10.
Wir haben einen guten Posten erwischt. Mit acht Mann müssen wir ein Dorf bewachen, das geräumt worden ist, weil es zu stark beschossen wird.
Hauptsächlich sollen wir auf das Proviantamt achten, das noch nicht leer ist. Verpflegung müssen wir uns aus den Beständen selbst besorgen. Dafür sind wir die richtigen Leute – Kat, Albert, Müller, Tjaden, Leer, Detering, unsere ganze Gruppe ist da. Allerdings, Haie ist tot. Aber das ist noch ein mächtiges Glück, denn alle anderen Gruppen haben mehr Verluste als unsere gehabt.
Als Unterstand wählen wir einen betonierten Keller, zu dem von außen eine Treppe hinunterführt. Der Eingang ist noch durch eine besondere Betonmauer geschützt. Jetzt entfalten wir eine große Tätigkeit. Es ist wieder eine Gelegenheit, nicht nur die Beine, sondern auch die Seele zu strecken. Und solche Gelegenheiten nehmen wir wahr; denn unsere Lage ist zu verzweifelt, um lange sentimental sein zu können. Das ist nur möglich, solange es noch nicht ganz schlimm ist. Uns jedoch bleibt nichts anderes, als sachlich zu sein. So sachlich, daß mir manchmal graut, wenn einen Augenblick ein Gedanke aus der früheren Zeit, vor dem Kriege, sich in meinen Kopf verirrt. Er bleibt auch nicht lange.
Wir müssen unsere Lage so leicht nehmen wie möglich. Deshalb nützen wir jede Gelegenheit dazu, und unmittelbar, hart, ohne Übergang steht neben dem Grauen der Blödsinn. Wir können gar nicht anders, wir stürzen uns hinein. Auch jetzt geht es mit Feuereifer daran, ein Idyll zu schaffen, ein Idyll des Fressens und Schlafens natürlich. Die Bude wird zunächst einmal mit Matratzen belegt, die wir aus den Häusern heranschleppen. Ein Soldatenhintern sitzt gern auch mal weich. Nur in der Mitte des Raumes bleibt der Boden frei. Dann besorgen wir uns Decken und Federbetten, prachtvolle weiche Dinger. Von allem ist im Dorf ja genügend vorhanden. Albert und ich finden ein zerlegbares Mahagonibett mit einem Himmel aus blauer Seide und Spitzenüberwurf. Wir schwitzen wie die Affen beim Transport, aber so was kann man sich doch nicht entgehen lassen, zumal es in ein paar Tagen doch sicher zerschossen wird.
Kat und ich machen einen kleinen Patrouillengang durch die Häuser. Nach kurzer Zeit haben wir ein Dutzend Eier und zwei Pfund ziemlich frische Butter gefaßt. Plötzlich kracht es in einem Salon, und ein eiserner Ofen saust durch die Wand, an uns vorbei, einen Meter neben uns wieder durch die Wand. Zwei Löcher. Er kommt aus dem Hause gegenüber, in das eine Granate gehauen ist.»Schwein gehabt«, grinst Kat, und wir suchen weiter. Mit einem Male spitzen wir die Ohren und machen lange Beine. Gleich darauf stehen wir wie verzaubert: In einem kleinen Stall tummeln sich zwei lebende Ferkel. Wir reiben uns die Augen und sehen vorsichtig wieder hin: sie sind tatsächlich noch immer da. Wir fassen sie an – kein Zweifel, es sind zwei wirkliche junge Schweine.
Das gibt ein herrliches Essen. Etwa fünfzig Schritt von unserm Unterstand entfernt steht ein kleines Haus, das als Offiziersquartier gedient hat. In der Küche befindet sich ein riesiger Herd mit zwei Feuerrosten, Pfannen, Töpfen und Kesseln. Alles ist da, sogar eine Unmenge kleingehacktes Holz steckt in einem Schuppen – das wahre Schlaraffenhaus.
Zwei Mann sind seit dem Morgen auf den Feldern und suchen Kartoffeln, Mohrrüben und junge Erbsen. Wir sind nämlich üppig und pfeifen auf die Konserven des Proviantamts, wir wollen frische Sachen haben. In der Speisekammer liegen schon zwei Köpfe Blumenkohl. Die Ferkel sind geschlachtet. Kat hat das erledigt. Zu dem Braten wollen wir Kartoffelpuffer machen. Aber wir finden keine Reiben für die Kartoffeln. Doch auch da ist bald abgeholfen. In Blechdeckel schlagen wir mit Nägeln eine Menge Löcher, und schon sind es Reiben. Drei Mann ziehen dicke Handschuhe an, um die Finger beim Reiben zu schonen, zwei andere schälen Kartoffeln, und es geht rasch vorwärts. Kat betreut die Ferkel, die Mohrrüben, die Erbsen und den Blumenkohl. Zu dem Blumenkohl mischt er sogar eine weiße Soße zurecht. Ich backe Puffer, immer vier zu gleicher Zeit. Nach zehn Minuten habe ich es heraus, die Pfanne so zu schwenken, daß die auf der einen Seite fertigen Puffer hochfliegen, sich in der Luft drehen und wieder aufgefangen werden. Die Ferkel werden unzerschnitten gebraten. Alles steht um sie herum wie um einen Altar.
Inzwischen ist Besuch gekommen, zwei Funker, die freigebig zum Essen eingeladen werden. Sie sitzen im Wohnzimmer, wo ein Klavier steht. Einer spielt, der andere singt:»An der Weser«. Er singt es gefühlvoll, aber ziemlich sächsisch. Trotzdem ergreift es uns, während wir so am Herd all die schönen Sachen vorbereiten.
Allmählich merken wir, daß wir Kattun kriegen. Die Fesselballons haben den Rauch aus unserm Schornstein spitz bekommen, und wir werden mit Feuer belegt. Es sind die verfluchten kleinen Spritzbiester, die so ein kleines Loch machen und so weit und niedrig streuen. Immer näher pfeift es um uns herum, aber wir können doch das Essen nicht im Stich lassen. Die Bande schießt sich ein. Ein paar Splitter sausen oben durchs Küchenfenster. Wir sind bald mit dem Braten fertig. Doch das Pufferbacken wird jetzt schwieriger. Die Einschläge kommen so dicht, daß oft und öfter die Splitter gegen die Hauswand klatschen und durch die Fenster fegen. Jedesmal, wenn ich ein Ding heranpfeifen höre, gehe ich mit der Pfanne und den Puffern in die Knie und ducke mich hinter die Fenstermauer. Sofort danach bin ich wieder hoch und backe weiter.
Die Sachsen hören auf zu spielen, ein Splitter ist ins Klavier geflogen. Auch wir sind jetzt allmählich fertig und organisieren den Rückzug. Nach dem nächsten Einschlag laufen zwei Mann mit den Gemüsetöpfen los, die fünfzig Meter bis zum Unterstand. Wir sehen sie verschwinden.
Der nächste Schuß. Alles duckt sich, und dann traben zwei Mann mit je einer großen Kanne erstklassigem Bohnenkaffee ab und erreichen vor dem folgenden Einschlag den Unterstand.
Jetzt schnappen sich Kat und Kropp das Glanzstück: die große Pfanne mit den braungebratenen Ferkeln. Ein Heulen, eine Kniebeuge, und schon rasen sie über die fünfzig Meter freies Feld.
Ich backe meine letzten vier Puffer noch fertig; zweimal muß ich dabei auf den Boden – aber es sind schließlich vier Puffer mehr, und es ist mein Lieblingsessen. Dann ergreife ich die Platte mit dem hohen Stapel und presse mich hinter die Haustür. Es zischt, kracht, und ich galoppiere davon, mit beiden Händen die Platte an die Brust gedrückt. Fast bin ich angelangt, da pfeift es anschwellend, ich türme wie ein Hirsch, fege um die Betonwand, Spritzer klatschen gegen die Mauer, ich falle die Kellertreppe hinunter, meine Ellenbogen sind zerschlagen, aber ich habe keinen einzigen Puffer verloren und die Platte nicht umgekippt.
Um zwei Uhr beginnen wir mit dem Essen. Es dauert bis sechs. Bis halb sieben trinken wir Kaffee – Offizierskaffee aus dem Proviantamt – und rauchen Offizierszigarren und Zigaretten – ebenfalls aus dem Proviantamt. Punkt halb sieben fangen wir mit dem Abendessen an. Um zehn Uhr werfen wir die Gerippe der Ferkel vor die Tür. Dann gibt es Kognak und Rum, ebenfalls aus dem gesegneten Proviantamt und wieder lange, dicke Zigarren mit Bauchbinden. Tjaden behauptet, daß nur eines fehle: Mädchen aus einem Offizierspuff.
Spätabends hören wir Miauen. Eine kleine graue Katze sitzt am Eingang. Wir locken sie heran und füttern sie. Darüber kommt auch uns wieder der Appetit. Kauend legen wir uns schlafen.
Doch die Nacht ist böse. Wir haben zu fett gegessen. Frisches Spanferkel wirkt angreifend auf die Därme. Es ist ein ewiges Kommen und Gehen im Unterstand. Zwei, drei Mann sitzen immer mit heruntergezogenen Hosen draußen herum und fluchen. Ich selbst bin neunmal unterwegs. Gegen vier Uhr nachts erreichen wir einen Rekord: alle elf Mann, Wache und Besuch, sitzen draußen.
Brennende Häuser stehen wie Fackeln in der Nacht. Granaten poltern heran und hauen ein. Munitionskolonnen rasen über die Straße. An der einen Seite ist das Proviantamt aufgerissen. Wie ein Schwärm Bienen drängen sich dort trotz aller Splitter die Kolonnenfahrer und klauen Brot. Wir lassen sie ruhig gewähren. Wenn wir was sagen würden, gäbe es höchstens eine Tracht Prügel für uns. Deshalb machen wir es anders. Wir erklären, daß wir die Wache sind, und da wir Bescheid wissen, kommen wir mit den Konserven an, die wir gegen Sachen tauschen, die uns fehlen.