Da schlug mit Krach und Donner eine Lawine aus Eisen in den Rumpf. Bolitho blieb vor Schmerz die Luft weg, als er hochgerissen wurde, so weit es seine Fesseln und Ketten zuließen. Halb betäubt sah er, daß sich das Orlopdeck mit Rauch und Lärm füllte.
Der Rumpf erbebte in allen Verbänden, als oben Stengen und Spieren zu Bruch gingen und aufs Deck krachten. Dann ein dumpfer Schlag, als sei eine Kanone umgestürzt. Stimmen überbrüllten das Getöse, verwandelten sich aber in jämmerliche Schmerzens-schreie, als eine zweite Breitseite — nur wenige Minuten nach der ersten — in den Rumpf krachte.
Im Rauch nur schlecht auszumachen, rutschten und hangelten sich Gestalten den Niedergang herunter; andere wurden rücksichtslos in den Lichtkreis der Laternen gezerrt. Die Arzthelfer erwachten zu fieberhafter Tätigkeit, als hätte der Blutgeruch sie aus ihre Trance gerissen.
Wieder legte sich das Deck ruckartig über: Die Franzosen erwiderten das Feuer. Noch einmal schlugen Kugeln ein, diesmal tiefer im Rumpf, und bald daraufhörte Bolitho das Quietschen der ersten Lenzpumpe.
Über dem Operationstisch hob und senkte sich ruckartig der Schatten des Chirurgen, das Lampenlicht reflektierte kurz von einer Messerschneide, dann von einem Sägeblatt. Unter seinen Händen wand sich eine nackte Gestalt, wurde aber von den Arzthelfern mit Aufbietung aller Kräfte niedergehalten.
Dann stürzte ein Mann aus dem Kreis um den Tisch und warf den amputierten Arm in einen abseits stehenden Eimer, als sei er ein Stück Abfall.
Wieder wurden schluchzende, schreiende Männer mit Gewalt ins Lazarett gezerrt oder getragen. Bolitho verlor jedes Zeitgefühl, selbst das frühe Morgenlicht verblaßte im Rauch und Dampf der Schlacht.
Die Kanonen schossen jetzt weniger systematisch, die Detonationen wirkten jedoch noch lauter; Bolitho folgerte daraus, daß der Gegner sehr nahe gekommen war und das Krachen zwischen den beiden Bordwänden widerhallte. Das Gefecht hatte eskaliert; bald mußte das Ende kommen.
Gebannt, mit schreckgeweiteten Augen, starrte Browne zu dem wie wahnsinnig arbeitenden Arzt hinüber. Er war kein junger Mann mehr, bewegte sich aber mit unglaublicher Energie. Er schnitt, sägte, nähte und winkte nach dem nächsten Verwundeten mit solcher Hast, daß ihn nicht einmal der Einschlag feindlicher Kanonenkugeln ablenken konnte. Seine Unterarme und die Schürze glänzten grellrot. Es war ein Bild des Grauens.
Gepreßt sagte Browne:»Allmächtiger Vater, gib, daß ich an Deck sterbe, wenn es soweit ist, und nicht in diesem Schlachthaus!»
Ein Chor warnender Schreie, dann atemberaubende Stille — und schließlich ein scheinbar endloser Donnerschlag: Ein ganzer Mast kam von oben und stürzte aufs Deck. Das Schiff bockte, als wolle es die tote Last abschütteln; Bolitho hörte Äxte auf das Gewirr der Wanten, Stage und Spieren einbauen, dann das schärfere Knattern von Gewehrfeuer und das Kläffen der Drehbassen.
«Nahkampf!«stieß er hervor.»Sie müssen gleich kommen.»
Wieder schrillten Schreie durch das Inferno, weitere Wrackteile polterten oben aufs Hauptdeck, und Bolitho wurde vom Scheuern und Klappern der gebrochenen Takelage an die letzten Augenblicke der Styx erinnert.
Wild um sich schlagend, fuhr Neale auf seiner Koje hoch und schrie:»Her zu mir, Leute! Haltet euch tapfer!«Blindlings holte er nach dem herbeieilenden Allday aus, aber der Schlag war so schwach wie der eines Kindes.
Allday knurrte:»Ich bringe Sie jetzt hier raus, Käpt'n. Also seien Sie ein artiger Junge.»
Im Zwielicht beugte er sich über zwei verwundete Seeleute, die von den Arztgehilfen bisher übersehen worden waren, und rollte den einen auf den Rücken. Aus der Kehle des Franzosen ragte ein Holzsplitter, so groß wie ein Seitengewehr, und der Mann starrte in qualvoller, stummer Agonie zu Allday empor. Mit rasselndem Atem sah er zu, als dieser ihm das Entermesser unter dem Gürtel hervorzog und es an sich nahm. Sein Kamerad war schon tot und außerdem unbewaffnet. Allday wandte sich von ihm ab und kehrte zu Bolitho zurück; er begann, mit der Spitze des Entermessers das Holz zu bearbeiten, in dem die Ringbolzen von Bolithos Fesseln saßen.
Begleitet von verwirrten und erschreckten Rufen, kamen weitere Verwundete herunter, aber diesmal wurden sie vorsichtiger behandelt. Bolitho erkannte einen abgewinkelten Arm, einen größer werdenden, dunkel glänzenden Fleck auf der Brust eines Mannes, dem ein schweres Kaliber zwischen die Rippen gefahren war, und er sah auch die Goldepauletten des Kommandanten funkeln.
Hinter ihm kletterten zwei Soldaten die Leiter herunter; Bolitho identifizierte ihre Uniformen: Marineinfanterie.
Sie hielten sich fern von den anderen, standen nur da, in den Fäusten die Musketen mit aufgepflanztem Bajonett, und starrten wortlos zu den Gefangenen hinüber. An ihrem Auftrag konnte kein Zweifel bestehen.
Der Arzt schnitt dem französischen Kapitän das Hemd vom Leibe, trat dann aber zurück und winkte seine Helfer herbei.
«Il est mort.»
Die leichter Verwundeten reckten die Hälse und spähten durch den Qualm zum Operationstisch, offenbar ohne zu begreifen. Das Schießen an Deck ließ nach, als sei auch den Männern dort oben der Schreck über den Tod des Kommandanten in die Glieder gefahren.
Und dann kam der dumpfe Aufprall und das mahlende Scheuern, mit dem das fremde Schiff sich knirschend längsseit legte.
Das Deck unter Bolitho krängte stark; wahrscheinlich hatte der andere Kommandant es so eingerichtet, daß der Wind die ve rkrüp-pelte Ceres gegen ihn drückte. Jetzt verhakten sich Riggs und Spieren in einer letzten, unlösbaren Umarmung.
«Hurra! Hurra!«Wildes, fast nicht mehr menschliches Geschrei oben.»Männer von Ganymede — mir nach!»
Als Antwort schlug klirrend Stahl auf Stahl, krachten vereinzelte Musketen- und Pistolenschüsse zum Getrappel vieler Füße.
Für die beiden Marinesoldaten mußte das ein Signal gewesen sein. Der Korporal, Bolitho am nächsten, hob die Muskete, das aufgepflanzte Bajonett funkelte im Licht, als er auf Neales Brust anlegte.
«Zu spät, Kumpel!«Allday sprang aus dem Schatten, das große Entermesser schon zum Schlag erhoben, und hieb es dem Soldaten quer ins Gesicht. Als der Mann fiel und sich in seinem Blut wand, griff Allday den zweiten Soldaten an. Auch dieser hatte angelegt, schien aber vor Schreck über das Schicksal seines Kameraden erstarrt zu sein.
«Hat dich verlassen, dein Mut, wie?«brüllte Allday. Mit dem ersten Schlag spaltete er ihm den Brustriemen; die Schneide drang so tief ein, daß der Soldat vornüber zusammenklappte; seine Schreie verstummten erst, als das Entermesser beim zweitenmal auf seinen exponierten Nacken niederfuhr.
Mit einem Würgen in der Kehle hatte Browne zugesehen. Überall um sie her gellten Schreie, Flüche und Schmerzgeheul. Und immer wieder das stählerne Klirren der Säbel, obwohl die Kämpfenden schon auf so blutbesudelten Planken standen, daß ihnen die Füße wegrutschten.
Allday klammerte sich mit einer Hand an Neales Koje und parierte mit der anderen jeden Versuch, dem Kranken nahe zu kommen. Eine Musketenkugel schlug nur zollbreit neben Bolithos Schulter in die Bordwand, und einmal wirbelte Alldays Schneide schützend wie ein Schild über Bolithos Kopf durch die Luft.
Ein Mann stürzte leblos den Niedergang herab, ein anderer schrie gellend, bevor ein Säbelhieb den Ton so abrupt zum Verstummen brachte, als sei eine Tür zugeschlagen worden.
Plötzlich stand ein britischer Marinesoldat am Fuß der Leiter, die weißen Breeches blutbeschmiert, die Augen unter dem wirren Haar vor Wahnwitz funkelnd. Er hielt die Muskete stoßbereit, das besudelte Bajonett zitterte.
Als er Allday mit seinem blanken Entermesser entdeckte, schrie er wild:»Hierher, Kameraden, hier leben noch ein paar von den Hunden!«Dann holte er aus.
Schulter an Schulter hatte Allday schon manchesmal mit den britischen Marinesoldaten gefochten. Aber noch nie hatte er ihre Angriffswut auf der anderen Seite erlebt.