«Da — jetzt setzt der Franzose mehr Segel, Captain!»
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Farquhar hinüber.»Mein Gott!»
Langsam, unerbittlich, sich um den festsitzenden Bug drehend, schwang die Osiris weiter vom Land weg. Kein Wunder, daß der französische Kommandant abgewartet hatte. In etwa dreißig Minuten, wenn er die Sandbank und das in der Falle sitzende Schiff in Lee passierte, hatte er freies Schußfeld auf das ungeschützte Heck der Osiris. Kein Kommandant konnte sich ein besseres Ziel erhoffen; seine Breitseite mußte vom Heck bis zum Bug durch den ganzen Rumpf fegen.
«Wir sind erledigt«, keuchte Farquhar.
Bolitho schritt an ihm vorbei.»Weitergeben: Feuer aus allen noch intakten Rohren! Wenn wir nur ein bißchen Glück haben, versenken wir noch ein halbes Dutzend von denen!»
Der Befehl lief weiter, die Züge quietschten, die Geschützführer richteten die Rohre, soweit es irgend möglich war, auf die Transportschiffe: eine letzte Breitseite noch sollte treffen.
Diese Männer, das wußte Farquhar, sahen nur den Feind; und selbst wenn sie ahnten, in was für einer Klemme sie saßen, erkannten sie wahrscheinlich nicht in vollem Umfang, was das bedeutete.
«Feuer!»
Die Achtzehnpfünder fuhren im Rückstoß binnenbords, ihre Bedienungen arbeiteten wie die Irren, putzten aus, rammten neue Ladungen hinein.
Bolitho warf einen raschen Blick auf den Kommandanten. Sein Gesicht verzerrte sich beim Krachen jedes Abschusses, denn der Rückstoß so vieler Geschütze trieb die Osiris immer tiefer in den Sand. Farquhar wußte, daß sein Schiff bereits erledigt war, und daß Bolitho trotzdem weiterkämpfte. Bis zuletzt.
Heiser sagte Allday:»Der Hang drüben brennt anscheinend, Sir!»
Bolitho rieb sich die Augen mit dem Ärmel und starrte nach Backbord voraus. Jetzt hatte sich die Osiris ganz gedreht, und er konnte die dichte Rauchwand sehen. Feuerzungen schossen heraus, sie rollte auf die See zu und machte das Chaos noch schlimmer.
Allday sprach es statt seiner aus.»Das muß Mr. Veitch gewesen sein. Hat den Hang angesteckt. Da ist vermutlich alles dürr wie Zunder. «Er seufzte.»Ein tapferer Mann. Bei der Küstenbatterie können sie jetzt bestimmt nichts mehr sehen vor Qualm. Da hat er ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht!»
Eine heftige Detonation rollte übers Wasser, und Bolitho sah, daß der dicke Rauch einen glühendroten Kern bekam.
Pascoe hustete vom Qualm.»Wir haben einen Transporter getroffen, Sir. Muß Pulver geladen haben!»
Trümmer klatschten ins Wasser. Auch hinter dem Rauch war das Krachen leichterer Geschütze zu hören — das mußte Javal sein, der sich wahrscheinlich mit zwei Gegnern auf einmal herumschlug.
Der Ausguck überschrie das Getöse:»Ein paar Franzosen laufen aus!»
«Haben wohl ihre Trossen gekappt«, sagte Bolitho.
Er konnte es ihnen nicht verdenken. Wenn einer oder mehrere von ihnen in Brand oder manövrierunfähig geschossen wurden, dann hatten sie nur Nachteile, wenn sie an Ort und Stelle blieben.
Er betastete mit der Schuhsohle das Deck. Es war leblos, abgesehen von dem heftigen Vibrieren beim Schießen. Keiner konnte sie mehr aufhalten.
Etwas sauste an ihm vorbei und krachte in einer jaulenden Woge von Splittern gegen einen Neunpfünder. Männer fielen um sich schlagend und schreiend: Blut spritzte auf Bolithos Kniehose.
Er wandte sich um und sah Farquhar an der Achterdecksreling lehnen. Er blickte starr zur untersten Rah empor und preßte beide Hände auf die Brust.
Bolitho eilte zu ihm.»Ich bringe Sie unter Deck!»
Langsam wandte Farquhar ihm den Blick zu. Vor Anstrengung entblößte er die Zähne und formte jedes Wort einzeln, um die Schmerzen zu unterdrücken.»Nein. Lassen — Sie mich. Muß — hierbleiben. Muß.»
Er hatte das Vorderteil seines Uniformrocks zu einem festen Knäuel zusammengedreht, das jetzt schon leuchtend rot war.
«Ich bringe ihn hinunter«, sagte Allday.
Wieder erzitterte das Schiff, als die untere Batterie ihre Wut an den noch verankerten Transportern ausließ. Mehrere Masten waren dort gefallen, die beiden vordersten Schiffe lagen gefährlich schief, das eine wurde beinahe überspült, das andere war ein rauchgeschwärztes Wrack.
Farquhar versuchte, den Kopf zu schütteln.»Laßt die Pfoten von mir!«Schwankend fiel er gegen Bolitho.»Mr. Outhwaite!»
Aber der Erste Offizier saß gegen eine verlassene Kanone gelehnt, den Kopf auf die Brust gesunken; das Deck um ihn herum war blutüberströmt.
«Allday!«rief Bolitho.»Holen Sie Mr. Guthrie! Alle Verwundeten sollen aufs Hauptdeck gebracht werden, auf die Backbordseite! Aber machen Sie rasch!»
Der Rauch am Hang mischte sich mit dem der Kanonen. Wenigstens hatte Veitchs Kühnheit den Verwundeten eine Chance gegeben. Ohne den Rauchschirm hätten die beiden Belagerungsgeschütze jeden Versuch, Boote auszusetzen, vereitelt. Nun feuerten die Franzosen blind über das Wasser, und das unheimliche Heulen der schweren Kaliber mischte sich mit den Schreien der Sterbenden und Verwundeten.
Ein kleiner Mann tauchte aus dem Qualm auf — der Schiffsarzt.
Trotz Farquhars Protest riß er ihm den goldbetreßten Uniformrock auf. Das Haar wurde ihm von einer tieffliegenden Kugel ins Gesicht geweht, während er einen dicken Verband über den hellroten Fleck legte.
«Gehen Sie nach unten, Andrews!«keuchte Farquhar.»Kümmern Sie sich um die Leute!»
Verzweifelt sah der Arzt zu Bolitho auf.»Ich bringe die Verwundeten an Deck, Sir. «Verwirrt starrte er das zerschmetterte Schanzkleid an und die hingemähten Toten. Selbst nach der grauenvollen Arbeit, die er tief unten im Orlopdeck zu verrichten hatte, mußte ihm das hier oben wie die Hölle vorkommen.»Werden Sie die Flagge streichen, Sir?»
Farquhar hörte es und keuchte: «Streichen? Scheren Sie sich weg, Sie verdammter Idiot! Eher will ich Sie in der Hölle sehen, als daß ich meine Flagge streiche!»
Bolitho winkte Pascoe.»Kümmere dich um den Captain! Auch Sie bleiben hier, Allday!»
Er scherte sich nicht um ihre Bestürzung, sondern rannte zur Reling, starrte mit schmerzenden Augen durch den Rauch, bis er den Bootsmann entdeckt hatte. Er wußte seinen Namen nicht mehr, aber er rief ihn an; endlich sah der Mann zu ihm auf, das Gesicht von Pulverrauch und verkohlten Trümmern so schwarz wie das eines Negers.
«Bringen Sie den Kutter an Steuerbord zu Wasser! Auch ein Floß, wenn Sie es schaffen können!»
Auf einen Ruf Pascoes wandte er sich um und sah ein bleiches Segeldreieck durch den Rauch näherkommen; der Rumpf war noch nicht zu sehen.
Seine Degenspitze berührte das Deck, denn ihm sanken hilflos die Arme hinunter. Die Frist war verronnen, der Franzose war da. Hatte sich wie ein Jäger, der ein waidwundes Tier verfolgt, zum Heck der Osiris geschlichen.
Bolitho sah auch, wie der Kommodorestander sich im ablandigen Wind hob, und er fragte sich flüchtig, ob man von drüben auch seinen Wimpel über diesem Chaos aus Blut und Vernichtung noch flattern sah. Eine Bö trieb den Qualm himmelwärts; nur an den gelbroten Flammenzungen, die aus dem Rauch schossen, sah man, daß dieser Windstoß Menschenwerk war.
Deck um Deck, immer paarweise, hämmerten die Geschütze des Vierundsiebzigers ihre Kugeln ins Heck der Osiris.
Das nahm kein Ende! Schon sah Bolitho die blindlings rennenden, stürzenden, zuckenden, sich wälzenden Gestalten kaum noch als Menschen, nur noch als formlose, sinnlose Schreckensbilder mit lautlos klaffenden Mündern.
Atemlos wankte er zur Reling, soweit sie noch vorhanden war. Dort standen noch immer Pascoe und Allday und hielten, jeder von einer Seite, den Kommandanten aufrecht. Allday hatte eine tiefe Wunde im Arm. Pascoe eine dunkle Beule an der Stirn, wo ihn ein Holzstück getroffen hatte. Bolitho hatte noch nicht wieder Atem genug, um sprechen zu können, aber er hielt sich irgendwo fest und nickte ihnen zu.