Der Signalfähnrich meldete:» Nicators Anker ist kurzstag, Sir!»
«Danke, Mr. Stirling. Bestätigen.»
Browne interessierte sich plötzlich intensiv für einen Matrosen, der neben ihm eine Leine teerte. Denn Herrick hatte höflich gefragt:»Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit verlaufen, Sir?»
Bolitho musterte ihn ausdruckslos.»Das ist es, Kapitän Herrick.»
Plötzlich grinsten sie einander an wie Verschwörer, und Herrick fügte hinzu:»Ich wünsche Ihnen beiden viel Glück, Sir. Mein Gott, als.»
«Klar, Sir!»
Wolfes rauhe Stimme ließ Herrick an die Reling eilen.»Vorsegel los!«Dann deutete er nach oben.»Und Bramsegel los!»
Mit knallenden Segeln, ein Bild der Unordnung, wurde Benbow kurz vom Wind herumgedrückt; der füllige Rumpf tauchte in Lee tiefer ins Wasser, als sie unter dem Segeldruck krängte.
Aber dann:»Hol dicht die Brassen!«kam das Kommando.»Hievt, Leute, hievt!»
Jetzt wurde die Drehung kontrollierter, immer schneller schwangen der Uferstreifen und die dunstverhüllten Hügel vor dem Bug herum, bis der Master mit Ruder und Kompaß System in die Bewegung brachte.
Drüben legte sich Nicator in der auffrischenden Brise über und setzte mehr Segel. Ihre rote Nationalflagge und der Masttoppwimpel wehten fast dwars aus, als sie ihre Station neben dem Flaggschiff einnahm.
«Die Spanier haben unsere Ankunft beobachtet«, resümierte Bo-litho.»Jetzt können sie auch unseren Aufbruch weitermelden. «Er warf einen Blick zum Land hinüber, sah aber nur das stille kleine Zimmer vor sich und Belindas weiße Arme.
Er schritt nach Luv hinüber und lauschte dem Kommandogebrüll, dem Quietschen der Taljen und Blöcke, als Wind- und Schwerkraft auf die vielen Meilen laufenden Guts einzuwirken begannen.
Vorn am Bug war der Anker wieder sicher an seinen Kranbalken gekettet worden; Dodge, der Artillerieoffizier, bellte Anweisungen, während er mit seinen Männern die Laschings an jeder Kanone überprüfte.
Ein Bootsmannsmaat ließ am Niedergang eine Gräting aufrig-gen, auf der nachher der Delinquent für die Prügelstrafe festgebunden werden sollte. Dabei bewies er die gleiche Gemütsruhe wie der Gehilfe des Segelmachers, der weiter vorn einen Haufen Tuch durchsah. Alles war Routine und Drill; sie hielten das Schiff genauso fest zusammen wie Kupfer und Teer.
Allday verschwand mit seinem neuen Entermesser durch eine Luke unter Deck; wahrscheinlich wollte er es schärfen. Wem mochte jetzt wohl Alldays altes Entermesser gehören? überlegte Bolitho. Er hatte es mit solcher Wut in den Sand gestoßen, als sie gefangengenommen wurden. Allday schien Bolithos Blick zu spüren und wandte sich nach dem Achterdeck um. Mit einem kleinen Lächeln für Bolitho und Herrick tippte er grüßend an die Stirn.
Einige Midshipmen umstanden einen der Achtzehnpfünder auf dem oberen Batteriedeck und ließen sich von einem jüngeren Leutnant erklären, wie die Mannschaft bei Ausfall eines Kameraden die Positionen zu wechseln hatte, damit beim Laden und Abfeuern keine Verzögerung eintrat. Der Leutnant sprach mit besonders autoritärem Ton, denn er war sich der über ihm aufragenden Gestalt seines Admirals wohl bewußt. Bolitho mußte lächeln: Der Junge war kaum ein Jahr älter als die Kadetten, die er unterwies.
Aus dem Kombüsenschornstein stieg Rauch auf; dort unten machte der Koch wohl das Beste aus der knappen Frischnahrung, die er bei ihrem kurzen Gibraltaraufenthalt hatte ergattern können.
Während Bolitho so das Gewimmel an Deck beobachtete, das ihn an einen Marktplatz erinnerte, fiel ihm wieder der Rat des Vizeadmirals ein, sich seinem Rang entsprechend fernzuhalten und nicht in die Angelegenheiten niedriger Dienstgrade einzugreifen.
Der Bootsmannsmaat rannte an Bord herum und übertönte mit seiner schrillen Pfeife die Geräusche von Wind und Wellen.
«Alle Mann! Alle Mann an Deck als Zeugen der Bestrafung!»
Herrick stand an der Reling, die Kriegsartikel unter den Arm geklemmt und das Kinn tief in sein Halstuch gedrückt, während Matrosen und Seesoldaten in Scharen nach achtern strömten. Bolitho kehrte zur Hütte zurück. Ich kann mich aber nicht fernhalten, dachte er. Es läßt sich nun mal nicht ändern, daß ich mich selbst betroffen fühle.
Browne folgte ihm durch den halbdunklen Gang, an dem steifen Wachsoldaten vorbei in die Kajüte und schloß die Tür.»Kann ich etwas für Sie tun, Sir?»
Bolitho reichte Ozzard seinen Uniformrock und lockerte Hemdkragen und Halstuch.
«Ja, Oliver. Schließen Sie das Oberlicht.»
Sicher war Strafe notwendig, aber das Klatschen, mit dem die neunschwänzige Katze auf den nackten Rücken eines Mannes niedersauste, war ihm deshalb nicht weniger verhaßt. Er ließ sich auf die Heckbank sinken und starrte zur Nicator hinüber, deren hoher Umriß nach der Wende dem Flaggschiff gehorsam auf dem neuen Schlag folgte.
«Ihr Sekretär wartet mit Papieren, die offenbar Ihre Unterschrift erfordern, Sir«, meldete Browne.»Soll ich ihn wegschicken?»
Bolitho seufzte.»Nein, lassen Sie Yovell vor. Ich kann die Abwechslung brauchen.»
Über ihnen hob und senkte sich die Peitsche im hellen Sonnenlicht über dem Rücken des ersten Delinquenten. Die Mannschaft sah mit leeren Blicken zu, und nur die näheren Freunde des Bestraften wandten die Augen ab, vielleicht aus Scham.
Nach dem Strafvollzug wurde die Gräting wieder abgebunden, die Leute wurden zum Mittagessen gerufen, das sie mit einem großen Krug Bier hinunterspülten.
Die beiden Delinquenten wurden ins Schiffslazarett hinuntergeschafft, wo man die Striemen auf ihren Rücken versorgte und ihr Selbstbewußtsein mit einer großen Portion Rum aus dem Giftschrank des Arztes wiederherstellte.
Bolitho saß an seinem Schreibtisch, endlich allein in der Kajüte, und hatte einen Bogen Briefpapier vor sich liegen. Der Brief würde sie vielleicht nie erreichen, aber das Schreiben half ihm, ihre Nähe zu spüren, während immer mehr Wasser sie trennte.
Er tauchte die Feder ein und begann zu schreiben:
>Meine geliebte Belinda, es ist erst wenige Stunden her, daß ich Dich verlassen mußte.<
Oben an Deck wurde das Licht schwächer, als die Sonne kupferrot hinter die Kimm sank. Herrick besprach die Reffs für die Nacht und die Notsignale, denn das Land war schon außer Sicht geraten; hier draußen mochte jedes fremde Segel einem Feind gehören.
Schließlich war die Benbow ein Kriegsschiff und konnte auf die zarteren Gefühle ihrer Insassen keine Rücksicht nehmen.
XII Befehl vom Flaggschiff
Den Hut fest unter einen Arm geklemmt, betrat der Ehrenwerte Leutnant Oliver Browne die große Achterkajüte und blieb wartend stehen, bis Bolitho von seinen Papieren aufblickte.
«Ja?»
Brownes weltläufige Züge blieben unbewegt, als er meldete:»Segel in Nordwest gesichtet, Sir. «Aus Erfahrung wußte er, daß Bolitho den Ruf aus dem Ausguck längst gehört hatte.
«Danke.»
Bolitho rieb sich die müden Augen. Sie hatten über eine Woche gebraucht, um den Treffpunkt mit dem Rest des Geschwaders zu erreichen. Zwei schnellen Segeltagen mit frischem achterlichem
Wind waren schlechtere Tage gefolgt, in denen immer wieder Segel und Rahen neu getrimmt werden mußten, weil der Wind umsprang; unzählige Male mußten die müden Toppsgasten aufentern, um in einer plötzlichen Sturmbö die Segel zu kürzen, und kaum waren sie unten an Deck, hieß es wieder aufentern zum Ausreffen, weil der Wind nachgelassen hatte.
Ihr Kurs hatte sie erst nach Westen auf den Atlantik hinaus geführt und dann nach Norden, an der Küste Portugals entlang. Ab und zu hatten sie ein fremdes Schiff gesichtet, aber wegen der Schwerfälligkeit der beiden großen Linienschiffe und wegen der großen Entfernung war nähere Rekognoszierung unterblieben. Jetzt warf Bolitho seinen Stechzirkel aus Messing auf die Seekarte und erhob sich.»Was für ein Schiff könnte das sein?»