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9.

Wir fahren einige Tage. Die ersten Flieger erscheinen am Himmel. Wir rollen an Transportzügen vorüber. Geschütze, Geschütze. Die Feldbahn übernimmt uns. Ich suche mein Regiment. Niemand weiß, wo es gerade liegt. Irgendwo übernachte ich, irgendwo empfange ich morgens Proviant und einige vage Instruktionen. So mache ich mich mit meinem Tornister und meinem Gewehr wieder auf den Weg. Als ich ankomme, ist keiner von uns mehr in dem zerschossenen Ort. Ich höre, daß wir zu einer fliegenden Division geworden sind, die überall eingesetzt wird, wo es brenzlig ist. Das stimmt mich nicht heiter. Man erzählt mir von großen Verlusten, die wir gehabt haben sollen. Ich forsche nach Kat und Albert. Es weiß niemand etwas von ihnen.

Ich suche weiter und irre umher, das ist ein wunderliches Gefühl. Noch eine Nacht und eine zweite kampiere ich wie ein Indianer. Dann habe ich bestimmte Nachricht und kann mich nachmittags auf der Schreibstube melden. Der Feldwebel behält mich da. Die Kompanie kommt in zwei Tagen zurück, es hat keinen Zweck mehr, mich hinauszuschicken.»Wie war’s im Urlaub?«fragt er.»Schön, was?«

»Teils, teils«, sage ich.

»Jaja«, seufzt er,»wenn man nicht wieder weg müßte. Die zweite Hälfte wird dadurch immer schon verpfuscht.«

Ich lungere umher, bis die Kompanie morgens einrückt, grau, schmutzig, verdrossen und trübe. Da springe ich auf und dränge mich zwischen sie, meine Augen suchen, dort ist Tjaden, da schnaubt Müller, und da sind auch Kat und Kropp. Wir machen uns unsere Strohsäcke nebeneinander zurecht. Ich fühle mich schuldbewußt, wenn ich sie ansehe, und habe doch keinen Grund dazu. Bevor wir schlafen, hole ich den Rest der Kartoffelpuffer und der Marmelade heraus, damit sie auch etwas haben.

Die beiden äußeren Puffer sind angeschimmelt, man kann sie aber noch essen. Ich nehme sie für mich und gebe die frischeren Kat und Kropp.

Kat kaut und fragt:»Die sind wohl von Muttern?«

Ich nicke.

»Gut«, sagt er,»das schmeckt man heraus.«

Fast könnte ich weinen. Ich kenne mich selbst nicht mehr. Doch es wird schon wieder besser werden, hier mit Kat und Albert und den übrigen. Hier gehöre ich hin.

»Du hast Glück gehabt«, flüstert Kropp mir noch beim Einschlafen zu,»es heißt, wir kommen nach Rußland.«

Nach Rußland. Da ist ja kein Krieg mehr.

In der Ferne donnert die Front. Die Wände der Baracken klirren.

* * *

Es wird mächtig geputzt. Ein Appell jagt den andern. Von allen Seiten werden wir revidiert. Was zerrissen ist, wird umgetauscht gegen gute Sachen. Ich erwische dabei einen tadellosen neuen Rock, Kat natürlich sogar eine volle Montur. Das Gerücht taucht auf, es gäbe Frieden, doch die andere Ansicht ist wahrscheinlicher: daß wir nach Rußland verladen werden. Aber wozu brauchen wir in Rußland bessere Sachen? Endlich sickert es durch: der Kaiser kommt zur Besichtigung. Deshalb die vielen Musterungen.

Acht Tage lang könnte man glauben, in einer Rekrutenkaserne zu sitzen, so wird gearbeitet und exerziert. Alles ist verdrossen und nervös, denn übermäßiges Putzen ist nichts für uns und Parademarsch noch weniger. Gerade solche Sachen verärgern den Soldaten mehr als der Schützengraben. Endlich ist der Augenblick da. Wir stehen stramm, und der Kaiser erscheint. Wir sind neugierig, wie er aussehen mag. Er schreitet die Front entlang, und ich bin eigentlich etwas enttäuscht: nach den Bildern hatte ich ihn mir größer und mächtiger vorgestellt, vor allen Dingen mit einer donnernderen Stimme.

Er verteilt Eiserne Kreuze und spricht diesen und jenen an.

Dann ziehen wir ab.

Nachher unterhalten wir uns. Tjaden sagt staunend:»Das ist nun der Alleroberste, den es gibt. Davor muß dann doch jeder strammstehen, jeder überhaupt!«Er überlegt:»Davor muß doch auch Hindenburg strammstehen, was?«

»Jawoll«, bestätigt Kat.

Tjaden ist noch nicht fertig. Er denkt eine Zeitlang nach und fragt:»Muß ein König vor einem Kaiser auch strammstehen?«

Keiner weiß das genau, aber wir glauben es nicht. Die sind beide schon so hoch, daß es da sicher kein richtiges Strammstehen mehr gibt.

»Was du dir für einen Quatsch ausbrütest«, sagt Kat.»Die Hauptsache ist, daß du selber strammstehst.«Aber Tjaden ist völlig fasziniert. Seine sonst sehr trockene Phantasie arbeitet sich Blasen.

»Sieh mal«, verkündet er,»ich kann einfach nicht begreifen, daß ein Kaiser auch genauso zur Latrine muß wie ich.«

»Darauf kannst du Gift nehmen«, lacht Kropp.

»Verrückt und drei sind sieben«, ergänzt Kat,»du hast Läuse im Schädel, Tjaden, geh du nur selbst rasch los zur Latrine, damit du einen klaren Kopp kriegst und nicht wie ein Wickelkind redest.«

Tjaden verschwindet.

»Eins möchte ich aber doch noch wissen«, sagt Albert,»ob es Krieg gegeben hätte, wenn der Kaiser nein gesagt hätte.«

»Das glaube ich sicher«, werfe ich ein, -»er soll ja sowieso erst gar nicht gewollt haben.«

»Na, wenn er allein nicht, dann vielleicht doch, wenn so zwanzig, dreißig Leute in der Welt nein gesagt hätten.«

»Das wohl«, gebe ich zu,»aber die haben ja gerade gewollt.«»Es ist komisch, wenn man sich das überlegt«, fährt Kropp fort,»wir sind doch hier, um unser Vaterland zu verteidigen. Aber die Franzosen sind doch auch da, um ihr Vaterland zu verteidigen. Wer hat nun recht?«»Vielleicht, beide«, sage ich,

ohne es zu glauben.

»Ja, nun«, meint Albert, und ich sehe ihm an, daß er mich in die Enge treiben will,»aber unsere Professoren und Pastöre und Zeitungen sagen, nur wir hätten recht, und das wird ja hoffentlich auch so sein; – aber die französischen Professoren und Pastöre und Zeitungen behaupten, nur sie hätten recht, wie steht es denn damit?«

»Das weiß ich nicht«, sage ich,»auf jeden Fall ist Krieg, und jeden Monat kommen mehr Länder dazu.«

Tjaden erscheint wieder. Er ist noch immer angeregt und greift sofort wieder in das Gespräch ein, indem er sich erkundigt, wie eigentlich ein Krieg entstehe.

»Meistens so, daß ein Land ein anderes schwer beleidigt«, gibt Albert mit einer gewissen Überlegenheit zur Antwort.

Doch Tjaden stellt sich dickfellig.»Ein Land? Das verstehe ich nicht. Ein Berg in Deutschland kann doch einen Berg in Frankreich nicht beleidigen. Oder ein Fluß oder ein Wald oder ein Weizenfeld.«

»Bist du so dämlich oder tust du nur so?«knurrt Kropp.

»So meine ich das doch nicht. Ein Volk beleidigt das andere -«

»Dann habe ich hier nichts zu suchen«, erwidert Tjaden,»ich fühle mich nicht beleidigt.«

»Dir soll man nun was erklären«, sagt Albert ärgerlich,»auf dich Dorfdeubel kommt es doch dabei nicht an.«

»Dann kann ich ja erst recht nach Hause gehen«, beharrt Tjaden, und alles lacht.

»Ach, Mensch, es ist doch das Volk als Gesamtheit, also der Staat -«, ruft Müller.»Staat, Staat«- Tjaden schnippt schlau mit den Fingern -,»Feldgendarmen, Polizei, Steuer, das ist euer Staat. Wenn du damit zu tun hast, danke schön.«

»Das stimmt«, sagt Kat,»da hast du zum ersten Male etwas Richtiges gesagt, Tjaden, Staat und Heimat, da ist wahrhaftig ein Unterschied.«

»Aber sie gehören doch zusammen«, überlegt Kropp,»eine Heimat ohne Staat gibt es nicht.«

»Richtig, aber bedenk doch mal, daß wir fast alle einfache Leute sind. Und in Frankreich sind die meisten Menschen doch auch Arbeiter, Handwerker oder kleine Beamte. Weshalb soll nun wohl ein französischer Schlosser oder Schuhmacher uns angreifen wollen? Nein, das sind nur die Regierungen. Ich habe nie einen Franzosen gesehen, bevor ich hierherkam, und den meisten Franzosen wird es ähnlich mit uns gehen. Die sind ebensowenig gefragt wie wir.«

»Weshalb ist dann überhaupt Krieg?«fragt Tjaden.

Kat zuckt die Achseln.»Es muß Leute geben, denen der Krieg nützt.«

»Na, ich gehöre nicht dazu«, grinst Tjaden.

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