«An Deck! Land in Lee voraus!»
Bolitho schritt zur Leeseite und spähte zur anderen Kimm hinüber, die schon tiefpurpurn war. Das mußte eine der kleinen Inseln vor Malta sein, vielleicht Gozo.
Unter der Kampanje hörte er einen Steuermannsmaaten schimpfen:»Du da, wie heißt du? Larssen, nicht wahr?«Eine gemurmelte Antwort, und dann dieselbe Stimme:»Ich hab's dir immer wieder gesagt! Paß auf den Kompaß auf, und wie die Segel stehen! Steh nicht da und glotz und laß das Schiff laufen, wohin es will! Jesus, du wirst niemals Steuermannsmaat werden, nicht in hundert Jahren!»
Jetzt eine andere Stimme. Bolitho erkannte das hochnäsige Säuseln von Leutnant Fitz-Clarence.»Was schimpfen Sie denn so lästerlich, Mr. Bagley?»
«Ach, nichts Besonderes«, entgegnete der Steuermannsmaat.»Bloß daß das arme alte Schiff voll lausiger Ausländer ist, denen man alles zweimal sagen muß!»
Langsam schritt Bolitho auf und ab. Bagley hatte natürlich recht. Wie viele Schiffe des Königs hatte die Lysander eine gute Portion fremder Seeleute an Bord. Schweden und Spanier, Hannoveraner und Dänen. Auch elf Neger waren dabei und ein Kanadier, der besser französisch sprach als Farquhar.
Er mußte plötzlich an den amerikanischen Kapitän denken, John Thurgood. Nicht nur er würde eine freudige Heimkehr erleben. Die Mütter und Frauen der spanischen Matrosen, die Bolitho ihm von der Segura auf seine Barkentine geschickt hatte, würden weinen und lachen vor Freude, wenn Thurgood die Männer in ihrem He i-matland absetzte.
Er blieb an der Reling stehen und sah nach achtern. Aber die Segura war von den anderen Schiffen verdeckt und nicht zu sehen. Er seufzte. Einen Teil ihrer Mannschaft hatte er auf die amerikanische Barkentine geschickt, und eines ihrer Boote hatte er irgendwelchen französischen Fischern gegeben, beides im Austausch gegen Informationen. Informationen, die er nicht nutzen konnte. Wegen des Sturmes? Oder weil er die Lage nicht erkannt und deswegen seinem Geschwader nicht voll Genüge getan hatte?
Er hörte Schritte auf der Leiter; der Midshipman der Wache kam zögernd näher.
«Ja, Mr. Glasson?»
Der Midshipman faßte an den Hut.»Mr. Fitz-Clarence läßt mit Respekt melden, Sir, daß der Ausguck in Südosten Land gesichtet hat. Der Master sagt, es wäre Malta, Sir.»
«Danke.»
Bolitho sah ihn nachdenklich an. Glasson war siebzehn und hatte nach Luces Tod den Signaldienst übernommen. Sonnst gab es keine Ähnlichkeit zwischen den beiden. Glasson hatte scharfe Züge, eine scharfe Zunge und hielt streng auf Disziplin. Er würde einen schlechten Leutnant abgeben, wenn er so lange lebte. Es war ebenso merkwürdig wie bedauerlich, wie viele von Glassons Sorte es in der Flotte gab: junge Leute, die nichts aus den scheußlichen Meutereien gelernt hatten, bei denen die Mächtigen des Achterdecks im Handumdrehen zu einer kleinen, isolierten und gefährdeten Gruppe geworden waren. Zwischen den Kriegen war die Sache mit Captain Blighs Bounty passiert; der ganzen Nation war dieser Vorfall unter die Haut gegangen. Zivilisten waren stets bereit, mit größtem Eifer über das Gut und Böse bei Vorfällen zu urteilen, an denen sie nicht beteiligt waren und die für sie weder gefährlich noch unbequem wurden. Und dann die großen Revolten in der Nore-Flotte und bei Spithead,[21] beides Folgen des jahrzehntelangen Hundelebens, das die Seeleute hatten führen müssen. Kurz bevor Bolitho seinen Kommodorestander auf der Lysander gehißt hatte und nach Gibraltar ausgelaufen war, hatte er mit Schrecken und Abscheu vernommen, was es für Konsequenzen haben konnte, wenn Männer über das Ertragbare hinaus gequält wurden. Die Fregatte Seiner Majestät Hermione hatte einen spanischen Hafen angelaufen und sich dem Feind ergeben. Ihre Offiziere waren auf scheußlichste Weise abgeschlachtet worden, und von den loyal gebliebenen Matrosen und Unteroffizieren hatten einige das gleiche Schicksal erlitten. Die Meuterer hatten ihr Schiff dem Feind im Austausch für ihre Freiheit angeboten. Bolitho wußte von der Vorgeschichte der Meuterei nicht viel mehr, als daß der Kommandant ein furchtbarer Leuteschinder gewesen war. Wenn er diesen Glasson ansah, dessen Selbstvertrauen übrigens unter dem starren Blick seines Kommodore sichtbar welkte, konnte er sich nur wundern, daß solche Lehren immer noch unbeachtet blieben.
«Was erhoffen Sie sich von der Zukunft?»
Glasson richtete sich stramm auf.»Meinem König zu dienen, Sir, und einmal ein eigenes Schiff zu kommandieren.»
«Höchst lobenswert«, sagte Bolitho trocken.»Und haben Sie aus Ihrem Dienst auf der Prise etwas gelernt?»
Der Midshipman fühlte sich etwas erleichtert.»Die Dons sind lauter Strohköpfe. Sie haben keine Ahnung, und das Fahrzeug ist ein Saustall.»
Aber Bolitho hörte kaum hin. Ihm war der Brief eingefallen, den die Segura dem französischen Agenten namens Yves Gorse hätte bringen sollen. Angenommen, der Franzose wußte nicht, auf welchem Schiff die Instruktionen aus Toulon kamen? Nachrichtenübermittlung war schwierig, und die Franzosen behandelten ihr Endziel immer noch als Geheimnis; da würde er vermutlich kaum vorherwissen, aufweiche Art ihn seine Anweisungen erreichen sollten.
«Mein Kompliment an Flaggkapitän Farquhar«, sagte er zu Glas-son,»und er möchte bitte zu mir auf die Kampanje kommen.»
Als Fraquhar fünf Minuten später erschien, schritt Bolitho auf und ab, die Hände auf dem Rücken, in tiefes Nachdenken versunken.
«Sie haben eine Idee, Sir?«tippte Farquhar an.
Bolitho blieb stehen und sah ihm ins Gesicht.»Ich glaube, die habe ich. Ich war so tief in meine Befürchtungen verstrickt, daß ich nicht sah, was auf der Hand lag.»
«Sir?»
«Ich hörte Steuermannsmaat Bagley einen Rudergänger beschimpfen, weil der ihn nicht gleich verstanden hatte.»
Farquhar zog die Brauen zusammen.»Das muß Larssen gewesen sein, Sir. Ich kann ihn ablösen lassen.»
«Nein, nein! Darum geht es nicht«, sagte Bolitho und starrte ihn immer noch an.»Und dann noch etwas, das Glasson eben über die Segura sagte.»
«Ich verstehe, Sir. «Farquhar war völlig verwirrt.»Das heißt, ich glaube zu verstehen.»
Bolitho lächelte.»Diese Segura. Wir haben sie mitgeschleppt und wußten nicht, warum. Aus Eitelkeit? Als Beweis, daß wir nicht nur Mißerfolge hatten? Mit der Zeit haben wir vergessen, daß sie überhaupt da ist.»
Farquhars Augen, die Bolitho mit tiefem Zweifel betrachteten, glommen in der sinkenden Sonne.»Aber sie ist zu langsam zum Rekognoszieren — ich dachte, darüber wären wir uns einig.»
Bolitho nickte.»Stellen Sie eine neue Prisenmannschaft zusammen und verteilen Sie die Spanier, die noch auf der Segura sind, auf das Geschwader. Suchen Sie einen geeigneten Offizier und sagen Sie ihm, die Prisenbesatzung soll so ausländisch wirken wie nur möglich.»
«Aye, Sir. «Farquhar zeigte sich nicht einmal mehr überrascht. Wahrscheinlich glaubte er, die ständige Anspannung und Verantwortung hätten Bolitho schließlich doch um den Verstand gebracht.
«Und zwar sofort! Geben Sie dem Geschwader Signal zum Beidrehen, solange noch Tageslicht ist!»
Farquhar wollte schon wegeilen, fragte aber noch:»Was soll dieser Offizier für eine Aufgabe übernehmen, Sir?»
«Aufgabe, Captain?«Er wandte sich ab, um seine aufsteigende Erregung zu verbergen.»Er soll die Segura unter falscher Flagge nach Malta segeln. Am besten unter amerikanischer. Und dort soll er für mich einen Brief abliefern.»
«An den französischen Agenten?«rief Farquhar.
«Genau. «Wieder ging er auf und ab.»Fangen Sie gleich an!»
Doch Farquhar blieb noch stehen.»Das ist aber riskant, Sir.»
«Das haben Sie mir schon mal gesagt. Und Thomas Herrick auch. Haben Sie denn nie was riskiert?»
Farquhar lächelte.»Die Matrosen werden wahrscheinlich desertieren, sobald sie in Malta sind. Und der betreffende Offizier wird gefangengenommen und gehängt werden. Die Malteser wissen nur zu gut, wie gefährlich es für sie ist, Frankreichs Mißfallen zu erregen. Früher waren sie uns freundlich gesinnt, aber jetzt sind ihnen die französische Armee und Flotte viel näher als damals«, schloß er achselzuckend.