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Gewaltsam wandte Bolitho sich ab und musterte sein kärgliches Häuflein. Keen und die anderen konnten sich um die Royal James kümmern. Er hatte die schnittige Takelage einer Fregatte entdeckt, die gerade draußen beidrehte, weil ihre Beute den Schutz der Festungsbatterie erreicht hatte.

«Die Boote sind weg, Sir«, sagte Allday.

Bolitho starrte zur kleinen Insel hinüber. Es stimmte, die Fischerboote waren alle verschwunden. Das mochte die simple Erklärung sein: Die Mönche oder Missionare waren zum Fischen ausgelaufen, denn schließlich ging der Lebensunterhalt dem Gebet vor.

«Sehen Sie dort, Sir!»

Bei Alldays Aufschrei fuhr Bolitho zu der vorgelagerten Riffkette herum. Die Felsen waren nicht mehr leer und verlassen, sondern voll kletternder, geduckt rennender Gestalten; Sonnenlicht reflektierte von Säbelschneiden und Bajonetten.

«Soldaten!«Keuchend vor Aufregung hob Allday seine Pistole.»Das sind ja hundert und mehr!»

Einige Schüsse fielen; sie klangen weit entfernt und ungefährlich, bis die Kugeln über ihre Köpfe pfiffen oder in den harten Sand klatschten.

«In Deckung!»

Bolitho sah den ausgeschickten Mann mit zwei Seesoldaten aus dem Wachboot unten am Ufer entlangrennen. Einer fiel sofort, die anderen verschwanden aus seinem Blickfeld.

Nun gab es eine gedämpfte Explosion, fühlbar eher als Druckwelle denn als Schall. Als ob alle Luft aus den Lungen gesaugt würde.

Bolitho rollte sieh auf die Seite und spähte zu der Stelle hinüber, wo sie die Barkasse gelassen hatten; da sah er, wie die Royal James sich aufbäumte. In ihrer Bordwand flogen die Stückpforten auf, aber statt der Kanonenrohre schossen Flammenzungen heraus, die sofort nach oben leckten und Wanten, Spieren und Segel mit entsetzlicher Schnelligkeit verzehrten. Das nachgeschleppte Boot war losgeworfen worden und wurde jetzt zur Hafeneinfahrt zurückgerudert.»Ein Brander!«flüsterte Allday.

Bolitho sah den noch wachsenden Feuerschein sich in Alldays Augen spiegeln und konnte sogar die Hitze fühlen, die wie aus einer offenen Esse zu ihnen herübergeweht wurde. Der Wind stand so, daß er das aufgegebene Schiff direkt in den Hafen trieb. Geradewegs auf die verankerte Achates zu.

Wieder peitschten Schüsse über die Landzunge, und Bolitho hörte schon das Geschrei der anstürmenden Soldaten.

Mit Achates würden sie alle Hoffnung und jeden Schutz verlieren. Und die Festungsbatterie hatte ihrem Mörder noch Deckung geboten.

Mit wilden Augen starrte Allday ihn an.»Kämpfen wir, Sir?»

Bolitho fiel etwas zurück. Sollte das schon alles gewesen sein? Ein sinnloser Tod auf dieser gottverlassenen Insel? Dann fiel ihm wieder der Trommler ein und der Ausdruck seines toten Gesichts, ehe er es zugedeckt hatte.

Er richtete sich auf und wog das schwere Entermesser in der Hand.»Ja, wir kämpfen!»

Links und rechts von ihm erhob sich die Bootscrew und schwenkte ihre Entermesser. Bolitho zielte, taub gegen das furchtbare Prasseln der Flammen, und feuerte in die anrückende Reihe Soldaten. Zum Nachladen blieb keine Zeit. Für nichts blieb mehr Zeit.

Er machte einen Ausfall über das lose Geröll und hackte den Säbel eines Gegners mit solcher Wucht beiseite, daß der Mann den Abhang hinunterrollte.

Stahl schlug auf Stahl, ein paar vereinzelte Schüsse fielen, aber ihre Gegenwehr war erbärmlich schwach. Bolitho spürte, wie er von den Kämpfenden bedrängt wurde, sah wilde Augen und gebleckte Zähne, fühlte Haß und Verzweiflung, als seine kleine Gruppe von der spanischen Übermacht zurückgedrängt wurde. Noch einmal hieb er mit aller Kraft zu, spaltete das Gesicht eines Gegners vom Ohr bis zum

Kinn, hörte sein Entermesser auf Knochen knirschen, als er die Dek-kung eines zweiten durchbrach und seine Brust durchbohrte.

Plötzlich ein Keuchen neben ihm — zu seinem Entsetzen brach All-day im Handgemenge zusammen und entschwand seinen Blicken.

«Allday!»

Bolitho stieß einen Soldaten beiseite, um seinen Bootsführer zu erreichen. Ihr Widerstand war sinnlos geworden, eine leere Geste, dienlich nur seinem Stolz.

Bolitho senkte die Waffe.»Genug!»

Zwischen den unschlüssig Zögernden fiel er auf die Knie und versuchte, Allday auf den Rücken zu drehen. Dabei rechnete er jede Sekunde mit dem Todesstoß, erwartete den weißglühenden Schmerz der eindringenden Klinge, aber selbst das war ihm gleichgültig.

Doch die Soldaten verharrten reglos, ob aus Verblüffung über die erbitterte kurze Gegenwehr oder aus Respekt vor Bolithos hohem Rang, ließ sich nicht sagen.

Bolitho beugte sich so über Allday, daß er ihm Schatten spendete. Er gewahrte Blut auf seiner Brust, viel zu viel Blut.

Verzweifelt flüsterte er:»Nur ruhig, alter Freund. Du hast nichts mehr zu befürchten, bis.»

Allday öffnete die Augen und sah sekundenlang stumm zu ihm auf. Dann krächzte er:»Es tut weh, Sir. Höllisch weh. Diesmal haben sie mich umgebracht, die Hunde.»

Ein Matrose ließ sich neben ihnen zu Boden fallen.»Sir!«keuchte er.»Die Spanier rennen davon!»

Bolitho blickte auf und sah die fremden Soldaten sich laufend oder hinkend zu den Felsen zurückziehen, wo sie ihre Boote gelassen hatten.

Der Grund dafür wurde bald sichtbar: eine Reihe Kavallerie, die unter der Führung Hauptmann Masters' von der Inselmiliz mit gezogenen Säbeln über den Bergrücken galoppiert kam — eine lautlose Attak-ke, die deshalb um so bedrohlicher wirkte.

Masters zügelte sein Pferd und sprang ab, in seinem Gesicht stand ungläubiger Schrecken.»Wir haben gesehen, wie Sie sie aufzuhalten versuchten«, brach es aus ihm hervor,»da beschlossen ein paar von uns, sie abzufangen.»

Bolitho sah ihn an, gewahrte aber nur Masters dunkle Gestalt und dahinter die großen Rauchschwaden, die von dem Inferno im Hafen aufstiegen.»Sie kommen zu spät!»

Er entwand das Entermesser Alldays schlaffer Hand und warf es den Fliehenden nach. Da spürte er einen Griff ums Handgelenk und blickte hinab in Alldays schmerzverdunkelte Augen.

«Geben Sie nicht auf, Sir«, murmelte sein Bootsführer.»Wir schlagen die Kerle, verlassen Sie sich drauf.»

Schwere Stiefel stapften durch den Sand heran, mehr Rotröcke umschlossen sie zu beiden Seiten.

Bolitho sagte:»Hebt ihn vorsichtig auf, Leute.»

Er sah den vier Soldaten nach, die Allday zur Barkasse hinuntertrugen. Dabei hörte er in der Ferne weitere Explosionen und Geschrei aus allen Richtungen. Er wurde gebraucht. Zum Trauern war jetzt keine Zeit. Wie oft hatte er das schon gehört…

Trotzdem eilte er den Soldaten nach und ergriff noch einmal All-days Arm.

«Laß mich nicht allein, Allday. Ich brauche dich.»

Alldays Augen blieben geschlossen, aber über sein Gesicht glitt der Schatten eines Lächelns; dann wurde er in die Barkasse gehoben.

Als Bolitho über den Strand schritt und seine Goldepauletten in der Sonne funkelten, brachen einige Milizsoldaten in Hochrufe aus.

Ein Mann der Bootscrew, der den verwundeten rechten Arm ruhiggestellt im Hemd trug, blieb stehen und fuhr sie böse an:»Jetzt jubelt ihr wohl, ihr Lumpen, was? Weil ihr noch einmal davongekommen seid!«Verächtlich spuckte er vor ihre Füße und deutete dann mit dem Kopf auf Bolitho.»Aber der dort ist mehr wert als ihr und die ganze verdammte Insel zusammen!»

Bolitho ging durchs Buschwerk davon, das an einigen Stellen schon aufflammte, entzündet vom Funkenflug des Branders.

Jeden Augenblick erwartete er die zweite Angriffswelle. Und Keen benötigte bestimmt dringend seine Hilfe. Aber all das schien ihm so unwirklich. Ihn erfüllte nur ein Gedanke: daß Allday nicht sterben durfte. Nicht so sinnlos. Er war knorrig und stark wie ein Eichbaum — das konnte doch nicht sein Ende sein!

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