Литмир - Электронная Библиотека

Im Hof unten hackten zwei Diener Feuerholz, und eine Garnisonskatze schlich geduckt über die Pflastersteine, als wolle sie sich vor dem nahenden Morgen verstecken.

Ohne nach links oder rechts zu blicken, schritt Bolitho bergab, bis er die Pier erreicht hatte.

Erst dann wandte er sich um und blickte zurück, aber der Schatten des Gibraltarfelsens hatte das kleine Haus oben schon verschluckt.

Ein Wachboot fuhr langsam an der Pier vorbei, der Leutnant döste im Heck, während seine Crew das Boot mit monotonem Schlag auf seiner Ronde weitertrieb. Als Bolithos Epauletten im ersten Sonnenlicht glitzerten, fuhr der Leutnant hellwach in die Höhe.

Während er dann sein Boot zum Flaggschiff des Geschwaders dirigierte, stellte er die wildesten Spekulationen über seinen ranghohen Fahrgast an. Der Admiral war zu einem Geheimtreffen mit dem Militärgouverneur an Land gewesen. Oder er hatte we i-sungsgemäß mit dem Feind Friedensverhandlungen geführt, über die noch nichts bekannt werden durfte.

Bolitho blieb das Interesse des Leutnants ebenso verborgen wie der Rest seiner Umgebung; in Gedanken war er noch völlig bei dieser Nacht, die ihm nur Minuten gewährt zu haben schien. Und er hatte sich für einen Mann von Ehre gehalten! Eigentlich hätte er beschämt und reuig sein müssen, aber auf diese Gefühle wartete er vergebens. Statt dessen fühlte er sich nur so glücklich und erleichtert, als sei eine große Last von ihm genommen.

«Boot ahoi?»

Der Anruf ließ Bolitho auffahren, überrascht sah er den turmhohen Umriß seines Flaggschiffs vor sich aufragen. Oben auf dem Katzensteg stand ein Marinesoldat mit aufgepflanztem Bajonett

Wache, um unrechtmäßige Besucher ebenso abzuschrecken wie eventuelle Deserteure.

«Zur Benbow! Der Admiral!«rief der Bootsmann zurück.

Bolitho straffte die Schultern und grinste verlegen. Jetzt würden alle Bescheid wissen: Ihr Oberbefehlshaber kehrte nach einer an Land verbrachten Nacht wieder an Bord zurück.

Aber so leicht konnte er sie nicht abtun. Belinda.

«Sir?«Der Leutnant nahm aufmerksam Haltung an.

Bolitho schüttelte den Kopf.»Nichts weiter. «Hatte er ihren Namen laut ausgesprochen?

Sir John Studdart hatte schon recht gehabt, als er ihn gerügt hatte; er benahm sich wirklich wie ein junger Leutnant.

Aber warum auch nicht? Schließlich fühlte er sich so.

Herrick trat aus dem Schatten der Hütte und nickte dem Master und seinen Rudergängern am großen Rad zu, bevor er weiter aufs Hüttendeck hinaufstieg. Gewohnheitsmäßig und fast unbewußt schweifte sein Blick prüfend über das Schiff, vergewisserte sich, daß alles so war, wie es sein sollte an diesem Morgen, der einen heißen Tag versprach.

Auf den Webeleinen und den Fußpferden der Rahen schwärmten eifrige Toppsgasten aus, von den heiseren Rufen der Unteroffiziere zu noch größerer Eile angetrieben.

Herrick blieb an der Querreling stehen und blickte über das Deck hinweg nach vorn. Die Admiralsbarkasse ruhte wieder festgelascht auf ihren Rungen, die anderen Boote ebenso. Über dem ganzen Schiff hing eine Atmosphäre der Erwartung und Aufregung, die von der Bordroutine und einer eisernen Disziplin nur ungenügend verdeckt wurde.

Wolfe kam mit großen schweren Schritten quer übers Hüttendeck auf Herrick zu und griff grüßend an seinen Hut.»Klar zum Segelsetzen, Sir«, meldete er. Er blickte sich nach ihrem Begleitschiff um.»Und ich glaube, diesmal sind wir schneller als die Nicator.»

«Das will ich doch verdammt noch mal gehofft haben«, grunzte

Herrick.

Unter ihnen auf dem Batteriedeck hasteten Seeleute auf ihre Stationen, Befehle gellten und Fäuste hoben sich, entsprechend den von der Wachrolle abgelesenen Namen.

Benbow machte klar zum Auslaufen. Bei anderen Gelegenheiten sah man selten fast die gesamte Besatzung auf den oberen Decks: Matrosen und Seesoldaten, Schiffsjungen und Freiwächter, die höchsten Dienstgrade neben den niedrigsten. Das Schiff stach wieder in See, mit welchem Ziel und zu welchem Zweck, das war nicht ihr Problem.

Wie jeder erfahrene Erste Offizier ging Wolfe im Geiste die Liste seiner Arbeiten durch, die er an diesem Tag erledigen mußte. Ob auf See oder im Hafen, das Schiff verlangte seine ganze Aufmerksamkeit, und außerdem mußte er den Kommandanten auf dem laufenden halten.

«Zwei Mann sind heute vormittag fällig zur Bestrafung, Sir. Der Matrose Page erhält zwei Dutzend Hiebe für Trunksucht und Rauferei. «Wolfe blickte von seiner Liste hoch und sah Herrick an.»Und ein Dutzend für Belcher, wegen Aufsässigkeit. «Zufrieden faltete er seine Liste zusammen.»Alle Mann sind an Bord, keine Deserteure.»

«Sehr gut. Dann bemannen Sie das Ankerspill. Bringen Sie das Schiff in Fahrt.»

Herrick ließ sich von einem Midshipman sein Teleskop reichen und richtete es auf die mit achtzig Kanonen bestückte Dorsetshi-re. Sir John Studdart dort drüben hatte keine Einwände mehr geltend gemacht, wahrscheinlich wollte er sich aus der ganzen Sache weise heraushalten. Jeder, der Bolitho öffentlich unterstützte oder sein Vorgehen gegen die feindliche Invasionsflotte förderte, mochte bei einem Mißlingen mit ihm den Wölfen vorgeworfen werden. Herrick lächelte grimmig. Als ob irgendwer Bolitho jetzt noch aufhalten könnte! Er blickte nach oben und sah die Flagge im Besantopp in der frischen Morgenbrise steif auswehen. Die Sache war entschieden. An Dulcie und ihre Reaktion, wenn sie hörte, daß er seinen Kommodorewimpel wieder abgeben mußte, wollte er lieber nicht denken.

Wolfe sprach ihn an.»Ich war heute morgen früh auf, Sir, und sah den Admiral an Bord kommen.»

Herricks blaue Augen musterten ihn nachsichtig.»Na und?»

Wolfe zuckte die Achseln.»Nichts weiter, Sir. «Dann schluckte er.»Das Ankerspill ist bemannt, aber der Fiedler kratzt wieder zum Steinerweichen. Ich sehe vorn besser nach dem Rechten.»

Herrick unterdrückte ein Lächeln. Natürlich war ihm Bolithos Rückkehr am frühen Morgen nicht entgangen. Und mit ihm wußte wahrscheinlich das ganze Schiff den Grund dafür oder ahnte ihn wenigstens. Aber so war es eben an Bord: Man teilte die schönen Erlebnisse miteinander ebenso wie die schlimmen. Mit lautem Klicken drehte sich das Ankerspill, die Männer stemmten sich in die Handspaken, bis sie schwitzten und keuchten, während der Fiedler ihnen mit einem alten Shanty den Rhythmus vorgab.

Die lose aufgegeite, große Breitfock begann sich an ihrer Rah zu rühren, und auch auf den anderen Rahen legten die flinkfüßigen Toppsgasten um die Wette aus und machten die anderen Segel auf Wolfes durch die Sprechtrompete gerufene Kommandos zum Setzen klar.

Über das glitzernde Wasser hinweg sah Herrick, daß auf der Nicator die gleiche Betriebsamkeit herrschte. Er freute sich, daß das Geschwader bald wieder in alter Geschlossenheit segeln würde. Zum letzten Mal? Es fiel ihm schwer, sich nach den vielen Kriegsjahren einen Frieden vorzustellen.

Er wandte sich um, weil er Schritte kommen hörte, und gewahrte Bolitho mit Browne wie einen Schatten hinter sich. Sie begrüßten einander formell, und Herrick meldete:»Keine neuen Anweisungen vom Flaggschiff, Sir. Der Anker ist kurzstag, und das Wetter scheint gut zu werden. Ganymede ist Ihrem Befehl entsprechend um acht Glasen ausgelaufen und geleitet das Postschiff Thrush auf See hinaus. «Er beobachtete Bolitho.

Aber dieser nickte nur.»Danke. Ich sah sie auslaufen. Gany-mede wird lange vor uns zum Rest des Geschwaders stoßen.»

Herrick meinte:»Ich würde ja gern Adam Pascoes Gesicht sehen, wenn er erfährt, daß Sie überlebt haben. Ich weiß noch, wie ich auf diese Nachricht reagierte.»

Bolitho wandte sich nach dem anderen Vierundsiebziger um. Aber im Geist sah er die kleine Thrush wieder die Reede verlassen und nur Minuten nach dem Verstauen ihres Ankers die braunen Segel setzen. Wahrscheinlich hatte Belinda drüben ebenso nach der Benbow ausgespäht.

48
{"b":"113331","o":1}