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Schutznetze über dem Hauptdeck, die schlafferen vor den Wanten, die Enterer aufhalten sollten. Die Posten an jedem Luk, die Leute des Bootsmanns, deren Aufgabe es war, gebrochene Spieren zu kappen oder die Toten von einer umgestürzten Kanone wegzuräumen.

Bolitho beobachtete, wie Farquhar jede Einzelheit an Bord seines Schiffes auf Fehler oder Schwachstellen überprüfte. Unter ihren Füßen, unter dem menschenwimmelnden Geschützdeck, warteten schußbereit die Zweiunddreißigpfünder der Zwischendecksbatterie. Unter diesen jedoch standen, im Lichtkreis der Laternen wie Kirchhofsgespenster anzusehen, der Schiffsarzt und seine Helfer neben dem noch leeren Tisch, den blinkenden Messern und Sägen. Bo-litho dachte wieder an Luces todbleiches Gesicht, sein Flehen, seinen wilden Aufschrei. Er sah zu Pascoe hinüber, der an der Leeseite bei den Großwanten stand, im Gespräch mit einem Unteroffizier und einem Midshipman. Ob er wohl auch an Luce gedacht hatte?

Achtern, auf der Kampanje, wartete das Gros der MarineInfanteristen in drei Linien bei den Netzen; wenn die Osiris mit der Backbordseite angriff, würden sie in drei Gliedern feuern, wie Landsoldaten im Karree.

Bolitho versuchte, bekannte Gesichter herauszufinden, aber solche gab es für ihn kaum. Anonym waren sie, doch vertraut. Typen, doch keine Individuen. Seesoldaten und Matrosen, Leutnants und Midshipmen. Leute wie sie hatte er auf einem Dutzend Schiffen und in ebenso vielen Geschwadern gesehen.

Das silberne Achselstück eines Leutnants der Marine-Infanterie glühte plötzlich auf, wie von innen erleuchtet. Bolitho wandte den Kopf nach Steuerbord und sah den Rand der Sonne über die Kimm steigen; die Strahlen flossen über das leichtgekräuselte Wasser auf ihn zu wie geschmolzenes Metall.

«Wird ein schöner Tag«, bemerkte Allday.

Leutnant Outhwaite stand am Hauptniedergang. Auch erstarrte in die aufgehende Sonne, und seine Augen glitzerten wie kleine Quarzsteine. Wie sein Kommandant war er tadellos gekleidet; sein Hut saß genau vorschriftsmäßig, das lange, im Nacken zusammengebundene Haar hing den Rücken hinunter.

Farquhar trug seinen Hut noch nicht; ein Midshipman stand mit Hut und Degen in der Hand neben ihm wie der Garderobier eines Schauspielers vor dessen allerschwierigstem Auftritt. Bolitho konnte erkennen, daß Farquhar tatsächlich die Lippen bewegte. Sprach er mit sich selbst oder probte er eine Rede an seine Männer? Sein weißblondes Haar hatte er im Nacken mit einem eleganten schwarzen Schleifchen gebunden. Was in den nächsten Stunden auch geschehen würde — Farquhar war gut angezogen.

Er schien Bolithos forschenden Blick zu spüren und wandte sich zu ihm um.»Eine neue Garnitur, Sir«, erläuterte er mit zögerndem Lächeln.»Ich dachte daran, wie Sie es vor einem wichtigen Gefecht zu halten pflegten — und da Ihre Garderobe nicht verfügbar ist, meinte ich, es wäre an mir, das Repräsentieren zu übernehmen.»

«Sehr freundlich von Ihnen«, erwiderte Bolitho und blickte wieder auf die größer gewordene Landmasse, die beinahe schon den Bugspriet zu berühren schien.

«Der Feind wird das Feuer erst eröffnen, wenn er ein sicheres Ziel hat. Seine Kanoniere haben die Sonne direkt in den Augen; aber wenn wir erst einmal vor der Ostküste segeln, wird uns das nicht viel nützen. Hinter der Bucht liegt, glaube ich, eine kleine Senke. Eine gute Stellung für weitreichende Artillerie.»

Angestrengt spähte er über den Bug; da sang jemand aus:»Brecher an Backbord voraus!»

«Das wird das verdammte Riff sein, Sir«, sagte der Master gepreßt.

«Fallen Sie einen Strich ab, Mr. Bevan. Steuern Sie Nordost zu Nord. «Farquhar blickte seinen Ersten Offizier an.»Haben Sie einen guten Lotgasten in den Rüsten?»

«Aye, Sir«, bestätigte der mit einem fragenden Ausdruck auf seinem Froschgesicht.»Ich habe ihm selbst noch mal klargemacht, wie wichtig seine Aufgabe ist.»

Zu seiner Überraschung konnte Bolitho trotz der nagenden Ungewißheit des Wartens lächeln. Farquhar und Outhwaite paßten gut zueinander. Also hatte Farquhar vielleicht doch recht mit seinen Auswahlmethoden.

Jetzt sickerte das Licht über die kleinen Strande und hob sie hell von den Hügeln und waldigen Buchten ab. Auch die Meeresoberfläche wurde klarer; die winzigen weißen Katzenpfötchen an Steuerbord verschwanden und mischten sich bis zur Kimm mit der kupferrot aufgehenden Sonne.

Vielleicht hat auch der wirkliche Lysander die See hier so gesehen, dachte Bolitho, damals als die Triremen und Galeeren ine i-nanderkrachten und der Himmel von Pfeilen verdunkelt und von Brandern durchzuckt war.

Achtern hörte er unvermittelt das Quietschen und Rumpeln ausfahrender Geschütze: Javal machte sich fertig.

«Drei Strich Kursänderung: Kurs genau Nord!«befahl Farquhar knapp.

Er beugte sich über die Netze, um zu beobachten, wie eine Sandbank, ein Felsen am Heck vorbeiglitt. Kreischend stiegen ein paar Möwen von ihrem kleinen Eiland hoch, blendend weiß gegen das zurücktretende, dunkle Land. Sie umkreisten die Masten, auf Futter hoffend, lärmend, gierig. Dicht neben seinem Stander tauchte eine Möwe mit wütendem Geschrei im Sturzflug nieder. Der schlug träger, drüben das Land hielt den Wind ab. Bolitho dachte an Pro-byn. Hoffentlich hatte er sein Schiff rechtzeitig in Position gebracht und die Zeit eingerechnet, die ihm durch ungünstigen Wind, durch die tückische Strömung in der engen Einfahrt verlorengehen konnte. Er zog seine Uhr und konnte das Zifferblatt jetzt bereits ganz deutlich sehen, sogar die feine, schöngeschwungene Schrift Mudge and Dutton of London. Er ließ den Deckel zuschnappen und sah, wie Midshipman Breen bei dem scharfen Laut zusammenzuckte.»Gut«, sagte er,»wir sind am Vorland vorbei.»

Outhwaite fuhr herum und hob die Sprechtrompete an den Mund:»Mr. Guthrie, geben Sie durch: Geschütze ausrennen!»

Die Stückpforten öffneten sich quietschend; dann gab es eine kurze Pause. Jetzt sahen die Matrosen im unteren Batteriedeck das Land zum erstenmal. Eine Pfeife schrillte, das ganze Schiff erzitterte: die Osiris fuhr ihre Geschütze aus.

«Gei auf die Fock!»

Farquhar sah zu, wie das mächtige Segel gebändigt und aufgegeit wurde. Er schnippte mit den Fingern, und der Midshipman reichte ihm erst den Degen, dann den Hut, den er sich sorgfältig zurechtrückte. Dann schritt er nach vorn zur Luvlaufbrücke.

Die Fock hatte sich tatsächlich wie ein Vorhang gehoben: die Szenerie war aufgebaut, die Schauspieler standen bereit.

Bolitho zog den Degen und legte ihn vor sich auf die Reling. Glatt und kühl fühlte der Stahl sich unter seiner Handfläche an.

«Hißt die Flagge!»

Er hörte den Block quietschen und sah den großen Schatten der Flagge über der Laufbrücke und die leichte Bugwelle gleiten.

«Jetzt klar zum Feuern, Jungs; und daß mir jede Kugel trifft!»

Er warf einen raschen Blick auf das nächste Geschütz: so sahen alle Geschützbedienungen in der ganzen Flotte aus. Ein Matrose, direkt unterhalb des Achterdecks bei einem Sechzehnpfünder stehend, stützte sich auf seinen Rammstock, das Halstuch um die Ohren gewickelt, damit ihm das Krachen des Schusses nicht die Trommelfelle zerriß. Männer wie dieser waren mit Drake[25] auf seiner Revenge gesegelt und hatten Hurra gerufen, als die Armada[26] >aus dem Kanal getrommelt< wurde. Aber diesmal gab es kein Hurrageschrei, nicht einmal einen einzigen Ruf. Grimmig schauten die Männer durch die offenen Stückpforten oder standen so dicht beieinander, als wollten sie sich gegenseitig stützen. Far-quhars Finger schlossen und öffneten sich nervös um seinen Degengriff, mit hocherhobenem Haupt starrte er auf die dunstige Küstenlinie, von der das feindliche Feuer kommen würde.

Auf dem Kamm des nächstgelegenen Hügels blinkte etwas auf, doch nur dieses eine Mal. Eine zerbrochene Flasche, die den ersten Strahl der Morgensonne reflektierte? Oder ein Lichtstrahl auf der Linse eines Teleskops? Bolitho stellte sich vor, wie das Signal über die Berge an die wartende Artillerie weitergegeben wurde: Die Engländer kommen. Wie erwartet und vorausbedacht. Grimmig zog er die Brauen zusammen. Was auch kommen würde, sie mußten die Aufmerksamkeit des Feindes so lange auf sich ziehen, bis Probyn sich von der nördlichen Einfahrt her auf die ankernden Schiffe stürzen konnte. Ein paar schwere Breitseiten in die volle Reede, und ihre Chancen würden sich beträchtlich bessern.

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25

Sir Francis Drake, 1540–1596, englischer Seefahrer und Freibeuter.

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26

Flotte Philipps II. 1588 im Ärmelkanal auseinandergetrieben.

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