Mit einer Gelassenheit, die nur äußerlich war, musterte Herrick den Jungen.»Was amüsiert Sie so, Mr. Stirling?»
Stirlings Lächeln verblaßte unter Grubbs drohendem Blick, der ihm die Störung verübelte.
Aber dann faßte er sich ein Herz.»Sie sprachen vorhin von Wundern, Sir. Vielleicht gibt es sie doch noch?»
Herrick hob die Schultern.»Das wird sich zeigen. In der Zwischenzeit begeben Sie sich bitte auf die Focksaling und nehmen Sie ein Fernrohr mit. Hoffentlich sind Ihre Augen ebenso scharf wie Ihre Zunge.»
Grubb sah dem Midshipman nach, der mit einem hüpfenden Teleskop auf dem Rücken das Luv-Seitendeck hinunterannte.
«Du meine Güte, Sir, das verschlägt einem doch die Sprache! Diese jungen Flegel heutzutage haben keinen Respekt.»
Herrick wandte sich ihm zu und antwortete tiefernst:»Wir in ihrem Alter waren da ganz anders. Nicht wahr, Mr. Grubb?»
Herrick ging weiter und ließ einen breit grinsenden Grubb am Rad zurück. Als dieser den Blick seines Rudergängers spürte, brüllte er ihn an:»Aufgepaßt, du Faulpelz! Oder ich wecke dich mit der Pike, so wahr mir Gott helfe!»
Kurz danach ging die Benbow mit hart angebraßten Rahen durch den Wind, daß die Leestückpforten unterschnitten und das Deck schwindelerregend krängte.
Zufrieden lächelte Herrick in sich hinein, als er die Toppsgasten auf den oberen Rahen auslegen sah, während andere unten an Deck mit aller Kraft in die Schoten und Brassen einfielen, bis das Schiff den Bug zielstrebig dem Land zuwandte.
Sie mußten sich auf ein langsames und mühseliges Vorwärtskommen gefaßt machen, weil sie meilenweite Schläge in beide Richtungen segeln mußten, um jeweils eine Kabellänge Luvraum zu gewinnen.
Aber als Herrick so seine Leute beobachtete, den Stand jedes einzelnen Segels und den Druck im Rigg begutachtete, stieg in ihm langsam Genugtuung auf; er war froh, daß er nicht auf die Stimme der Vernunft gehört hatte.
«Voll und bei, Sir«, meldete der eine Rudergänger so erregt, als hätte Herricks Stimmung ihn angesteckt.»Süd zu Ost liegt an!»
Herrick sah zu Wolfe hinüber, der seine Anweisungen durch die lange Sprechtrompete brüllte. Mit den roten Haarsträhnen, die unter seinem salzfleckigen Hut hervorsahen, erinnerte er eher an einen Wikinger als an einen Marineoffizier.
Vielleicht war es ja schon zu spät, dachte Herrick. Oder nur vergeudete Zeit. Aber falls sie ein französisches Schiff erobern oder auch nur ein paar Franzosen gefangennehmen konnten, hörten sie vielleicht etwas von den Überlebenden der Styx. Das geringste Detail, selbst ein Gerücht, und die Sache hatte sich gelohnt.
Wolfe ließ seinen Trichter sinken und rief herüber:»Sobald der Wind es zuläßt, schütteln wir noch ein Reff aus, Sir.»
Herrick nickte. Endlich hatte Wolfe ihn begriffen.»Aye. Und zum Teufel mit den Konsequenzen!»
Wolfe hob den Blick zu den Toppsgasten, die hoch über seinem Kopf arbeiteten, und zu dem scharlachroten Wimpel, der vom Masttopp lang auswehte.
Von Konsequenzen hatte der Kommandant gesprochen. Die letzte und wichtigste davon war dort oben.
Bolitho stemmte die Schultern gegen die Spanten und verzog das Gesicht, als die Fregatte nach einem kurzen Gieren wieder voll ins nächste Wellental sackte. Das fühlte sich ja an, als käme der Bug nie wieder hoch. Als die Wasserwand gegen den Rumpf schlug, spürte Bolitho die Erschütterung so stark im ganzen Körper, als wäre das Schiff auf Grund gelaufen.
Immer wieder mühte er sich damit ab, das Geschehen an Deck nachzuvollziehen und auch die Maßnahmen, die jetzt drüben auf dem feindlichen Schiff für das Gefecht getroffen wurden. Die Ceres segelte zwar in Luv und hatte damit einen Vorteil, aber bei so steiler See konnte das auch hinderlich sein. Bolitho hörte gedämpftes Rufen, manchmal auch das Knirschen gequollenen Tauwerks in den Blöcken, und stellte sich vor, wie der französische Kommandant sein ganzes Können aufbot, um sich in eine günstige Position zu manövrieren.
Allday schlurfte zu einem Wasserfaß hinüber und füllte in aller Ruhe einen Becher für Neale. Dabei warf er einen Blick durch den nahen Niedergang nach oben und versuchte, den Sinn des Geschreis zu erraten. Die Gefechtsvorbereitungen verstand er natürlich, und auch die Wetterverhältnisse waren ihm klar.
Er wartete, bis das Deck wieder ruhig lag, und hastete zur Bordwand zurück. Während er sich mit einer Hand an der Koje festhielt und mit der anderen den Becher an Neales Lippen setzte, sagte er leise zu Bolitho:»Immer noch ziemlich rauhe See, Sir. Ich höre Wasser übers Batteriedeck waschen. «Mühsam grinsend fügte er hinzu:»Das wird die Frogs[14] ganz schön ins Schwitzen bringen.»
Browne zog die Knie fast ans Kinn und prüfte angeekelt seine Fußfesseln.»Wenn wir uns nur frei bewegen könnten!»
Vermehrtes Klappern der Handspaken und dumpfes Poltern über ihren Köpfen verriet ihnen etwas von den Anstrengungen der Mannschaft oben. Der Wind trieb sie immer näher auf die Gefahr zu, sie mußten also kämpfen, ob ihnen das nun paßte oder nicht.
Der Arzt und seine Gehilfen gruppierten sich wartend um ihren Operationstisch. Wie geduldige Geier, dachte Bolitho. Ihr Anblick hatte ihn noch immer demoralisiert.
«Hört mal!»
Sie lehnten sich so weit vor, wie ihre Ketten es zuließen, als eine metallisch klingende Stimme das tosende Duett von Wind und See überschrie.
«Rassemblez-vous ä la batterie de tribordl»
Browne nickte ruckartig.»Die Steuerbordbatterie soll als erste feuern, Sir.»
Allday biß die Zähne zusammen.»Obacht — jetzt geht's nach oben!»
Trotz seiner Warnung kam die bei der Aufwärtsbewegung des Schiffes abgefeuerte Breitseite überraschend und betäubend. Der Rumpf bäumte sich auf wie ein lebendes Wesen, die Decksplanken erbebten, fast einstimmig krachten die Kanonen; das Geschrei der Kanoniere ging unter im Quietschen der Lafetten und im dringlichen Kommandogebrüll vom Achterschiff.
Und noch einmal. Die Ceres schien sich scharf überzulegen, als ihre Kanonen abermals aufbrüllten. Tief unten im Orlopdeck, wo der infernalische Lärm komprimiert und noch verstärkt wurde, glaubte Bolitho, die Trommelfelle würden ihm platzen. Staub schoß aus den Planken, und den Niedergang herab kam Rauch gedriftet wie Nebel im Moor.
Einige Arzthelfer waren zusammengeschreckt und starrten nervös in den Rauch, andere machten sich mit Instrumenten und Eimern zu schaffen.
Heiser rekapitulierte Browne:»Zwei Breitseiten, Sir, aber keine Reaktion des Gegners.»
Bolitho schüttelte den Kopf zum Zeichen, daß er jetzt nicht sprechen wollte. Er fürchtete, daß ihm sonst etwas entging. Genau wie seine Gefährten konnte er die meisten Geräusche oben identifizieren: das Auswischen der Rohre, das Feststopfen der Ladung, die huschenden Schritte der Munitionsmänner, das unzusammenhängende Geschrei der Stückmeister, die ihr Ziel auffaßten.
Wie aber sah das andere Schiff aus? War es groß, war es klein?
Wieder einmal erschütterte eine Breitseite sie bis ins Mark. Daß sie nach Lee feuern mußten, war ein großes Erschwernis, dachte Bolitho. Bei diesem hohen Seegang mußten die Stückpforten fast unterschneiden, und wenn das gegnerische Schiff von einem kühlen Kopf geführt wurde, konnten die Franzosen kaum mit voller Erhöhung feuern.
Vereinzelte Jubelrufe oben, dann eine Breitseite mit länger auseinandergezogenem Feuer: immer zwei Schüsse und dann eine Pause von einigen Sekunden.
Erbost murmelte Allday:»Entweder trauen sich die Unsrigen nicht näher ran, oder die Franzosen haben sie schon entmastet.»
Bolitho sah den Kreis der Laternen schräg zur Decke hin kippen und so stehenbleiben, wie an unsichtbaren Fäden befestigt. Das Schiff legte sich stark über und schwang nur langsam wieder zurück. Also hatte der Kapitän gehalst, überlegte Bolitho, und lief jetzt einen etwas ruhigeren Kurs, auf dem er den Wind fast von achtern hatte. Offenbar hatte er sein Selbstvertrauen wiedergewonnen und nutzte die ganze Kraft des Sturms, um aus der Landabdek-kung zu kommen und den Feind einzuholen. Bolitho mußte seine Enttäuschung verbergen. Denn dies bedeutete, daß das andere Schiff entweder beschädigt oder den Franzosen hoffnungslos unterlegen war, an Bewaffnung ebenso wie an Manövrierfähigkeit.