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«Haben Sie ein Teleskop, Sir Humphrey?»

Nur mit Mühe zwang er sich zur Ruhe, obwohl es ihn mit allen Fasern seines Körpers danach verlangte, gegen dieses vermaledeite Tor anzurennen und es mit bloßen Fäusten zu zertrümmern.

Rivers hatte bereits ein Glas auf das bewegungslose Schiff gerichtet. Daß Achates so ruhig dalag, verstärkte die Drohung noch. Alle Segel waren ordentlich aufgelacht, über dem schwarzen, hellbraun abgesetzten Rumpf rührte sich keine Menschenseele.

Bolitho fuhr fort:»Im Krähennest des Großmasts sehen Sie einen Mann, einen Leutnant, um genau zu sein. Auch er hat ein Teleskop, Sir Humphrey, aber es ist auf Ihr Haus, Ihren Besitz gerichtet: unser-Einschlagbeobachter.»

«Sie spielen ja nur um Zeit«, sagte Rivers.

«Und danach kommt die Stadt dran, Sir Humphrey, bis dort kein Stein mehr auf dem anderen ist.»

Als die Explosion kam, wirkte sie ohrenbetäubend laut, denn das Land warf das Echo der Breitseite zurück und ließ es über die Bucht rollen, als hätte die Festungsbatterie schon das Feuer eröffnet.

Bolitho wandte sich um und sah Rauch von der abgewandten Seite der Achates aufsteigen und zum Uferkai treiben, wo sich eben noch die Schaulustigen zusammengedrängt hatten, um Zeugen des ungleichen Gefechts zu werden.

An Bord mußten Keens Offiziere jetzt neue Anweisungen an die Gangspillwachen geben, damit der Rumpf noch besser auf das Ziel ausgerichtet werden konnte.

Bolitho sah auch die aufgerissenen Planken in Achates' Bordwand, wo die erste Kugel getroffen hatte. Doch das war nichts im Vergleich zu dem Schaden, den glühende Kugeln anrichten mußten.

Ein schmaler Wimpel stieg schneidig zur Großrahnock auf und flatterte in der leichten Brise.

Bolitho informierte seinen Gegner:»Die Batterie ist feuerbereit für die nächste Breitseite. Nun hängt es von Ihnen ab.»

Hinter ihm murmelte Christy:»Allmächtiger!»

Und Allday meldete:»Die Kavallerie rückt an, Sir.»

Bolitho sah die Schwadron aus der Stadt galoppieren, auf dem Weg, der zu ihnen heraufführte. Aber sie ritt ungeordnet, wahrscheinlich hatten die Pferde bei den überraschenden Kanonenschüssen gescheut. Die Reiter mochten Söldner, einheimische Pflanzer oder Milizionäre sein, darauf kam es nicht an. Doch wenn sie Bolithos Landungstrupp unten auf der Straße überwältigten, mußte das Glück sich gegen ihn wenden.

Ein kurzes Hornsignal, dann sah Bolitho die geschlossenen Reihen seiner Rotröcke aus dem Gebüsch neben der Straße treten, wo sie sich versteckt gehalten und auf den entscheidenden Augenblick vorbereitet hatten.

Sonnenlicht reflektierte von den aufgepflanzten Bajonetten. Die Pferde der Gegner galoppierten jetzt schneller, ihre Hufe warfen Staubwolken auf, die in breiter Front über die Straße zogen.

Eine erste, unregelmäßige Salve fiel, und Bolitho durchfuhr es kalt, als er drei der winzigen roten Gestalten auf dem Weg zusammenbrechen sah.

Es schien endlos zu dauern, bis sich die erste Reihe der Marinesoldaten neben ihren toten Kameraden auf ein Knie niedergelassen hatte, während die hintere Reihe über ihren Köpfen die Gewehre anlegte. Erneut fielen Schüsse, und diesmal sank ein kleiner Trommelbube in den Staub.

«Jesus«, keuchte Allday,»warum schießen sie nicht endlich?»

Aber da fuhr Dewars Säbel schon blitzend nach unten, und die Salve der Briten krachte wie ein einziger überlauter Schuß.

Pferde und Reiter stürzten wirr durcheinander, und als der Pulverdampf sich hob, standen die roten Reihen unerschütterlich an ihrem Platz. Die überlebenden Reiter hatten ihre Pferde herumgerissen und galoppierten zur Stadt zurück, Tote und Verwundete sich selbst überlassend.

Erregt meldete Christy:»Das Tor geht auf, Sir!»

Es war vorüber. Erst zu zweit und zu dritt, dann in ganzen Gruppen, stolperte die Fortbesatzung ins Sonnenlicht und warf im Laufen ihre Waffen weg.

Als letzter erschien Rivers, schwankend wie ein Betrunkener. Doch als er sich an Bolitho wandte, war seine Stimme fest und klar.»Dafür sollen Sie mir in der Hölle schmoren!«Wilden Blicks starrte er zu dem üppig begrünten Hang oberhalb der Stadt hinüber.»Sie haben auf mein Haus, meine Familie schießen lassen, ohne alle Skrupel.»

Bolitho unterbrach ihn scharf.»Durch Ihre Schuld habe ich heute gute Männer verloren. «Mühsam beherrschte er seinen Zorn.»Und warum mußten sie sterben? Weil Sie Ihren Ehrgeiz und Ihre Habgier nicht zügeln wollten. «Er wandte sich ab, weil er die Kontrolle über sich zu verlieren fürchtete.»Aber regen Sie sich nicht auf, Sir Hum-phrey. Während Sie sich anschickten, ein Schiff Ihres Königs in Brand zu schießen und jeden Mann an Bord zu ermorden, war Kapitän Keen so rücksichtsvoll, seine Kanonen nur mit Pulver zu laden. Rauch hat Sie besiegt, nichts weiter.»

Es hätte ein Augenblick des Triumphes sein sollen, aber Bolitho fühlte sich nur angeekelt.

Er wandte sich an Allday.»Wir kehren an Bord zurück. Dewars Soldaten sind hier Herr der Lage.»

Allday deutete auf den verstörten Rivers.»Und was wird aus ihm?«-»Laßt ihn gut bewachen, zu seiner eigenen Sicherheit.»

Als zwei Seeleute Rivers an den Armen packten und zum Festungstor abführten, fügte Bolitho wie zu sich selbst hinzu:»Für den Sieger ist Rache immer wohlfeil. «Dann schlug er dem vierschrötigen Bootsmann auf die Schulter und schloß:»Aber wir gehören nicht hierher, sondern dort hinaus, auf die See.»

Allday stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Diesmal war es gerade noch gut gegangen; ihn schauderte trotz der warmen Morgensonne. Aber allmählich wurde er zu alt für solche Scherze. Das nächste Mal waren die jungen Spunde an der Reihe.

Nach diesem Fazit besserte sich seine Laune, und er beschleunigte den Schritt.

Die Matrosen des Landungstrupps säumten den Weg und öffneten grinsend eine Gasse für ihren Admiral.

Bolitho erriet ihre Gedanken: Einer von uns. Weil er genauso schmutzig und abgerissen daherkam wie sie, weil er diesen Bluff mit ihnen gemeinsam durchgestanden hatte, obwohl sie um ein Haar verloren hätten.

Und jetzt gab es eine Unmenge zu tun. Dewars Seesoldaten mußten das Fort besetzen, die Einheimischen mußten versammelt und beruhigt werden. Er hatte Depeschen zu verfassen und Erklärungen zu formulieren.

Irgendwo wieherte schrill ein verletztes Pferd, es klang wie der Schrei einer gemarterten Frau. Zum Glück brachte ein Gnadenschuß das Tier zum Verstummen.

Bolitho verhielt den Schritt an der Stelle, wo Dewar die Kavallerie zurückgeschlagen hatte. Der kleine Trommler lag auf dem Rücken, die blauen Augen offen, die Züge in einer schmerzlichen Grimasse erstarrt.

Bolitho nahm sein Taschentuch und bedeckte damit das Gesicht des Toten.»Zu jung für dieses Geschäft«, hörte Allday ihn murmeln.

Einer von uns? Die Worte schienen ihn jetzt zu verhöhnen, als er durch die Reihen der Seeleute schritt, die ihn mit fröhlichem Nicken begrüßten, obwohl sie alle darauf gefaßt gewesen waren, diesen Morgen nicht mehr zu erleben. Nein, er führte, und sie folgten. Das traf eher zu, und so wollte es auch die Flagge, die drüben im Fockmasttopp von Achates wehte.

Vor den Felsen wartete die Barkasse, um ihn an Bord zu bringen. Da straffte er sich und ging hinunter, ohne nach links oder rechts zu blicken.

Bolitho saß am Schreibtisch in seiner Tageskajüte und nahm seufzend ein weiteres Schriftstück entgegen, das Yovell ihm zur Unterschrift vorlegte.

Furcht und Feuer des nächtlichen Angriffs schienen weit hinter ihnen zu liegen, obwohl erst eine knappe Woche vergangen war, seit er Rivers vor seiner Festung die Stirn geboten hatte. Glücklicherweise hatten sie nur wenige Tote zu beklagen, die alle auf dem Bergfriedhof der Insel begraben worden waren.

Ungeduldig erhob sich Bolitho, trat zu den Heckfenstern und blickte auf die bleiern daliegende Reede hinaus. Das hölzerne Süll verbrannte ihm fast die Handflächen, denn die Sonne hatte ihren Höchststand über dem erloschenen Vulkan erreicht.

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