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Als Bolitho das Schiff erreichte, fand er die Besatzung klar zum Ankermanöver und die Segel schon so weit losgemacht, daß sie kurzfristig gesetzt werden konnten. Wie befohlen meldete er sich in der Kajüte, wo Dumaresq und Gulliver Seekarten studierten. Dumaresq bat den Master, draußen zu warten, und sagte dann barsch:»Damit ich Sie nicht wegen Insubordination bestrafen muß, lassen Sie mich als ersten sprechen. Unsere Mission in diesen Gewässern ist für eine so leichte Fregatte wie die Destiny ein Wagnis. Ich habe das immer geahnt, aber dank dieser kleinen Information weiß ich jetzt, wo Garrick sein Hauptquartier hat, sein Lager für Waffen und sonstige ungesetzliche Handelswaren, und auch, wo die Schiffe liegen, mit denen er das alles verteilt. Das war sehr wichtig.»

Bolitho hielt seinem Blick stand.»Man hätte es mir sagen sollen,

Sir.»

«Sie haben es aber genossen, oder?«Dumaresqs Ton wurde weicher.»Ich weiß, wie es ist, wenn man sich in einen Traum verrennt. Mehr konnte es nicht sein. Sie sind Offizier des Königs und mögen sich sogar zu einem guten Offizier entwickeln, wenn mit der Zeit etwas Verstand hinzukommt.»

Bolitho schaute über Dumaresq hinweg auf die draußen vor Anker liegenden Schiffe; er überlegte, auf welchem Aurora sein mochte.

Er fragte:»Ist das alles, Sir?»

«Ja. Übernehmen Sie wieder Ihre Division. Ich will Anker lichten, sobald dieser Federfuchser Kopien meines Berichts für die örtlichen Autoritäten und für London fertiggestellt hat. «In Gedanken war er schon wieder bei den hundert anderen Dingen, die er noch erledigen mußte.

Bolitho stolperte aus der Kajüte in die Messe. Es war ihm zu schmerzlich, sich vorzustellen, wie diese Kajüte noch vor kurzem ausgesehen hatte: mit ihren Kleidern, die ordentlich zum Trocknen aufgehängt waren, mit der jungen Zofe, die sich immer in der Nähe hielt für den Fall, daß sie gebraucht wurde. Vielleicht war die Methode, die Dumaresq anwandte, richtig, aber mußte er so brutal und gefühllos sein?

Rhodes und Colpoys erhoben sich, umihnzu begrüßen, und sie schüttelten einander feierlich die Hände.

Bolitho berührte das Stückchen Papier in seiner Tasche und fühlte sich stärker. Was Dumaresq und die anderen auch denken mochten, sie konnten nicht wissen, wie schön es wirklich gewesen war.

Bulkley trat in die Messe, sah Bolitho und wollte ihn gerade fragen, welche Fortschritte seine Wunde machte; doch Rhodes schüttelte leicht den Kopf, und so rief der Arzt nur nach Poad und bat um eine Tasse Kaffee.

Bolitho würde darüber hinwegkommen. Aber es mochte einige Zeit dauern.»Anker ist los, Sir!»

Dumaresq trat an die Reling und schaute hinüber zum Spanier, während die Destiny mit von der frischen Brise geblähten Segeln der offenen See zustrebte.

Er sagte:»Das wird den Don ärgern. Seine halbe Besatzung ist an Land, um Vorräte zu ergänzen, also kann er uns erst in einigen Stunden folgen. «Er warf den Kopf zurück und lachte.»Hol dich der Teufel, Garrick! Genieße noch dein bißchen Freiheit!»

Bolitho beobachtete, wie seine Leute das Broßbramsegel setzten und einander derbe Scherzworte zuriefen, als wären auch sie von Dumaresqs Erregung angesteckt. Aussicht auf Tod, Prisengeld, ein neues Land — alles war für sie Anlaß zur Fröhlichkeit.

Palliser rief vom Achterdeck:»Bringen Sie die Leute auf Trab, Mr. Bolitho, die haben heute ja Blei in den Knoche n.»

Bolitho wandte sich nach achtern und hatte schon eine ärgerliche Antwort auf der Zunge. Aber dann zuckte er die Schultern. Palliser wollte ihm auf die einzige Art helfen, die er beherrschte.

Nachdem sie die gefährlichen Untiefen von Bluff Point umfahren hatten, setzte die Destiny weitere Segel und nahm Kurs nach Westen. Später, als Bolitho die Nachmittagswache übernahm, studierte er die Karte und Gullivers sorgfältig eingetragene Berechnungen.

Fougeaux Island war sehr klein und gehörte zu einer weitverstreuten

Inselgruppe, gut 150 Meilen westnordwestlich von St. Christopher. Es war nacheinander von Frankreich, Spanien und England beansprucht worden, selbst die Holländer hatten sich eine Zeitlang dafür interessiert.

Jetzt war es keinem Land Untertan, denn allem Anschein nach gab es da nichts zu holen. Es fehlte an Bäumen für Bau- und Brennholz, und es mangelte laut Seehandbuch sogar an Trinkwasser. Ein kahles, feindliches Stück Land mit einer sichelförmigen Lagune als einzigem Vorzug. Sie konnte Schutz bei Sturm bieten, aber kaum mehr. Doch, wie Dumaresq bemerkt hatte, was verlangte Garrick auch sonst?

Bolitho beobachtete den Kommandanten, der so ruhelos an Deck auf und ab ging, als hielte er es in seinen Räumen nicht mehr aus, seit das Ziel so nahe lag. Gegenwind erschwerte ihr Vorwärtskommen und zwang das Schiff zu langen Kreuzschlägen, bei denen sie der Insel nur wenig näher kamen.

Aber die Aussicht, zumindest einen Teil des verlorenen Goldes zu finden, ließ sie die knochenbrechende Arbeit bei den dauernden Wendemanövern, das Durchholen der Brassen und das immer wieder neue Trimmen der Segel vergessen.

Wenn die Insel nun leer war oder gar nicht die richtige? Bolitho glaubte es nicht. Aurora mußte gewußt haben, daß nur Garricks Gefangennahme sie und ihren Mann vor seiner Rache schützen konnte. Und auch, daß Dumaresq sie ohne diese Information nie freigelassen hätte.

Am nächsten Tag dümpelte die Destiny mit schlappen Segeln bewegungslos in einer Flaute.

Weit weg an Steuerbord sah man den vagen Umriß einer Insel, aber sonst hatten sie den Ozean allein für sich. Es war so heiß, daß die Füße an den Decksnähten klebenblieben und die Kanonenrohre sich anfühlten, als hätten sie eine Schlacht hinter sich.

Gulliver sagte:»Bei einem nördlicheren Kurs hätten wir mehr Glück mit dem Wind gehabt, Sir.»

«Das weiß ich selbst, verdammt noch mal. «Dumaresq wandte sich ihm erbost zu.»Aber wir wären vielleicht auf ein Korallenriff gelaufen. Wollten Sie das riskieren? Wir sind eine Fregatte und kein flaches Fischerboot.»

Den ganzen Tag über und auch noch den halben nächsten rollte das

Schiff unbehaglich in der schwachen Dünung. Ein Haifisch glitt vorsichtig um ihr Heck, und einige Matrosen versuchten ihr Glück mit einem großen Angelhaken.

Dumaresq schien das Deck überhaupt nicht mehr verlassen zu wollen. Als er an Bolitho während dessen Wache vorbeiging, sah er, daß sein Hemd schweißgetränkt war; auf seiner Stirn hatte sich eine Blase gebildet, die er aber nicht zu bemerken schien.

Als die Nachmittagswache zur Hälfte um war, tastete der Wind sich wieder über die glitzernde Wasserfläche an sie heran, aber mit ihm kam eine Überraschung.

«Schiff, Sir! An Backbord achteraus!»

Dumaresq und Palliser beobachteten, wie die bräunliche Segelpyramide über den Horizont stieg. Das große rote Kreuz auf der Breit-fock hob sich deutlich ab und beseitigte alle Zweifel.

Palliser rief erbittert:»Der Don, Gott strafe ihn!»

Dumaresq ließ mit versteinertem Blick das Glas sinken.»Fitzpa-trick! Er muß es ihnen verraten haben. Sie sind auf Blut aus. «Er sah seinen Ersten Offizier an.»Wenn Don Carlos Quintana sich jetzt einmischt, wird es aber sein eigenes Blut kosten!»

«An die Brassen und Schoten!»

Die Destiny erbebte und legte sich kräftig vor die auffrischende Brise. Mit neuerwachter Kraft warf sie Wolken von Gischt an ihrer weißen Galionsfigur hoch.

Dumaresq sagte:»Lassen Sie die Leute an den Geschützen exerzieren, Mr. Palliser. «Er starrte achteraus auf das andere Schiff. Es schien schon viel näher gekommen zu sein.

«Und setzen Sie bitte unsere Flagge. Ich will nicht, daß uns der verdammte Spanier in die Quere kommt.»

Rhodes dämpfte seine Stimme.»Und das meint er ernst, Richard. Dies ist sein großer Augenblick. Er wird lieber sterben, als ihn zu teilen.»

Einige Leute auf dem Achterdeck sahen einander an und machten ängstliche Bemerkungen. Die eingefleischte Verachtung, mit der sie jede andere Marine außer der eigenen beurteilten, war nach dem langen Aufenthalt in Basseterre etwas erschüttert. Die San Augustin besaß mindestens vierundvierzig Kanonen, die Destiny dagegen nur achtundzwanzig.

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