Er ließ den Blick über das kleine Landekommando wandern. Zwei Leute stammten von der Besatzung der Heloise und hatten inzwischen ihren Eid für den Dienst in der Marine Seiner Majestät geleistet. Noch etwas benommen von dem plötzlichen Wechsel in ihrem Leben, waren sie doch so gute Seeleute, daß sie bisher nicht mit den härteren Seiten des Bootsmanns Bekanntschaft geschlossen hatten.
Außer Stockdale war kein Mann von Bolithos eigener Division in der Gruppe, und er schloß daraus, daß an Bord wenig Begeisterung für den Ausflug auf eine unbewohnte Insel vorhanden gewesen war. Falls sie Wasser fanden, würde sich das schnell ändern.
Stockdale befahl:»Mir nach!»
Bolitho arbeitete sich den Hang hinauf. Seine Füße versanken in losem Sand, die Pistole im Gürtel brannte ihm auf der Haut wie glühendes Eisen. Seltsam, dachte er, wie sie hier auf diesem unbekannten Stückchen Erde herummarschierten. Sie konnten auf alles mögliche stoßen, auch auf die Knochen von schiffbrüchigen Seeleuten oder von Piraten Ausgesetzten, die ohne Hoffnung auf Rettung umgekommen waren.
Wie einladend ihnen die Palmwedel zuwinkten! Sie bewegten sich ganz leicht, und beim Näherkommen konnte man sie rauschen hören. Einmal hielt Bolitho an und schaute zum Schiff zurück. Es schien sich sehr weit weg über seinem Spiegelbild zu wiegen. Auf diese Entfernung hatte es seine kühnen Linien verloren. Seine Rahen und lose aufgebundenen Segel schwangen leicht hin und her und schienen im Dunst zu verschmelzen.
Die kleine Gruppe Seeleute war dankbar, als sie endlich in den Schatten einiger Palmen gelangte. Allerlei Laubwerk hakte sich mit scharfen Rändern in ihre zerlumpten Hosen, und sie atmeten den intensiven Duft von faulendem Unterholz und grell gefärbten Blüten.
Bolitho sah hoch über sich einen Fregattvogel kreisen. Seine wie Türkensäbel geschwungenen Flügel machten keine Bewegung, da er vom heißen Aufwind über der Insel getragen wurde. Also waren sie doch nicht völlig allein hier.
Ein Mann rief plötzlich aufgeregt:»Sehen Sie da drüben, Sir! Wasser!»
Jetzt drängten sie vorwärts, alle Müdigkeit war vergessen.
Bolitho starrte ungläubig in den Tümpel. Er schien leicht bewegt, also mußte es irgendwo einen unterirdischen Zufluß geben. Palmen spiegelten sich in seiner Oberfläche, und Bolitho sah auch seine Männer, die auf das Wasser hinunterblickten, nur als Spiegelbilder.
Er sagte:»Ich werd's mal probieren.»
Er kletterte das sandige Ufer hinunter und tauchte eine Hand ins Wasser. Sicher täuschte ihn der Eindruck, aber es fühlte sich an wie ein kühler Gebirgsbach. Er führte etwas in der hohlen Hand an die Lippen und probierte nach kurzem Zögern einen Schluck. Dann sagte er erleichtert:»Es ist trinkbar!»
Bolitho sah, wie seine Seeleute sich niederwarfen, das Wasser über Gesichter und Schultern schöpften und immer wieder gierig davon tranken. Auch Stockdale wischte sich befriedigt den Mund.
«Wir wollen uns einen Augenblick ausruhen und dann dem Schiff Signal geben«, entschied Bolitho.
Die Seeleute zogen ihre breiten Entermesser aus dem Gürtel und steckten sie in den Sand, bevor sie sich unter den Palmen ausstreckten oder sich erneut über das schimmernde Wasser beugten.
Bolitho hielt sich etwas abseits; als er seine Pistole untersuchte, ob auch kein Sand oder Wasser hineingeraten war, dachte er an den Augenblick, als Aurora zu ihm aufs Achterdeck gekommen war. Es durfte damit nicht zu Ende sein!
«Stimmt etwas nicht, Sir?«Stockdale kam schwerfällig den Abhang hoch.
Bolitho nahm an, daß er recht finster vor sich hingeblickt hatte.»Alles in Ordnung.»
Es war unheimlich, wie Stockdale immer zu wissen schien, wann er gebraucht wurde. Bolitho sprach gern mit dem riesigen rauhen Preisboxer, und dem ging es ebenso, aber es geschah ohne jeden Anflug von Unterwürfigkeit oder um sich Vorteile zu verschaffen.
Bolitho sagte:»Gehen Sie zum Boot und geben Sie Signal. «Er sah die Pistole fast in Stockdales großer Faust verschwinden.»Ich muß noch über etwas nachdenken.»
Stockdale sah ihn ruhig an.»Sie sind noch jung, Sir. Ich bitte um Vergebung, aber Sie sollten so lange jung bleiben, wie Sie können.»
Bolitho wußte nie so ganz, was Stockdale mit seinen kurzen, zögernden Sätzen meinte. Wollte er andeuten, daß er sich von einer Frau fernhalten solle, die zehn Jahre älter war? Darüber wollte Bolitho nicht nachdenken. Sie lebten heute und verlangten nach einander. Über die Konsequenzen konnten sie sich später Sorgen machen.
Er sagte:»Nun machen Sie, daß Sie wegkommen. Ich wünschte, es wäre alles so einfach, wie Sie glauben.»
Stockdale zuckte die Schultern und machte sich auf den Weg zum Strand hinunter, doch an seiner Haltung konnte Bolitho ablesen, daß der Fall für ihn noch nicht erledigt war.
Seufzend ging Bolitho zurück zum Tümpel, um seine Leute auf Stockdales Signalschuß vorzubereiten. Seeleute, die gewohnt waren, an Bord an allem teilzuhaben, wurden an Land bei solchen Gelegenheiten leicht nervös.
Ein Matrose, der vornübergebeugt mit dem Gesicht halb unter Wasser am Ufer lag, stand auf, als Bolitho sich näherte. Er lachte fröhlich, als ihm kleine Rinnsale über den Hals rannen.
Bolitho sagte:»Macht euch fertig, Leute…«Aber mitten im Satz brach er ab, als jemand einen schrecklichen Schrei ausstieß und der Matrose, der ihn eben noch angelacht hatte, vornüber in den Tümpel stürzte.
Urplötzlich war die Hölle los. Die meisten Seeleute krochen im Sand und suchten ihre Waffen, während andere entsetzt auf den im Tümpel Treibenden starrten, um den sich das Wasser rot färbte. Zwischen seinen Schulterblättern stak ein Speer.
Bolitho fuhr herum und sah, geblendet vom Sonnenlicht, schattenhafte Gestalten mit blitzenden Waffen auf sich zustürmen, hörte furchteinflößendes Geschrei aus vielen Kehlen, bis sich ihm vor Entsetzen die Nackenhaare sträubten.
«Männer — Achtung!»
Er griff nach seinem Säbel, zuckte aber zusammen, als ein weiterer Matrose Blut spuckend den Abhang hinunterrutschte und dabei versuchte, sich einen primitiv gefertigten Pfeil aus dem Leib zu ziehen.
«O Gott!«Bolitho mußte die Augen vor der Sonne beschatten. Ihre Angreifer hatten sie im Rücken. Sie kamen den in wilder Flucht da-vonrennenden Matrosen immer näher, wobei ihr schrecklicher Kriegsruf es ihm unmöglich machte, klar zu denken oder zu handeln.
Bolitho erkannte, daß es Neger waren. Ihre Augen und Münder waren im Triumph weit aufgerissen, als sie einen weiteren Matrosen niederschlugen und sein Gesicht mit einem Korallenbrocken zu blutigem Brei zerstampften.
Bolitho warf sich den Angreifern entgegen, wobei ihm mehr im Unterbewußtsein klar wurde, daß sich weitere Eingeborene hinter ihn drängten, um ihn von seinen Leuten zu trennen. Er hörte jemand aufschreien und um Gnade flehen, dann das widerliche Geräusch, mit dem ein Schädel gespalten wurde wie eine Kokosnuß.
Mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, schlug er verzweifelt um sich, vergeudete dabei seine Kräfte und vernachlässigte die Deckung gegen diese im Feuer gehärteten Wurfspeere.
Drei seiner Leute, von denen einer am Bein verwundet war, hielten noch stand, waren von heulenden, erbarmungslos auf sie einschlagenden Gestalten umzingelt.
Er stieß sich vom Baum ab, hackte in eine schwarze Schulter und rannte über den zerstampften Sand, um zu den Eingekreisten zu stoßen.
Einer schrie ihm zu:»Hat keinen Zweck! Wir können die Schurken nicht aufhalten!»
Bolitho fühlte, daß ihm der Säbel aus der Hand geschlagen wurde, und merkte mit Schrecken, daß er die Halteschnur nicht um sein Handgelenk geschlungen hatte.
Verzweifelt suchte er nach einer anderen Waffe, wobei er aus dem Augenwinkel sah, daß seine Leute das ungleiche Gefecht abbrachen und zum Strand rannten. Der Verwundete humpelte einige Schritte hinter ihnen her, bevor er eingeholt und niedergemacht wurde.