Wieder fiel ihm der vom Blutrausch gepackte Seesoldat ein, der ihn im Orlopdeck der Ceres um ein Haar mit seinem Bajonett durchbohrt hätte.
Vielleicht stand ja wirklich ein Friedensschluß bevor, und dieses Gefecht war für sie alle das letzte.
Ein Sergeant der Seesoldaten stapfte aus dem Schatten und spähte zu Allday hinüber.»Wie wär's mit einem Schluck?»
«Warum nicht?»
Durch die muffigen Schiffsgerüche und den feineren Duft nach Jamaika-Rum kletterten sie ins nächste Deck hinunter.
Vielleicht war es auf Odin doch nicht so übel, dachte Allday.
Die Sergeanten und Korporale hausten in einem abgeschotteten Teil des unteren Batteriedecks. Sie begrüßten Allday gut gelaunt, und bald saß er an ihrem Messetisch, einen Becher Rum vor sich.
Ein Sergeant ergriff das Wort:»Also, Kamerad, du bist doch der Bootsführer des Konteradmirals und solltest wissen, was morgen geplant ist.»
Allday lehnte sich gegen die Wand und machte eine weitausholende Geste.»Tja, ich und der Admiral, wir fangen normalerweise damit an.»
Bis zum Abend hatten Odin und Phalarope, die sich in Luv gut freihielt, den Rest des Geschwaders außer Sicht verloren.
In der großen Achterkajüte war der Tisch auf seine volle Länge ausgezogen und mit den besten Gläsern und Silberbestecken beladen. Unter den lebhaft diskutierenden Offizieren saß Kapitän Inch und strahlte vor Stolz. Bolitho saß am Kopf der Tafel und ließ sich von Gesprächen und Spaßworten umbranden; fast pausenlos wurden die Gläser gefüllt und zu markigen Trinksprüchen wieder geleert. Unauffällig musterte er die Offiziere des Schiffes. Die meisten waren blutjung, und wie Allday dachte auch er an die schreckliche Verwandlung, die dem von Fröhlichkeit erfüllten Raum bevorstand, wenn das Schiff gefechtsklar gemacht wurde. Er erinnerte sich an die einzelnen Namen und ordnete sie den Gesichtern in der Runde zu: Söhne, Verlobte, aber kaum ein Ehemann. Das übliche Offizierskorps eines Linienschiffes.
Bald mußten sie kämpfen und vor allem siegen.
Ein junger Leutnant rief gerade:»Ja, diesmal heirate ich wirklich, sowie ich erst zu Hause bin. «Ironisches Gelächter erscholl, und er hob beschwichtigend die Hand.»Nein, diesmal ist es mir ernst damit!«Dann wandte er sich um und sah Bolitho an; vom Wein oder dem bevorstehenden Kampf beflügelt fragte er:»Mit Verlaub, Sir, sind Sie verheiratet?»
Bolitho lächelte.»So wie Sie, Mr. Travers, werde ich Hochzeit halten, wenn unser Anker erst wieder im Plymouth-Sund gefallen ist.»
«Danke, Sir. «Plötzlich nervös geworden, setzte der Leutnant hinzu:»Ich dachte einen Augenblick.»
«Ich weiß, was Sie dachten. «Plötzlich war er froh, daß ihm der Name des jungen Offiziers noch rechtzeitig eingefallen war.»So eine bevorstehende Heirat gibt dem Leben einen neuen Wert, nicht wahr?»
Travers senkte den Blick.»Ich fürchte nicht um mein Leben,
Sir.»
«Auch das weiß ich. Aber denken Sie daran, daß Sie nun aus doppelt gutem Grunde kämpfen, dann können Sie gar nicht verlieren.»
Als jüngster Gast saß Midshipman George Stirling aus Winchester ganz unten am Tisch, lauschte fasziniert und genoß den Abend über alle Maßen. Im Geiste schrieb er einen langen Bericht darüber an seine Mutter: >Liebste Mama — heute abend halten wir auf die französische Küste zu. Ich speise mit Konteradmiral Richard Bolitho…<
Insgeheim mußte er lächeln; wahrscheinlich glaubte sie ihm kein
Wort.
Dann merkte er, daß Bolitho ihn über den Tisch hinweg ansah.
«Sind Sie bereit, Mr. Stirling?«fragte der Konteradmiral.
Der Junge schluckte krampfhaft und hob sein Weinglas, das plötzlich schwer wie Blei schien. Aller Augen wandten sich ihm zu, und er konnte es gerade noch verhindern, daß er sich auf die Lippen biß. Aber dann fielen ihm Alldays Worte über Bolitho ein: >Er ist auch nur ein Mensch.<
Hell und klar erklang seine Stimme:»Meine Herren, trinken wir auf unseren Sieg! Tod den Franzosen!»
Der Rest ging unter in Beifall und Hochrufen, und es klang, als juble das ganze Schiff.
XV Zum Schweigen gebracht
«Der Kommandant kommt an Deck, Sir.»
Pascoe ließ das Teleskop sinken und nickte dem Steuermann zu.»Danke.»
Er hatte das Geschütz- und Segelexerzieren drüben auf Odin beobachtet; die Stückpfortenluken hoben und senkten sich so exakt wie von einer Riesenfaust an Marionettenfäden gezogen, und die Segel füllten sich oder verschwanden mit gleicher Präzision.
Da hörte er Emes' Schritte auf den Decksplanken und wandte sich ihm zu. Nie wußte er, welche Stimmung sich hinter Emes' ausdrucksloser Miene verbarg, was er in der Abgeschlossenheit seiner Kajüte wirklich dachte oder plante.
Grüßend griff Pascoe zum Hut.»Kurs Südost zu Süd, Sir. Wind hat etwas geschralt, kommt jetzt aus Nord zu Ost«, meldete er.
Emes trat an die Querreling und umklammerte den Handlauf, während er über sein Schiff hinweg nach vorn starrte und das Treiben an Bord beobachtete. Dann schweifte sein Blick zu Odin hinüber, die an Steuerbord mit etwa vier Kabellängen Abstand zielstrebig durch die Seen pflügte.
«Hm. Schlechte Sicht. «Emes schob die Unterlippe vor, das einzige Zeichen für seine Besorgnis, das er sich jemals gestattete.»Es wird früh dunkel werden. «Er zog seine Taschenuhr und ließ den Deckel aufspringen.»Ihr Onkel scheint Kapitän Inch ein Sonderexerzieren verordnet zu haben. «Er lächelte, aber fast unmerklich.»Eben ein echtes Flaggschiff.»
Dann ging er nach achtern und warf einen Blick auf den Kompaß und die Schiefertafel darüber.
Pascoe entging es nicht, daß Steuermann und Rudergänger sich in Emes' Gegenwart versteiften, als rechnten sie mit einem Anpfiff von ihm.
Das konnte er nicht begreifen. Sie fürchteten sich buchstäblich vor dem Kommandanten, obwohl Emes bisher wenig oder gar nichts getan hatte, was diese Furcht gerechtfertigt hätte. In Fragen der Disziplin war er eisern, aber nicht so ungerecht wie manche Kommandanten, die drakonische Prügelstrafen verhängten. Auch hatte er nicht viel Geduld mit seinen Untergebenen, schmähte sie aber nie in Gegenwart anderer. Woran lag es also? fragte sich Pas-coe. Emes war ein eiskalter, verschlossener Charakter, der von seinem Standpunkt kein Jota abgewichen war, auch nicht vor seinem Admiral und dem drohenden Schatten des Kriegsgerichts.
Jetzt schritt der Kommandant quer über das Deck und starrte auf die See und die Nebelschwaden hinaus. Es nieselte, und von Sta-gen, Wanten und Segeln fielen Tropfen.
«Hat Mr. Kincade heute alle Karronaden inspiziert, Mr. Pas-coe?»
Kincade war Artillerieoffizier der Phalarope, ein wortkarger, verbitterter Mann, der seinen gedrungenen Kanonen mehr Zuneigung entgegenzubringen schien als den Menschen.
«Aye, Sir. Sie werden ein kräftiges Wort mitzureden haben.»
«Tatsächlich?«Emes musterte ihn kalt.»Sie können es wohl kaum erwarten, wie?»
Pascoe errötete.»Alles besser als diese Untätigkeit, Sir.»
Zögernd rief der Midshipman der Wache: «Rapid kommt luvwärts in Sicht, Sir.»
«Ich gehe unter Deck«, blaffte Emes.»Rufen Sie mich, ehe Sie
Segel wegnehmen lassen, und achten Sie auf korrekten Abstand zum Flaggschiff. «Ohne auch nur einen Blick auf die verschwommene Silhouette von Rapid zu werfen, schritt er zum Niedergang.
Pascoe entspannte sich. War auch das nur Schauspielerei, fragte er sich, daß Emes nicht einmal einen Blick für die der Küste zustrebende Rapid übrig hatte? Oder daß er es stur abgelehnt hatte, an den Karronaden exerzieren zu lassen, obwohl er sah, daß auf dem Flaggschiff den ganzen Tag lang geübt wurde?
Der Master, ein hagerer, melancholischer Mann, der sich von Emes absichtlich ferngehalten hatte, kam jetzt aufs Achterdeck gestiegen und warf einen Blick auf den Steckkompaß.
«Was halten Sie vom Wetter, Mr. Bellis?«erkundigte sich Pas-coe.