, würde deinem Land offenbar wenig behagen. Aber da mein Onkel all diese widerstreitenden Interessen jetzt ans Licht gebracht hat, wird sich keine der Parteien in seinen Konflikt mit den Spaniern einmischen. «Adam konnte seine Verbitterung nicht unterdrücken.»Also steht mein Onkel ganz allein da, wenn er seine Pflicht tut.»
Sie machte einen Schritt von ihm weg und sagte, ohne ihn anzusehen:»Dann planst du also nicht mehr, dir hier bei uns ein neues Leben aufzubauen?»
«Aber so ist es doch nicht! Ich liebe dich von ganzem Herzen.«»Und trotzdem schlägst du mir das ab?»
Adam trat auf sie zu, doch sie wich zwei Schritte vor ihm zurück.»Es ist meine Pflicht…»
Da hob sie den Blick zu ihm, in ihren Augen funkelten Tränen.»Pflicht! Was kümmert mich das! Wir sind beide jung, so jung wie dieses Land, weshalb willst du uns also unglücklich machen — für etwas ganz Sinnloses?»