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Wir machen ihre Ohren scharf auf das heimtückische Surren der kleinen Dinger, die man kaum vernimmt, sie sollen sie aus dem Krach herauskennen wie Mückensummen; – wir bringen ihnen bei, daß sie gefährlicher sind als die großen, die man lange vorher hört. Wir zeigen ihnen, wie man sich vor Fliegern verbirgt, wie man den toten Mann macht, wenn man vom Angriff überrannt wird, wie man Handgranaten abziehen muß, damit sie eine halbe Sekunde vor dem Aufschlag explodieren; – wir lehren sie, vor Granaten mit Aufschlagzündern blitzschnell in Trichter zu fallen, wir machen vor, wie man mit einem Bündel Handgranaten einen Graben aufrollt, wir erklären den Unterschied in der Zündungsdauer zwischen den gegnerischen Handgranaten und unseren, wir machen sie auf den Ton der Gasgranaten aufmerksam und zeigen ihnen die Kniffe, die sie vor dem Tode retten können. Sie hören zu, sie sind folgsam – aber wenn es wieder losgeht, machen sie es in der Aufregung meistens doch wieder falsch.

Haie Westhus wird mit abgerissenem Rücken fortgeschleppt; bei jedem Atemzug pulst die Lunge durch die Wunde. Ich kann ihm noch die Hand drücken; -»is alle, Paul«, stöhnt er und beißt sich vor Schmerz in die Arme.

Wir sehen Menschen leben, denen der Schädel fehlt; wir sehen Soldaten laufen, denen beide Füße weggefetzt sind; sie stolpern auf den splitternden Stümpfen bis zum nächsten Loch; ein Gefreiter kriecht zwei Kilometer weit auf den Händen und schleppt die zerschmetterten Knie hinter sich her; ein anderer geht zur Verbandsstelle, und über seine festhaltenden Hände quellen die Därme; wir sehen Leute ohne Mund, ohne Unterkiefer, ohne Gesicht; wir finden jemand, der mit den Zähnen zwei Stunden die Schlagader seines Armes klemmt, um nicht zu verbluten, die Sonne geht auf, die Nacht kommt, die Granaten pfeifen, das Leben ist zu Ende.

Doch das Stückchen zerwühlter Erde, in dem wir liegen, ist gehalten gegen die Übermacht, nur wenige hundert Meter sind preisgegeben worden. Aber auf jeden Meter kommt ein Toter.

* * *

Wir werden abgelöst. Die Räder rollen unter uns weg, wir stehen dumpf, und wenn der Ruf:»Achtung – Draht!«kommt, gehen wir in die Kniebeuge. Es war Sommer, als wir hier vorüberfuhren, die Bäume waren noch grün, jetzt sehen sie schon herbstlich aus, und die Nacht ist grau und feucht. Die Wagen halten, wir klettern hinunter, ein durcheinandergewürfelter Haufen, ein Rest von vielen Namen. An den Seiten, dunkel, stehen Leute und rufen die Nummern von Regimentern, von Kompanien aus. Und bei jedem Ruf sondert sich ein Häuflein ab, ein karges, geringes Häuflein schmutziger, fahler Soldaten, ein furchtbar kleines Häuflein und ein furchtbar kleiner Rest.

Nun ruft jemand die Nummer unserer Kompanie, es ist, man hört es, der Kompanieführer, er ist also davongekommen, sein Arm liegt in der Binde. Wir treten zu ihm hin, und ich erkenne Kat und Albert, wir stellen uns zusammen, lehnen uns aneinander und sehen uns an.

Und noch einmal und noch einmal hören wir unsere Nummer rufen. Er kann lange rufen, man hört ihn nicht in den Lazaretten und den Trichtern.

Noch einmal:»Zweite Kompanie hierher!«

Und dann leiser:»Niemand mehr zweite Kompanie?«Er schweigt und ist etwas heiser, als er fragt:»Das sind alle?«und befiehlt:»Abzählen!«

Der Morgen ist grau, es war noch Sommer, als wir hinausgingen, und wir waren hundertfünfzig Mann. Jetzt friert uns, es ist Herbst, die Blätter rascheln, die Stimmen flattern müde auf:»Eins – zwei – drei – vier -«, und bei zweiunddreißig schweigen sie. Und es schweigt lange, ehe die Stimme fragt:»Noch jemand?«- und wartet und dann leise sagt:»In Gruppen -«, und doch abbricht und nur vollenden kann:»Zweite Kompanie -«, mühselig:»Zweite Kompanie – ohne Tritt marsch!«

Eine Reihe, eine kurze Reihe tappt in den Morgen hinaus. Zweiunddreißig Mann.

7.

Man nimmt uns weiter als sonst zurück, in ein Feld-Rekrutendepot, damit wir dort neu zusammengestellt werden können. Unsere Kompanie braucht über hundert Mann Ersatz.

Einstweilen bummeln wir umher, wenn wir keinen Dienst machen. Nach zwei Tagen kommt Himmelstoß zu uns -. Seine große Schnauze hat er verloren, seit er im Graben war. Er schlägt vor, daß wir uns vertragen wollen. Ich bin bereit, denn ich habe gesehen, daß er Haie Westhus, dem der Rücken weggerissen wurde, mit fortgebracht hat. Da er außerdem wirklich vernünftig redet, haben wir nichts dabei, daß er uns in die Kantine einlädt. Nur Tjaden ist mißtrauisch und reserviert.

Doch auch er wird gewonnen, denn Himmelstoß erzählt, daß er den in Urlaub fahrenden Küchenbullen vertreten soll. Als Beweis dafür rückt er sofort zwei Pfund Zucker für uns und ein halbes Pfund Butter für Tjaden besonders heraus. Er sorgt sogar dafür, daß wir für die nächsten drei Tage in die Küche zum Kartoffel- und Steckrübenschälen kommandiert werden. Das Essen, das er uns dort vorsetzt, ist tadellose Offizierskost.

So haben wir im Augenblick wieder die beiden Dinge, die der Soldat zum Glück braucht: gutes Essen und Ruhe. Das ist wenig, wenn man es bedenkt. Vor ein paar Jahren noch hätten wir uns furchtbar verachtet. Jetzt sind wir fast zufrieden. Alles ist Gewohnheit, auch der Schützengraben. Diese Gewohnheit ist der Grund dafür, daß wir scheinbar so rasch vergessen. Vorgestern waren wir noch im Feuer, heute machen wir Albernheiten und fechten uns durch die Gegend, morgen gehen wir wieder in den Graben. In Wirklichkeit vergessen wir nichts. Solange wir hier im Felde sein müssen, sinken die Fronttage, wenn sie vorbei sind, wie Steine in uns hinunter, weil sie zu schwer sind, um sofort darüber nachdenken zu können. Täten wir es, sie würden uns hinterher erschlagen; denn soviel habe ich schon gemerkt: Das Grauen läßt sich ertragen, solange man sich einfach duckt; aber es tötet, wenn man darüber nachdenkt.

Genau wie wir zu Tieren werden, wenn wir nach vorn gehen, weil es das einzige ist, was uns durchbringt, so werden wir zu oberflächlichen Witzbolden und Schlafmützen, wenn wir in Ruhe sind. Wir können gar nicht anders, es ist förmlich ein Zwang. Wir wollen leben um jeden Preis; da können wir uns nicht mit Gefühlen belasten, die für den Frieden dekorativ sein mögen, hier aber falsch sind. Kemmerich ist tot, Haie Westhus stirbt, mit dem Körper Hans Kramers werden sie am Jüngsten Tage Last haben, ihn aus einem Volltreffer zusammenzuklauben, Martens hat keine Beine mehr, Meyer ist tot, Marx ist tot, Beyer ist tot, Hämmerling ist tot, hundertzwanzig Mann liegen irgendwo mit Schüssen, es ist eine verdammte Sache, aber was geht es uns noch an, wir leben. Könnten wir sie retten, ja dann sollte man mal sehen, es wäre egal, ob wir selbst draufgingen, so würden wir loslegen; denn wir haben einen verfluchten Muck, wenn wir wollen; Furcht kennen wir nicht viel – Todesangst wohl, doch das ist etwas anderes, das ist körperlich.

Aber unsere Kameraden sind tot, wir können ihnen nicht helfen, sie haben Ruhe – wer weiß, was uns noch bevorsteht; wir wollen uns hinhauen und schlafen oder fressen, soviel wir in den Magen kriegen, und saufen und rauchen, damit die Stunden nicht öde sind. Das Leben ist kurz.

* * *

Das Grauen der Front versinkt, wenn wir ihm den Rücken kehren, wir gehen ihm mit gemeinen und grimmigen Witzen zuleibe; wenn jemand stirbt, dann heißt es, daß er den Arsch zugekniffen hat, und so reden wir über alles, das rettet uns vor dem Verrücktwerden, solange wir es so nehmen, leisten wir Widerstand.

Aber wir vergessen nicht! Was in den Kriegszeitungen steht über den goldenen Humor der Truppen, die bereits Tänzchen arrangieren, wenn sie kaum aus dem Trommelfeuer zurück sind, ist großer Quatsch. Wir tun das nicht, weil wir Humor haben, sondern wir haben Humor, weil wir sonst kaputt gehen. Die Kiste wird ohnehin nicht mehr allzulange halten, der Humor ist jeden Monat bitterer. Und ich weiß: all das, was jetzt, solange wir im Kriege sind, versackt in uns wie ein Stein, wird nach dem Kriege wieder aufwachen, und dann beginnt erst die Auseinandersetzung auf Leben und Tod.

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