«Gut. Wir wollen das Haus suchen und die Sache erledigen. «Er schwankte und hielt sich an Alldays Schulter fest.» Verdammt!»
Während sie sich durch eine Gasse schwatzender Händler drängten, sah Allday ihn bestürzt an.
«Der capitan?«fragte Larssen.»Nix gut?»
Allday packte ihn heftig beim Arm.»Hör zu. Aber hör gut zu. Wenn es das ist, was ich denke, dann ist er in einer Stunde vollkommen fertig. Bleib dicht bei mir und tu genau, was ich tue, verstanden?»
Hilflos hob der Schwede die Schultern.»Yessir, Mr. All-Day.»
Zum Glück war das Haus nicht weit von der Hafentreppe. Das weißgekalkte Gebäude lehnte sich, als wolle es sich stützen, an eine der Bastionen; auf dem breiten Balkon sah Bolitho ein großes Teleskop wie ein Geschütz auf die Hafenanlagen gerichtet.
Er tastete unter seinem Rock nach der Pistole, ob sie auch so lok-ker säße, daß er sie notfalls blitzschnell ziehen konnte. Es war schon ein rechtes Hazardspiel. Vielleicht wußte dieser französische Agent bereits vom Schicksal des Schiffes, dem der Brief anvertraut worden war. Das Geleit, das die Buzzard gejagt hatte und mit dem der Schoner gesegelt war, konnte Malta angelaufen, entsprechenden Bescheid gegeben und dann seinen Weg fortgesetzt haben.
Doch das hielt er immer noch für unwahrscheinlich. Wenn dieser Brief wirklich von so großer Wichtigkeit war, dann hätte ihn eine der Fregatten an Bord gehabt und ihn, wahrscheinlich bei Nacht, mit einem Boot an Land gebracht.
«Los, weiter«, sagte er kurz.»Wir müssen schnell machen.»
Das Erdgeschoß des Hauses stand voller Weinfässer und Strohballen, wohl zum Verpacken der Flaschen. Ein paar Malteser Arbeiter rollten leere Fässer über eine Rampe in den Keller hinunter, ein gelangweilter Mann in zerknittertem Hemd und senffarbener Kniehose machte Eintragungen in ein Buch, das auf einem hochgestellten Faß lag. Mißtrauisch sah er auf. »Si?»
Schwer zu sagen, was er für ein Landsmann war — er konnte ebensogut Grieche sein wie Holländer.
Bolitho sagte:»Ich spreche nur englisch. Ich bin der Skipper des amerikanischen Schiffes, das eben vor Anker gegangen ist.»
Der Mann antwortete nicht gleich, aber in seinen Augen war zu lesen, daß er alles verstanden hatte. Schließlich sagte er:»Amerikaner. Ja, verstehe.»
Bolitho räusperte sich und gab sich Mühe, mit fester Stimme zu sprechen.»Ich möchte M'sieur Gorse sprechen.»
Wieder der unbewegte Blick. Doch er gab kein Alarmzeichen, seine Leute arbeiteten weiter, ohne sich um die Besucher zu kümmern.
Endlich sagte er:»Ich weiß nicht, ob ich das arrangieren kann.»
Allday rückte ihm dicht auf den Leib und starrte ihn wütend an.»Der Käpt'n sagt, er will ihn sprechen, und damit hat sich's, Kerl! Wir sind mit diesem gottverdammten Brief nicht so weit hergekommen, daß wir noch Lust hätten, stundenlang zu warten!»
Der Mann lächelte dünn.»Ich muß vorsichtig sein. «Er sah bedeutsam zum Hafen hin.»Und Sie auch!»
Er klappte das Buch zu und winkte sie zu einer engen Steintreppe.
«Bleiben Sie mit Larssen hier, Allday«, sagte Bolitho. Sein Mund war völlig trocken, der Gaumen brannte wie heißer Sand. Abwehrend schüttelte er den Kopf.»Keine Widerrede! Wenn's jetzt noch schiefgeht, haben drei auch nicht mehr Chancen als einer. «Er versuchte, beruhigend zu lächeln.»Ich rufe Sie schon, wenn Not am Mann ist.»
Damit drehte er sich um, ging hinter dem Angestellten die Treppe hinauf und trat dann durch eine Tür in einen langen Raum, der zum Hafen hin offen war. Schiffe und Häuser schimmerten in der Sonne wie ein riesiger Gobelin.
«Ah, capitaine!«Ein weißgekleideter Mann kam vom Balkon herein.»Ich habe mir beinahe gedacht, daß Sie es sind.»
Yves Gorse war klein und rundlich. Er hatte zierliche, ruhelose Hände und wie zum Ausgleich für seine vollständige Kahlheit einen dichten schwarzen Bart.
Bolitho musterte ihn gelassen.»Ich wollte schon früher einlaufen, aber ich bin einer britischen Fregatte begegnet. Mußte meine Papiere über Bord werfen; aber dann konnte ich den Bastard in einem Sturm abschütteln.»
«Aha. «Gorse deutete mit seiner zierlichen Hand auf einen Stuhl.»Bitte nehmen Sie Platz. Sie sehen nicht wohl aus, capitaine?»
«Mir geht's gut.»
«Vielleicht. «Gorse ging zum Fenster und sah aufs Wasser hinaus.»Und wie ist Ihr Name?«»Pascoe. Ein Name aus Cornwall.»
«Das ist mir bekannt, capitaine.«Mit überraschender Leichtigkeit drehte er sich um.»Aber ein capitaine Pascoe ist mir nicht bekannt — eh?»
Bolitho zuckte die Achseln.»Bei diesem Spiel muß man lernen, einander zu vertrauen, nicht wahr?»
«Spiel?«Gorse tat ein paar Schritte durchs Zimmer.»Das ist es nie gewesen. Doch Ihr Land ist wohl noch zu jung, um die Gefahr richtig zu sehen.»
Ärgerlich entgegnete Bolitho:»Haben Sie unsere Revolution vergessen? Mir ist doch, als hätte sie ein paar Jahre vor der Ihren stattgefunden!»
«Touche«, sagte Gorse und zeigte lächelnd kleine, aber makellose Zähne.»Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Nun — dieser Brief. Kann ich ihn haben?»
Bolitho zog ihn aus der Tasche.»Sie sehen, M'sieur, ich vertraue Ihnen.»
Gorse öffnete den Brief und las, indem er ihn in einen Flecken Sonnenlicht hielt. Bolitho versuchte, nicht hinzusehen, nicht nach einem Anzeichen zu suchen, ob Gorse gemerkt hatte, daß der Brief neu versiegelt worden war. Aber Gorse schien zufrieden zu sein. Nein, erleichtert war das passendere Wort.
«Gut«, sagte er.»Vielleicht möchten Sie ein Glas Wein? Etwas
Besseres als dieses Zeug, das Sie nach — äh — wohin wollten Sie doch?»
Bolitho preßte die Finger in der Tasche zusammen, um das Zittern seiner Beine zu beherrschen. Er hatte das Gefühl, sie zitterten so stark, daß Gorse es bemerken mußte. Jetzt war der Augenblick. Versuchte er, mit irgendwelchen Spiegelfechtereien etwas aus Gorse herauszulocken, so würde der Mann sofort Bescheid wissen. Gorse war ein erfahrener Agent des Feindes. Sein Schiffsbedarfsund Weinhandel war eine in langen Jahren sorgfältig aufgebaute Tarnung. Offenbar hatte er nicht den Wunsch, nach Frankreich zurückzukehren, das er schon vor langer Zeit verlassen haben mußte. So mancher, der Kaufmann gewesen war wie er, hatte seine letzten Atemzüge getan, als er in einen blutverschmierten Korb hinunterstarrte und auf das Niedersausen des Fallbeils wartete.
Malta stand wie eine Schildwache zwischen dem westlichen und dem östlichen Mittelmeer. Gorses nachrichtendienstliche Tätigkeit würde ihm gut zustatten kommen, besonders wenn die französische Hauptflotte Toulon verließ, was sie schließlich eines Tages tun mußte.
Beiläufig erwiderte Bolitho:»Nach Korfu natürlich. Daran hat sich nichts geändert. Ich dachte, mein Freund John Thurgood wäre hier mit seiner Santa Paula vor Anker gegangen. Er wollte auch nach Korfu, wie Sie sicher wissen.»
Gorse lächelte bescheiden.»Ich weiß vieles.»
Bolitho versuchte sich etwas zu lockern und Befriedigung darüber zu empfinden, daß sein Schwindel akzeptiert wurde. Aber er fühlte sich immer schlechter; er merkte, daß sein Atem rascher ging. Allerlei Vorstellungen zuckten durch sein Hirn, wie Stücke aus einem Alptraum: die hellen, mit wehenden Palmen bestandenen Strande Tahitis und anderer ferner Inseln; Bilder von Menschen, die qualvoll am Fieber starben, und von Überlebenden, die sich zu einem erschreckten, verzweifelten Häuflein zusammendrängten.
Wie von fern hörte er sich sagen:»Und der Brief — gute Nachrichten?»
«Ja, capitaine. Die Malteser werden allerdings vielleicht anderer Ansicht sein, wenn die Zeit kommt. «Er schien besorgt:»Sie müssen sich aber wirklich ausruhen, capitaine! Sie sehen gar nicht wohl aus.»
«Fieber«, entgegnete Bolitho.»Alte Geschichte. Kommt immer wieder. «Er mußte in ganz kurzen Sätzen sprechen.»Aber deswegen — kann ich trotzdem segeln.»