Литмир - Электронная Библиотека

Bolitho schaute in seinen Becher. Es wäre nur zu leicht gewesen, Ozzard nach frischem Kaffee zu schicken. Kaffee war eine seiner Schwächen. Aber er wollte sich an seine Regeln halten und seinen Vorrat so lange wie möglich strecken.

Er hörte das beharrliche Klopfen der Hämmer. Die Reparaturarbeiten gingen pausenlos weiter. Dies war der vierte Morgen nach dem Gefecht. Die Lysander, gefolgt von der Schaluppe und der Prise, war langsam weiter nordostwärts gekrochen; die Leute arbe i-teten, bis es dunkel wurde, damit das Schiff für den Notfall wieder kampfbereit war.

Noch einmal vergegenwärtigte er sich die Karte, die er vor seinem frugalen Frühstück studiert hatte. Sie waren gezwungen, sehr langsam zu segeln. Zerfetzte Leinwand mußte von den Rahen genommen und geflickt oder ersetzt werden. Der Klüverbaum mußte nach der Kollision mit dem französischen Vierundsiebziger fast ganz neugetakelt werden; Bolitho war durchaus mit Herrick einverstanden, der in seinem Bericht den Schiffszimmermann Tuke wegen Fleißes und sauberer Arbeit gelobt hatte.

Mit Recht hatte Herrick auch über Leutnant Veitch sehr Günstiges geschrieben. Der Dritte Offizier hatte während des ganzen Gefechts die Batterien befehligt; und darüber hinaus hatte er selbständig, ohne um Rat oder Erlaubnis zu fragen, seine Geschütze doppelt laden lassen, um den Karronadenbeschuß zu unterstützen. Doppelte Ladung war schon unter besten Bedingungen und mit erfahrenen Mannschaften eine riskante Sache. Und doch hatte

Veitch einen genügend klaren Kopf bewahrt, um die richtigen Männer aus den gerade nicht beschäftigten Geschützbedienungen herauszusuchen. Auch Midshipman Luce, Bootsmann Yeo und Major Leroux waren, Bolithos Zustimmung vorausgesetzt, im Bericht des Kommandanten lobend erwähnt worden. Jedoch die Kehrseite der Medaille: Dreizehn Mann der Lysander waren in der Schlacht gefallen oder später an ihren Verletzungen gestorben. Der Schiffsarzt hatte noch fünf gemeldet, die jeden Moment sterben konnten, und zehn andere, die mit einigem Glück wieder dienstfähig werden würden.

Die Verluste des Feindes waren vermutlich weit höher; dazu kam noch die Blamage, von einem einzelnen Schiff in die Flucht geschlagen worden zu sein. Doch wo es sich um Menschen handelte, war das ein geringer Trost. Man mußte noch Wochen, vielleicht noch Monate, ohne Ersatz auskommen. Muskeln und Knochen waren wesentlicher als Hanf und Eichenholz; die Menschen selber waren für das Schiff schlechthin lebenswichtig.

Bolitho versuchte, nicht an seinen eigenen Bericht zu denken, der noch unvollendet neben Moffitts knochigem Ellbogen lag.

«Fahren wir fort, Sir?«fragte der Schreiber. Seine Stimme war wie der ganze Mann dünn und kratzig. Laut Musterrolle war er achtunddreißig, doch sah er eher wie sechzig aus.

Bolitho musterte ihn nachdenklich.»Wie weit sind wir?»

Die Feder glitt übers Papier: «Während der ganzen Aktion war das Schiff ständig unter Kontrolle, und nur als es im Rigg des zwe i-ten französischen Schiffes verstrickt war, ist es etwas abgetrieben.«Die gläsernen Augen hoben sich.»Sir?»

Bolitho stand auf und ging zur Heckgalerie, die Hände auf dem Rücken. Er konnte Herricks Gesicht nicht aus seinen Gedanken verdrängen, wie es während des Gefechts, in dem Moment, als die Kollision sich als unvermeidlich erwies, ausgesehen hatte. Das war der entscheidende Augenblick gewesen. Es war stärker als der Kanonendonner, die furchtbaren Schreie, das zuckende Scharlachrot beim Ruder: in diesen entscheidenden Minuten hatte Herrick gezögert. Noch schlimmer: als die Franzosen die Initiative an sich gerissen hatten und das Schiff von beiden Seiten angreifen konnten, hatte Herrick die falsche Entscheidung getroffen. Bolitho war, als höre er wieder seine Stimme hier in der Kajüte: die Angst, mit der er Gilchrist befohlen hatte, die Enterer abzuwehren. Eben das war falsch gewesen. Eine Defensivmaßnahme in diesem Stadium hätte den Kampfeswillen der Mannschaft erstickt; ebensogut hätte man die Flagge der Lysander vor ihren Augen streichen können.

Er zwang sich dazu, Herrick als den Kommandanten der Lysan-der zu betrachten und nicht als Thomas Herrick, seinen Freund. Früher hätte er jeden höheren Offizier verachtet, der aus Freundschaft Versagen oder Unfähigkeit deckte. Doch jetzt wußte er, Entscheidungen fielen nicht so leicht und auch nicht so frei von Vorurteil. Herrick hatte ihn beinahe beschworen, auf dem Achterdeck zu bleiben und sich nicht am Kampf zu beteiligen. War das reine Freundschaft, oder weil er Bolithos Rat und Entschlußkraft nicht entbehren konnte? Bolitho hatte bemerkt, wenn auch erst viel später, daß der französische Kommandant achtern geblieben war, während sich seine Männer, die die Lysander geentert hatten, auf blutigem Pfad vorwärtskämpften. Wie wäre der Kampf verlaufen, überlegte Bolitho, wenn der französische Kommandant an der Spitze seiner Männer in vorderster Front gekämpft hätte, unter Gefahr für Leib und Leben, während sein britischer Gegenpart sich herausgehalten hätte und in verhältnismäßiger Sicherheit geblieben wäre?

Er stützte sich auf das Süll unter dem salzfleckigen Fenster. Herrick war kein Feigling und konnte ebensowenig unloyal handeln wie seine Schwester verraten. Aber auf dem Achterdeck, als er am allernötigsten gebraucht wurde, hatte er versagt.

«Ich diktiere später zu Ende, Moffitt«, sagte Bolitho kurz. Er wandte sich ab und glaubte, in den Augen des Schreibers einen Funken Neugier aufglänzen zu sehen.»Sie können schon ins reine schreiben, was wir bisher erledigt haben. «Damit war Moffitt zunächst einmal beschäftigt, und Bolitho konnte den Abschluß des Berichts noch etwas aufschieben.

Es klopfte, und Herrick trat ein.»Ich dachte, Sie würden es sofort wissen wollen, Sir: Die Harebell hat signalisiert, daß sie im Osten zwei Segel gesichtet hat. «Seine blauen Augen streiften Moffitt.»Höchstwahrscheinlich ist es das Geschwader. «Bitter fügte er hinzu:»Diesmal!»

Bolitho sah, daß sein Blick auf den Bericht fiel, und verspürte ein gewisses Schuldgefühl; als hätte Herrick seine Gedanken gelesen, seine bitteren Zweifel.»Danke. Wie ist unsere Position?»

Herrick runzelte die Stirn.»Bei acht Glasen waren wir vierzig Meilen nördlich der Insel Mallorca. Bei der langsamen Fahrt, die wir machen, und den Schäden an Segeln und Ruder will sich selbst der Master nicht genauer festlegen.»

«Sie können gehen, Moffitt«, sagte Bolitho. Er hörte, wie Ozzard aus der Schlafkajüte direkt auf den Gang hinaustrat.

«Ihre Befehle, Sir?«fragte Herrick.

«Wenn wir wieder zum Geschwader stoßen, will ich eine Kommandantenbesprechung abhalten. «Bolitho trat ans Fenster und sah Herricks Spiegelbild in dem dicken Glas.»Sobald mir Captain Farquhar erklärt hat, warum er mit dem Rendezvous bis jetzt gewartet hat, werde ich darlegen, wie ich mir unser weiteres Vorgehen denke. Als Flaggkapitän müssen Sie dafür sorgen, daß jedes Schiff, von der Lysander bis zur Harebell, meine Dienstanweisungen genau versteht. Für mich ist Initiative ein durchaus brauchbarer Ersatz für blinden Gehorsam. Aber ich wünsche keine Manöver auf eigene Faust, und noch weniger dulde ich blanken Ungehorsam.»

«Ich verstehe, Sir«, erwiderte Herrick.

Bolitho wandte sich um und sah ihm ins Gesicht.»Was denken Sie, Thomas? «Er wartete gespannt. Herrick sollte sich aussprechen.»Was denken Sie wirklich?»

Herrick hob die Schulter.»Ich glaube, Farquhar ist eigennützig, er giert nach Beförderung und wird, so oft er nur kann, nach eigenem Ermessen und zu eigenem Nutzen handeln.»

«Aha.»

Bolitho trat an sein Weinkabinett und fuhr mit dem Finger über das Holz. Er sah sie noch vor sich, wie sie ihn anlächelte, hatte noch ihr ansteckendes Lachen im Ohr, als sie sah, wie sehr er sich über das Geschenk freute. Ihre Liebe war so warm, so großherzig gewesen. Und rücksichtslos war sie jedem über den Mund gefahren, der es gewagt hatte, sich über ihre Affäre kritisch zu äußern.

35
{"b":"113288","o":1}