Bolithos Mund wurde plötzlich trocken, als er hinter den Wipfeln einer Baumreihe am Ufer eine Bewegung entdeckte: wie eine Schlange, die rot und gelb im Sonnenlicht leuchtete. Es war der Toppwimpel eines großen Schiffes, das, hinter den Bäumen versteckt, auf dem unsichtbaren Flüßchen langsam dem offenen Wasser zustrebte.
Dann schob sich ihr hochaufragender Bugspriet ins Freie, gefolgt von der golden glänzenden Galionsfigur, der Back und dem noch an seiner Rah aufgetuchten Vorbramsegel; aber die Breitfock war gesetzt und killte leicht, als das Schiff ins gleißende Licht hinausglitt.
Nur noch wenige Minuten, und es wäre unbemerkt geblieben. Wahrscheinlich hatten sie in ihrem Flußversteck den Atem angehalten, als Achates draußen vorbeisegelte, hatten über diese dilettantische Suchaktion gelacht. Unter seinen Rockschößen ballte Bolitho die Fäuste. Das Lachen wollte er ihnen bald austreiben.
Der Kutter war jetzt nur noch eine Kabellänge entfernt, und Keen befahl:»Klar bei Wurfanker! Wir haben keine Zeit, ihn an Bord zu nehmen.»
Gewaltsam mußte er den Blick von dem anderen Schiff losreißen, das seine Deckung jetzt verlassen hatte und im Nähergleiten immer größer wurde, bis es das Ufer ganz zu verdecken schien.
«Hol mich der Teufel, aber das ist sie wirklich!»
Bolitho zog den alten Säbel probeweise zwei Zoll aus der Scheide und stieß ihn wieder zurück.
«Endlich, Kapitän Keen, habe ich Sie überzeugt.»
Mit viel Geschrei wurden die Bootsgasten aus dem Kutter über das Schanzkleid gehievt. Dann legte sich Achates unter dem Winddruck etwas stärker über und schob das aufgegebene Beiboot wie ein Stück Treibholz beiseite. Immer noch stand Tyrrell an der Pinne, ihm zu Füßen lag als einziger Begleiter ein toter Seemann.
Bolitho rief:»Werft ihm eine Leine zu! Ich lasse ihn nicht zurück!»
Irgend etwas sagte ihm, daß Tyrrell im Kutter bleiben und sich mit der Strömung abtreiben lassen wollte. Absichtlich hatte er Achates in die Irre geführt, von einer falschen Spur zur anderen, und zum Schluß hatte er sogar vorgeschlagen, daß die Boote eine Bucht absuchen sollten, die dicht neben dem wirklichen Versteck des Spaniers lag. Niemand hätte jemals die Wahrheit erfahren. Und doch hatte ihn etwas im letzten Augenblick anderen Sinnes werden lassen.
Nun war er entlarvt und hatte noch Glück, wenn er für seinen Verrat nicht mit dem Leben bezahlen mußte.
Bolitho sah eine Talje über dem treibenden Boot schwingen, bemerkte Tyrrells furchtsames Zögern, ehe er schließlich das Ende ergriff und zweimal um die Drehbrasse schlang.
Keen wartete noch ab, bis Tyrrell und die Drehbrasse von den an der Pforte wartenden Helfern gepackt wurden, dann gab er seine Befehle und hetzte die Mannschaften in die Masten, wo sie die Brams egel setzten, um den auffrischenden Wind voll zu nutzen.
Bolitho spürte ein leichtes Beben unter seinen Füßen, hörte Blöcke klappern und Wanten knirschen, als Achates auf den steigenden Winddruck reagierte.
Keen starrte ihn an.»Was hatte dieser verdammte Narr eigentlich vor?«fragte er.»Verspricht er sich etwa. «Aber die Worte wurden ihm durch das Krachen einer Breitseite vom Mund gerissen.
Schon ruckten in der Bordwand des anderen Schiffes die Rohre wieder binnenbords, während durch Achates Takelage plötzlich ein tödlicher Eisenhagel fuhr. In den prallen Segeln klafften auf einmal
Löcher, und Bolitho spürte die schon vertraute Erschütterung unter seinen Sohlen, die schwere Treffer im Rumpf anzeigte.
Doch Knockers Steuerleute fingen sich wieder, und der Bugspriet begann sich, langsam zuerst und dann immer zielbewußter, zum Land hin zu drehen. Wie mit unsichtbarer Hand half die frische Brise nach. Aber das gegnerische Schiff folgte Achates' Manöver und profitierte genauso vom Wind.
Hätte Bolitho Keen in die Mona-Passage beordert, angespornt durch das nun günstigere Wetter, wären sie erst viel später nach San Felipe zurückgekehrt. Das Schiff, mit dem sie nun fast Bug an Bug lagen, während es sich von den Untiefen freikämpfte, wäre ihnen um Tage zuvorgekommen. Die kleine Brigg Electra hätte ihm gewiß bis zum bitteren Ende Widerstand geleistet, aber am Schicksal der Insel nichts mehr ändern können.
Keen hob den Arm.»Langsam, Mr. Knocker! Aufkommen!»
Noch drehte Achates weiter, ihre Segel begannen sich auf dem neuen Bug zu füllen, während die Seeleute mit aller Kraft an den Brassen hievten, um die herumschwingenden Rahen richtig zu trimmen. Aber der Master grunzte etwas über seine Schulter, und die Rudergasten bremsten die wirbelnden Speichen des großen Rades ab.
«Recht so!»
«West zu Nord liegt an, Sir!»
Bolitho befeuchtete sich die Lippen. Die Stückpforten des Feindes lagen jetzt in zu spitzem Winkel vor ihnen, als daß er sie unter Feuer nehmen konnte. Er hatte seinen Eröffnungszug zu früh gemacht. Aber trotzdem, die Schiffsführung drüben verstand ihr Handwerk, die Wende klappte, und fast alle Segel standen wieder voll.
«Steuerbordbatterie!«In einer einzigen, zischenden Bewegung zog Keen seinen Säbel.»Feuer in der Aufwärtsbewegung!»
Auf beiden Decks spähten die Stückmeister durch ihre Luken, die Abrißleinen straff gespannt in der Faust, und warteten darauf, daß das Ziel vor ihre Mündungen glitt.
Dann hieb die Schneide blitzend nach unten, ein sekundenlanger Donnerschlag brach los, und die Rohre der Achtzehn- und Vierund-zwanzigpfünder fuhren, von ihren Taljen abgefangen, wieder binnenbords.
Rauch trieb nach vorn davon und erlaubte einen Blick auf die Takelage des Feindes, die im Kugelhagel einen Höllentanz aufzuführen schien. An der Wasserlinie stiegen hohe Fontänen auf, wo andere Kugeln den Rumpf getroffen hatten. Doch obwohl der Fremde sein Manöver noch nicht ganz beendet hatte, erwiderte er sofort das Feuer.
Wiede r spürte Bolitho dieses schreckliche Aufbäumen des Decks und hörte einen schrillen Aufschrei am mittleren Luk.
Die Stückmannschaften arbeiteten wie die Wilden mit Schwämmen, Ladestöcken und Kartuschen, bis sie endlich die schwarz schimmernden Eisenkugeln in die Rohre gerammt hatten. Die Crews wetteiferten miteinander, welche ihre Kanone als erste feuerbereit melden konnte. Sowie alle Stückmeister mit erhobenen Händen dastanden, erklang wieder Keens heiserer Schrei:»Breitseite — Feuer!»
Diesmal gab es keine Fehlschüsse. Bei einer Distanz von knapp zwei Kabellängen konnten sie den Rumpf des Feindes unter den Treffern erzittern sehen. Das Seitendeck barst und riß einen Teil der Be-santakelage in die Tiefe.
Aber auch drüben hatten sie inzwischen nachgeladen, und die viel schwereren Zweiunddreißigpfünder reckten schon wieder ihre Rüssel aus den Stückpforten. Abermals schossen die Feuerzungen aus der Bordwand, und ein schreckliches Krachen und Rumpeln zeugte davon, daß viele Kugeln auf Achates ihr Ziel gefunden hatten.
Das Gesicht eine blutige Maske, wurde ein Kanonier von seiner Lafette weggerissen. Aber Bolitho sah auch, daß Midshipman Evans steif und starr dastand und das andere Schiff nicht aus den Augen ließ. Wenn ihn das Schlachtgetöse erschreckte, so merkte man es ihm nicht an. Bolitho begriff, wie der Feind in den Augen des Jungen aussehen mußte: der Mörder seines ersten Schiffes, das er brennend und zerschmettert in die Tiefe geschickt hatte, während Duncan neben ihm verblutete.
Bolitho rief:»Bewegen Sie sich, Mr. Evans!«Und als der Junge ihm einen verständnislosen Blick zuwarf:»Auch wenn Sie klein sind, geben Sie doch ein gutes Ziel ab!»
Über Evans' Gesicht glitt das Gespenst eines Lächelns, dann wandte er sich um und ging zu dem gefallenen Kanonier.
Wieder rollten die Kanonen im Rückstoß nach hinten, Explosionen erschütterten die Luft, keuchend und hustend rangen die Männer im
Pulverrauch nach Atem, während ihnen noch die Splitter vom letzten Beschuß um die Ohren flogen.
Hallowes, der Vierte Offizier, schritt hinter der vorderen Batterie auf und ab; den Degen auf der Schulter, beobachtete er seine Abteilung und gab in schneller Folge Kommandos.