»Es heißt eben, Disziplin muß sein -«, meint Kropp nachlässig.
»Gründe«, knurrt Kat,»haben sie immer. Mag ja auch sein. Aber es darf keine Schikane werden. Und mach du das mal einem Schlosser oder Knecht oder Arbeiter klar, erkläre das mal einem Muskoten, und das sind doch die meisten hier; der sieht nur, daß er geschunden wird und ins Feld kommt, und er weiß ganz genau, was notwendig ist und was nicht. Ich sage euch, daß der einfache Soldat hier vorn so aushält, das ist allerhand! Allerhand ist das!«Jeder gibt es zu, denn jeder weiß, daß nur im Schützengraben der Drill aufhört, daß er aber wenige Kilometer hinter der Front schon wieder beginnt, und sei es mit dem größten Unsinn, mit Grüßen und Parademarsch. Denn es ist eisernes Gesetz: Der Soldat muß auf jeden Fall beschäftigt werden.
Doch nun erscheint Tjaden, mit roten Flecken im Gesicht. Er ist so aufgeregt, daß er stottert. Strahlend buchstabiert er:»Himmelstoß ist unterwegs nach hier. Er kommt an die Front.«
* * *
Tjaden hat eine Hauptwut auf Himmelstoß, weil der ihn im Barackenlager auf seine Weise erzogen hat. Tjaden ist Bettnässer, nachts beim Schlafen passiert es ihm eben. Himmelstoß behauptet steif und fest, es sei nur Faulheit, und er fand ein seiner würdiges Mittel, um Tjaden zu heilen. Er trieb in der benachbarten Baracke einen zweiten Bettnässer auf, der Kindervater hieß. Den quartierte er mit Tjaden zusammen. In den Baracken standen die typischen Bettgestelle, zwei Betten übereinander, die Bettböden aus Draht. Himmelstoß legte beide nun so zusammen, daß der eine das obere, der andere das darunter befindliche Bett bekam. Der untere war dadurch natürlich scheußlich daran. Dafür wurde am nächsten Abend gewechselt, der untere kam nach oben, damit er Vergeltung hatte. Das war Himmelstoß’ Selbsterziehung.
Der Einfall war gemein, aber in der Idee gut. Leider nutzte er nichts, weil die Voraussetzung nicht stimmte: es war keine Faulheit bei den beiden. Das konnte jeder merken, der ihre fahle Haut ansah. Die Sache endete damit, daß immer einer von beiden auf dem Fußboden schlief. Er hätte sich leicht dabei erkälten können. – Haie hat sich inzwischen auch neben uns niedergelassen. Er blinzelt mir zu und reibt andächtig seine Tatze. Wir haben zusammen den schönsten Tag unseres Kommißlebens erlebt. Das war der Abend, bevor wir ins Feld fuhren. Wir waren einem der Regimenter mit der hohen Hausnummer zugeteilt, vorher aber zur Einkleidung in die Garnison zurückbefördert worden, allerdings nicht zum Rekrutendepot, sondern in eine andere Kaserne. Am nächsten Morgen früh sollten wir abfahren. Abends machten wir uns auf, um mit Himmelstoß abzurechnen. Das hatten wir uns seit Wochen geschworen. Kropp war sogar so weit gegangen, daß er sich vorgenommen hatte, im Frieden das Postfach einzuschlagen, um später, wenn Himmelstoß wieder Briefträger war, sein Vorgesetzter zu werden. Er schwelgte in Bildern, wie er ihn schleifen würde. Denn das war es gerade, weshalb er uns nicht kleinkriegen konnte; wir rechneten stets damit, daß wir ihn schon einmal schnappen würden, spätestens am Kriegsende.
Einstweilen wollten wir ihn gründlich verhauen. Was konnte uns schon passieren, wenn er uns nicht erkannte und wir ohnehin morgen früh abfuhren.
Wir wußten, in welcher Kneipe er jeden Abend saß. Wenn er von dort zur Kaserne ging, mußte er durch eine dunkle, unbebaute Straße. Dort lauerten wir ihm hinter einem Steinhaufen auf. Ich hatte einen Bettüberzug bei mir. Wir zitterten vor Erwartung, ob er auch allein sein würde. Endlich hörten wir seinen Schritt, den kannten wir genau, wir hatten ihn oft genug morgens gehört, wenn die Tür aufflog und»Aufstehen!«gebrüllt wurde.»Allein?«flüsterte Kropp.
»Allein!«- Ich schlich mit Tjaden um den Steinhaufen herum.
Da blitzte schon sein Koppelschloß. Himmelstoß schien etwas angeheitert zu sein; er sang.
Ahnungslos ging er vorüber.
Wir faßten das Bettuch, machten einen leisen Satz, stülpten es ihm von hinten über den Kopf, rissen es nach unten, so daß er wie in einem weißen Sack dastand und die Arme nicht heben konnte. Das Singen erstarb. Im nächsten Moment war Haie Westhus heran. Mit ausgebreiteten Armen warf er uns zurück, um nur ja der erste zu sein. Er stellte sich genußreich in Positur, hob den Arm wie einen Signalmast, die Hand wie eine Kohlenschaufel und knallte einen Schlag auf den weißen Sack, der einen Ochsen hätte töten können.
Himmelstoß überschlug sich, landete fünf Meter weiter und fing an zu brüllen. Auch dafür hatten wir gesorgt, denn wir hatten ein Kissen bei uns. Haie hockte sich hin, legte das Kissen auf die Knie, packte Himmelstoß da, wo der Kopf war, und drückte ihn auf das Kissen. Sofort wurde er im Ton gedämpfter. Haie ließ ihn ab und zu mal Luft schnappen, dann kam aus dem Gurgeln ein prachtvoller heller Schrei, der gleich wieder zart wurde. Tjaden knöpfte jetzt Himmelstoß die Hosenträger ab und zog ihm die Hose herunter. Die Klopfpeitsche hielt er dabei mit den Zähnen fest. Dann erhob er sich und begann sich zu bewegen.
Es war ein wunderbares Bild: Himmelstoß auf der Erde, über ihn gebeugt, seinen Kopf auf den Knien, Haie mit teuflisch grinsendem Gesicht und vor Lust offenem Maul, dann die zuckende, gestreifte Unterhose mit den X-Beinen, die in der heruntergeschobenen Hose bei jedem Schlag die originellsten Bewegungen machten, und darüber wie ein Holzhacker der unermüdliche Tjaden. Wir mußten ihn schließlich geradezu wegreißen, um auch noch an die Reihe zukommen.
Endlich stellte Haie Himmelstoß wieder auf die Beine und gab als Schluß eine Privatvorstellung. Er schien Sterne pflücken zu wollen, so holte seine Rechte aus zu einer Backpfeife. Himmelstoß kippte um. Haie hob ihn wieder auf stellte ihn sich parat und langte ihm ein zweites, erstklassig gezieltes Ding mit der linken Hand. Himmelstoß heulte und flüchtete auf allen vieren. Sein gestreifter Briefträgerhintern leuchtete im Mond.
Wir verschwanden im Galopp.
Haie sah sich noch einmal um und sagte ingrimmig, gesättigt und etwas rätselhaft:»Rache ist Blutwurst.«- Eigentlich konnte Himmelstoß froh sein; denn sein Wort, daß immer einer den andern erziehen müsse, hatte an ihm selbst Früchte getragen. Wir waren gelehrige Schüler seiner Methoden geworden.
Er hat nie herausgekriegt, wem er die Sache verdankte.
Immerhin gewann er dabei ein Bettuch; denn als wir einige Stunden später noch einmal nachsahen, war es nicht mehr zu finden.
Dieser Abend war der Grund, daß wir am nächsten Morgen einigermaßen gefaßt abfuhren. Ein wehender Vollbart bezeichnete uns deshalb ganz gerührt als Heldenjugend.
4.
Wir müssen nach vorn zum Schanzen. Beim Dunkelwerden rollen die Lastwagen an. Wir klettern hinauf. Es ist ein warmer Abend, und die Dämmerung erscheint uns wie ein Tuch, unter dessen Schutz wir uns wohl fühlen. Sie verbindet uns; sogar der geizige Tjaden schenkt mir eine Zigarette und gibt mir Feuer.
Wir stehen nebeneinander, dicht an dicht, sitzen kann niemand. Das sind wir auch nicht gewöhnt. Müller ist endlich mal guter Laune; er trägt seine neuen Stiefel.
Die Motoren brummen an, die Wagen klappern und rasseln. Die Straßen sind ausgefahren und voller Löcher. Es darf kein Licht gemacht werden, deshalb rumpeln wir hinein, daß wir fast aus dem Wagen purzeln. Das beunruhigt uns nicht weiter. Was kann schon passieren; ein gebrochener Arm ist besser als ein Loch im Bauch, und mancher wünscht sich geradezu eine solch gute Gelegenheit, nach Hause zu kommen.
Neben uns fahren in langer Reihe die Munitionskolonnen. Sie haben es eilig, überholen uns fortwährend. Wir rufen ihnen Witze zu, und sie antworten.
Eine Mauer wird sichtbar, sie gehört zu einem Hause, das abseits der Straße liegt. Ich spitze plötzlich die Ohren. Täusche ich mich? Wieder höre ich deutlich Gänsegeschnatter. Ein Blick zu Katczinsky – ein Blick von ihm zurück; wir verstehen uns.